17. Dezember 2020 by Janina Zillekens

Gemeinsam mit den Open Society Foundations hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Studie zur Bedeutung der Zivilgesellschaft für eine lebendige Demokratie angefertigt. Dabei wurden nicht nur Länder wie Ungarn und Polen unter die Lupe genommen, sondern auch solche wie Frankreich und Spanien. Die Studie zeigt, dass politisches Engagement der Zivilgesellschaft nicht nur in autokratischen Ländern eingeschränkt wird, sondern auch in solchen, die wir als intakte Demokratien wahrnehmen.
Hintergrund der Debatte und Beitrag der Studie
Als der Bundesfinanzhof 2019 Attac die Gemeinnützigkeit aberkennt, weil die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation vermeintlich „zu politisch“ agiere, beginnt eine große Debatte über die Rolle der Zivilgesellschaft für die Demokratie und über den schwindenden Spielraum für Organisationen in Deutschland. Viele Organisationen fürchten um ihr Fortbestehen, wenn sie sich politisch positionieren. Diese Debatte ist essentiell für unsere Demokratie, legt den Fokus aber oft zu sehr auf Deutschland – und übersieht die Wechselwirkungen zwischen einem restriktiven deutschen Gemeinnützigkeitsrecht und dem Zustand von zivilgesellschaftlichen Organisationen in anderen EU-Mitgliedsstaaten.
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Dieses Defizit soll die vorliegende Studie beleuchten. Sie untersucht die Verantwortung Deutschlands innerhalb Europas und zeigt, dass Deutschland nicht den europarechtlichen Vorgaben und dem europarechtlichen Verständnis von einer politischen Zivilgesellschaft entspricht – und fordert eine entsprechende Kurskorrektur.
Kernergebnisse und Forderungen der Studie
Die Zivilgesellschaft gerät in Europa nicht nur bei den üblichen Verdächtigen wie Ungarn, Polen und Slowenien unter Druck, sondern auch in einer Vielzahl anderer EU-Mitgliedstaaten. Auch Staaten wie Frankreich, Spanien und Österreich schränken den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft massiv ein. Eine progressive Reform des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts kann ein Signal sein für eine starke Zivilgesellschaft in ganz Europa, welche gleichzeitig die Ausübung der bürgerlichen Grundrechte stärken und die Demokratie in der EU schützen würde.
Deutschland legt die Rolle der Zivilgesellschaft deutlich restriktiver aus als die verbindlichen und nichtverbindlichen Vorgaben der EU dies vorsehen, und steht damit im Widerspruch mit dem europäischen Verständnis einer politisch engagierten Zivilgesellschaft. Auf EU-Ebene ist die Rolle der Zivilgesellschaft als Schlüsselakteurin für die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten anerkannt – im Verhältnis zu den EU-Institutionen aber auch innerhalb der Mitgliedstaaten. Das ist richtungsweisend und muss sich auch im deutschen Recht widerspiegeln, wenn die Bundesregierung keine Verletzung von Europarecht provozieren will.
Die Zivilgesellschaft will und kann mehr für die Demokratie leisten als sie es in Deutschland gegenwärtig darf. Zivilgesellschaft ist und kann mehr als Feuerwehr und Freiwilligenarbeit. Deutschland sollte dies im eigenen Interesse anerkennen und Organisationen grundlegende politische Partizipationsmöglichkeiten eröffnen, damit sie Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft kritisch beleuchten und sich am demokratischen politischen Prozess beteiligen können – ohne deswegen abgestraft zu werden und um ihr Überleben fürchten zu müssen.
Der europäische Binnenmarkt für gemeinnützige Kooperationen muss umgesetzt und gefördert werden. Derzeit behindert das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht die Bearbeitung gesamteuropäischer Aufgaben. Dazu kommt, dass NGOs, die sich für Asylsuchende und Migrant*innen einsetzen, nicht nur in den Staaten an den europäischen Außengrenzen wie Italien und Griechenland in ihrer Arbeit stark beschränkt sind. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen, werden etwa durch Stigmatisierung und Kriminalisierung bedroht.
Wir brauchen eine umfassende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die Organisationen absichert. Die politische Betätigung zivilgesellschaftlicher Organisationen muss durch klare Regelungen und die Einführung neuer Zwecke wie die Förderung der Grund- und Menschenrechte, sozialer Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit (nur teilweise aufgenommen) und Förderung von Demokratie abgesichert werden.
Zur Methodik der Studie: Die Studie zeigt anhand der bekannten Negativbeispiele Polen und Ungarn die Gefahren für die Zivilgesellschaft. Zugleich veranschaulicht sie Einschränkungen in Ländern wie Slowenien, Frankreich, Spanien und Österreich, die bislang weniger diskutiert werden. Das vorliegende Papier basiert auf den Erkenntnissen der Sekundärforschung und hat eine wesentliche komparative Komponente. Es wurden empirische Forschungsergebnisse aus der Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaft herangezogen, die von anerkannten Forschungseinrichtungen veröffentlicht wurden. Eigene Daten wurden nicht erhoben.
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