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Eingangsstatement von Ulf Buermeyer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundes-verfassungsgericht zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz am 14.12.2021

"Hoher Senat,

meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, dass auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte, für die ich heute hier sprechen darf, als Vertreterin der Zivilgesellschaft und als Initiatorin dieses Verfahrens die Gelegenheit bekommen hat, einige Gedanken beizutragen.

Dieses Verfahren gibt dem Senat die Gelegenheit, einen Begriff wieder mit Leben zu erfüllen und weiter zu entwickeln, der in der rechtspolitischen Diskussion in unserem Land wie eine Selbstverständlichkeit klingt und der doch bisher dogmatisch bemerkenswert unscharf geblieben ist. Es geht um das sogenannte Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei. Dieser Begriff könnte durch das Bundesverfassungsgericht klarer konturiert werden,

indem die verfassungsrechtlichen Spielräume beider Säulen der Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik trennschärfer voneinander abgegrenzt werden. Und zwar mit dem Ziel, den Gesetzgeber zu motivieren, Doppelzuständigkeiten abzubauen und stattdessen möglichst komplementäre Aufgabengebiete zu definieren.

Politisch ist derzeit eine entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten, denn die Unterschiede sind in jüngerer Zeit durch die Politik sehr weitgehend eingeebnet worden. Polizeibehörden haben weitreichende Kompetenzen für Überwachungsmaßnahmen weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr erhalten. Das heißt, die Polizei ist ihrerseits zur Abwehr noch sehr vager Gefahren in der Lage. Parallel dazu wurden aber auch die Erkenntnismöglichkeiten der Geheimdienste konsequent ausgebaut. Im Ergebnis ergibt sich nun eine breite Zone, in der sich die Tätigkeitsfelder beider Säulen überlappen. Schließlich wurden auch die Hürden für den Austausch von Informationen kontinuierlich abgesenkt.

Das Verschwimmen der eigentlich zu trennenden Sphären bringt erhebliche Nachteile mit sich: Es gefährdet zum einen für die Grundrechte, zum anderen aber auch die Effektivität der Abwehr vor z.B. terroristischen Gefahren.

Für die Grundrechte ist das vor allem unter dem Aspekt der sogenannten Überwachungs-Gesamtrechnung ein Problem:

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont, dass Überwachungsmaßnahmen auch in ihrer Summe stets verhältnismäßig sein müssen. In der Praxis fehlt es aber an jedem systematischen Monitoring, welchen Maßnahmen einzelne Personen in der Summe ausgesetzt sind. Nach unserer Kenntnis gilt das schon innerhalb derselben Behörde, umso

mehr aber zwischen Polizei und Geheimdiensten, und erst recht über die Grenzen der Bundesländer hinweg. Selbst Koordinationsgremien wie das Gemeinsame Terror-Abwehr-Zentrum (GTAZ) widmen sich gerade nicht der Prävention einer überschießenden Überwachung oder der Totalausforschung einzelner Personen.

Aber auch für die Gefahrenabwehr bringt die Überlappung von Kompetenzen und Zuständigkeiten erhebliche Nachteile mit sich. Die Mehrfachzuständigkeiten von Polizeien und Geheimdiensten führen nämlich zu einer systematischen Diffusion von Informationen. Schon der Volksmund weiß: viele Köche verderben den Brei! Für die Gefahrenabwehr gilt dies umso mehr: Zuständigkeiten sollten stets klar und eindeutig zugewiesen werden. Denn wenn viele Stellen irgendwie ein wenig zuständig sind, dann erhalten viele jeweils ein partielles Bild der jeweiligen Gefahrenlage. Dann setzt aber keine Stelle mehr die Mosaiksteine zu einem umfassenden Lagebild zusammen. Das GTAZ ist deswegen mehr Symptom einer Fehlentwicklung in der bundesdeutschen Sicherheitsarchitektur denn deren Lösung. Es kann die Fragmentierung der Informationen stets nur partiell ausgleichen, ganz abgesehen davon, dass Übermittlungsvorschriften ihrerseits grundrechtlich anspruchsvoll sind. Eine traurige Konsequenz des ausufernden Kompetenz-Wirrwarrs der Geheimdienste und der Polizeien in Deutschland war der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidtplatz, der trotz zahlreicher Erkenntnisse bei vielen verschiedenen Stellen nicht verhindert wurde.

Der Senat hat nun mit diesem Verfahren die Chance, wichtige Impulse zu geben, indem er das Trennungsgebot weiterentwickelt, indem er nämlich konkreter ausformuliert, welche Aufgaben Geheimdienste unter welchen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen überhaupt wahrnehmen dürfen. So könnte er das Verhältnis der beiden Zweige der Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik neu austarieren.

Aus Sicht der GFF sollte dieses Austarieren darin bestehen, die Spielräume für geheimdienstliche Tätigkeiten zu reduzieren, sowohl was die Erhebung von Daten angeht als auch deren Weitergabe. Geheimdienste sollten sich auf ein im Kern politisches “Frühwarnsystem” beschränken. Sobald sich eine Gefahr hinreichend konkretisiert hat, sollten sie den Fall an die Polizei abgeben, die rechtsstaatlich ungleich besser kontrolliert wird.

So ergäbe sich eine klare Kompetenzverteilung: Geheimdienste sind primär für amorphe Lagen zuständig, also für die Beobachtung gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, Polizeien übernehmen die Abwehr hinreichend konkreter Gefahren. Das wäre in rechtlicher Hinsicht auch keine Revolution, sondern eine konsequente Umsetzung des erweiterten verfassungsrechtlichen Gefahrbegriffs, wie ihn der Senat insbesondere in den Entscheidungen zur Online-Durchsuchung und zum BKA-Gesetz bereits entwickelt hat.

Versteht man das Trennungsgebot in diesem materiellen Sinne – also nicht nur im Sinne getrennter Informationssphären, sondern getrennter Aufgabenschwerpunkte mit eigenen Methoden – so erledigt sich zugleich das Bedürfnis der Geheimdienste nach besonders eingriffsintensiven Maßnahmen wie insbesondere Online-Durchsuchungen.

Hoher Senat, weniger Grundrechtseingriffe bei zugleich effektiverer Gefahrenabwehr:

das ist das Ziel der GFF bei diesem Verfahren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!"

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