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Bericht aus Karlsruhe – Was dürfen Inlandsgeheimdienste?

Das Bundesverfassungsgericht verhandelte am 14. Dezember die von der GFF initiierte Verfassungsbeschwerde gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG). Dabei ging es um die wichtige Frage, welche verfassungsrechtlichen Maßstäbe für Inlandsgeheimdienste gelten.

Bereits die Verhandlung selbst war ein Erfolg für die GFF, da das Gericht nur sehr wenige Fälle mündlich verhandelt. Offensichtlich hatte die von Professor Matthias Bäcker für die GFF eingereichte Beschwerdeschrift bei den Richter*innen viele wunde Punkte getroffen, die der Senat „live“ mit der bayerischen Staatsregierung klären wollte. Zwei Jahre nach der Verhandlung zur Bindung des Auslandsgeheimdiensts BND an das Grundgesetz war es also wieder soweit: Die Arbeit der GFF bot Gelegenheit zur Klärung und Verhandlung wichtiger grundsätzlicher Fragen des Geheimdienstrechts.

Die Covid19-Pandemie machte allerdings auch vor dem höchsten deutschen Gericht nicht halt, und so war die Voraussetzung für die Teilnahme an der Verhandlung ein negativer PCR-Test zusätzlich zur 2G-Regel. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Harbarth, nahm sich zu Beginn die Zeit, um hierfür bei den Anwesenden um Verständnis zu bitten: Das Gericht sei nur beschlussfähig mit mindestens sechs Richter*innen, ein Covid-Ausbruch unter ihnen könne die Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts gefährden.

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GFF-Vorsitzender Ulf Buermeyer zur Verhandlung des Bayrischen Verfassungsschutzgesetzes in Karlsruhe

Zur Einführung in den Fall skizzierte Professor Harbarth den Kern der in diesem Fall relevanten verfassungsrechtlichen Fragen: Es gehe um nicht weniger als das Austarieren des Verhältnisses zwischen einer wehrhaften Demokratie und individuellen Grundrechten.

Den Anfang der Verhandlung bildeten Statements von Professor Bäcker für die Beschwerdeführer, von Professor Lindner für die bayerische Landesregierung und von einer Vertreterin des bayerischen Landtags. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ergriff das Wort und stellte die erweiterten Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes als notwendige Schlussfolgerung aus dem NSU-Komplex dar. Dieses „Framing“ überraschte nicht nur die Beschwerdeführer, die ja wegen ihrer Mitgliedschaft im Bund der Antifaschisten mit einer Überwachung durch den Verfassungsschutz rechnen müssen.

Auch Ulf Buermeyer sprach als Vorsitzender und Legal Director für die GFF und regte in seinem Statement an, das Verfahren zu nutzen, um das Prinzip der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wieder zu stärken. Durch die Einladung, als sogenannte sachkundige Organisation an der Verhandlung teilzunehmen, hatte die GFF erstmals eine eigene Verfahrensrolle vor dem Bundesverfassungsgericht – eine schöne Anerkennung unserer Expertise.

Der Vormittag stand ganz im Zeichen der Wohnraumüberwachung, die in die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG und in das Recht auf Privatleben eingreift. Hier gaben sich insbesondere Richterin Dr. Gabriele Britz und Richter Dr. Andreas Paulus mit den Antworten der bayerischen Landesregierung nicht zufrieden und hakten mehrmals nach. Dabei wurde deutlich, dass das Gesetz keine klaren und praktikablen Vorgaben macht, wo die Befugnisse des Verfassungsschutzes aufhören und wo die der Polizei anfangen (müssten). Kritik übten die Richter*innen auch an den langen Verweisungsketten im BayVSG: Wenn für ein Verständnis davon, was der Verfassungsschutz darf, mehrere Gesetze sowie Gesetzesbegründungen gelesen werden müssten, sei das Prinzip der Normklarheit nicht gewahrt.

Nach der Mittagspause ging es direkt wieder in medias res: Der Begriff der „schwerwiegenden Gefahr“ – im Polizeirecht unbekannt, im BayVSG Voraussetzung für mehrere weitgehende Befugnisse – wurde eingehend besprochen. Innenminister Herrmann plädierte dafür, dass der Verfassungsschutz Gesetze brauche, die „ein flexibles Vorgehen in neuen Situationen erlauben“ und bezog sich auf die Herausforderung durch die Querdenken-Bewegung. Davon unbeeindruckt stellte Richterin Britz die offene Frage: „Passt dieser Gefahrenbegriff wirklich zu Ihrem Problem?“.

Eine Statue der Justitia mit Waage und Schwert in der Hand

Im letzten Abschnitt ging es um die weitgehenden Übermittlungsbefugnisse des Verfassungsschutzes, die das Gesetz kaum eingrenzt. Wieder konterte die bayerische Landesregierung mit einem Verweis auf die Praxis und versicherte: „Wir arbeiten nur mit Behörden, die wir gut kennen.“ Diese Bitte um Vertrauen lenkte den Blick – ungewollt – auf das Fehlen klarer rechtlicher Grenzen im BayVSG.

Als Präsident Harbath gegen 18.30 Uhr den langen Verhandlungstag beendete, stand fest, dass das Verfahren der GFF gegen das BayVSG bereits jetzt ein Erfolg ist: Das Gericht wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest einige der gerügten Vorschriften für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären. Außerdem hat die mündliche Verhandlung viele spannende Einblicke in die Arbeit des sonst so wenig transparenten Verfassungsschutzes gegeben. Einmal mehr wurde deutlich, wie wichtig gut konzipierte Verfassungsbeschwerden gegen ausufernde Sicherheitsgesetze sind. Denn bei allem Werben um Vertrauen durch die bayerische Staatsregierung: Rechtsstaat bedeutet Kontrolle und Transparenz.

Ja, eine wehrhafte Demokratie ist wichtig – vorausgesetzt sie wehrt sich auch gegen die tatsächlichen Gefahren. Doch darf es keine grundrechtsfreien und kontrollfreien Räume geben, auch nicht bei Inlandsgeheimdiensten.

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