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Mein Geschlecht bestimme ich

FAQ Geschlechtseintrag: Warum nicht bei allen Menschen das richtige Geschlecht im Reisepass steht

Fragen und Antworten zu Geschlecht, Geschlechtsidentitäten und deren rechtlicher Anerkennung.
Die GFF unterstützt die Verfassungsbeschwerde von Lann Hornscheidt und den juristischen Kampf für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag. Hier finden Sie die häufige Fragen und Antworten zum Thema.

1. Geschlecht und Recht

1.1 Was für ein Geschlecht können Menschen „offiziell“ haben?

Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister legt fest, welches Geschlecht zum Beispiel im Reisepass eines Menschen vermerkt wird. Neben den Geschlechtseintragungen „männlich“ und „weiblich“ gibt es auch – als so genannte „dritte Option“ – den Eintrag „divers“. Außerdem kann der Eintrag offen gelassen werden. Das Geschlecht muss nach der Geburt eingetragen werden. Vor 2013 gab es nur die Auswahlmöglichkeiten „männlich“ oder „weiblich“. Bei Menschen, die „weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können“, kann seit 2013 der Eintrag offen gelassen oder nachträglich gestrichen werden und seit 2018 auch „divers“ eingetragen werden (§ 22 Abs. 3 PStG).

1.2 Welche Möglichkeiten gibt es, einen falschen Geschlechtseintrag zu korrigieren?

Ein falscher Geschlechtseintrag kann entweder in einem Gerichtsverfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG) oder nach Personenstandsrecht durch Erklärung gegenüber dem Standesamt korrigiert werden. Das TSG sieht nach seinem Wortlaut nur den Wechsel zwischen „männlich“ und „weiblich“ vor. Das Gesetz aus dem Jahr 1981 ist in weiten Teilen verfassungswidrig und sehr umstritten, weil es unter anderem zwei aufwendige psychologischer Gutachten vorsieht, die sehr demütigend sein können.

Seit der Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur „dritten Option“ ist nach Personenstandsrecht eine Korrektur nicht nur in „männlich“, „weiblich“ oder Leerstelle, sondern auch in „divers“ möglich. Für die Korrektur nach Personenstandsrecht muss die jeweilige Person nach dem Gesetzeswortlaut eine ärztliche Bescheinigung über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorlegen oder, wenn das nicht möglich ist, eine eidesstattliche Versicherung abgeben. Umstritten und Gegenstand unserer Verfassungsbeschwerde ist, wie diese Voraussetzungen und insbesondere der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ zu verstehen ist und ob von einer körperlichen Begutachtung abgesehen werden kann und muss.

Fest steht: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht der Körper, sondern die Geschlechtsidentität eines Menschen für das Geschlecht und damit für den Eintrag im Personenstandsregister maßgeblich. Doch momentan werden viele Menschen, deren Körper nicht bereits als intergeschlechtlich diagnostiziert sind oder die sich nicht von Ärzt*innen untersuchen und „kategorisieren“ lassen wollen, von Standesämtern und Gerichten abgewiesen. Sie können ihren Geschlechtseintrag nur nach dem umstrittenen TSG korrigieren lassen und dabei nach dem Wortlaut nur zwischen „männlich“ und „weiblich“ wechseln.

1.3 Was hat das Bundesverfassungsgericht in der Dritten-Options-Entscheidung entschieden?

Das Bundesverfassungsgericht hat am 10. Oktober 2017 entschieden, dass es die Grundrechte von Personen verletzt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, wenn das Personenstandsrecht einen zwingenden Geschlechtseintrag für alle Menschen vorsieht, aber nur die Optionen „männlich“ und „weiblich“ bereithält. Die Option, in Ausnahmefällen den Eintrag offen zu lassen, sei nicht gleichwertig zu einer positiven Bezeichnung.

Zum einen verletze dies das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 iVm Artikel 1 Abs. 1 GG), dessen Aufgabe es sei, die Grundbedingungen dafür zu sichern, dass einzelne Personen ihre Individualität frei entwickeln und wahren können: Dieses Recht schütze auch eine Geschlechtsidentität, die nicht weiblich oder männlich sei. Zum anderen verstoße es gegen das Verbot der Geschlechterdiskriminierung (Artikel 3 Abs. 3 GG), wenn zwar Menschen mit männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentitäten einen passenden positiven Geschlechtseintrag vorfinden, nicht aber Personen, die weder weiblich noch männlich sind.

Das Verfahren betraf eine intergeschlechtliche Person, die – und das war maßgeblich – keine (nur) männliche oder weibliche Geschlechtsidentität hat. Der Gesetzgeber musste daraufhin bis zum 31. Dezember 2018 eine neue Regelung schaffen, die einen positiven dritten Geschlechtseintrag ermöglicht (sogenannte „Dritte Option“).

1.4 Wer kann nach aktueller Rechtslage seinen Geschlechtseintrag zu „divers“ ändern oder streichen lassen?

Es gibt nun seit einer Gesetzesänderung 2018 neben „männlich“, „weiblich“ und Offenlassen auch die Möglichkeit, „divers“ als Geschlecht eintragen zu lassen. Umstritten und Gegenstand unserer Verfassungsbeschwerde ist, unter welchen Voraussetzungen der Geschlechtseintrag gestrichen werden oder ein Eintrag als „divers“ erlangt werden kann.

§ 45b PStG regelt, dass nur Personen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ einen „divers“-Eintrag oder eine Streichung des Geschlechtseintrages erreichen können und fordert ein ärztliches Attest oder, in Ausnahmefällen, eine eidesstattliche Versicherung.

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, dass nicht die körperliche Verfassung, sondern die Geschlechtsidentität entscheidend ist, um das Geschlecht einer Person zu bestimmen. Genau wie einige Gerichte und Standesämter folgen auch wir dieser Auffassung und schließen daraus, dass ein ärztliches Attest keine Voraussetzung für die Korrektur eines falschen Geschlechtseintrags sein darf. Das wollen wir durch das Bundesverfassungsgericht bestätigen lassen.

1.5 Ist die „dritte Option“ nicht zumindest eine gute Lösung für intergeschlechtliche Menschen?

Unbestritten nach der Neuregelung von 2018 ist, dass intergeschlechtliche Menschen ihren Geschlechtseintrag streichen lassen oder korrigieren lassen können. Allerdings können auch intergeschlechtliche Menschen darüber nicht selbst bestimmen: Sie müssen sich zunächst ärztlich untersuchen lassen. Intergeschlechtliche Menschen haben oft traumatisierende Erfahrungen mit Ärzt*innen gemacht. Für die betroffenen Menschen kann das eine enorme Belastung sein.

Zudem ist es unsinnig, dass sie sich körperlich untersuchen lassen müssen, wenn es doch für Geschlecht und Eintrag nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf die Geschlechtsidentität ankommt. In der Praxis bestehen viele Unsicherheiten, weil etwa Standesämter und Gerichte vorgelegte Atteste in Frage ziehen und ohne Basis im Gesetzeswortlaut weitere Konkretisierungen der „Variante der Geschlechtsentwicklung“ verlangen. Das ist für die betroffenen Menschen außerordentlich belastend, auch weil die Anwendung der Vorschriften bundesweit sehr uneinheitlich und damit auch ungerecht ist.

1.6 Welche Geschlechtseinträge gab es bis 2018 und wie konnten sie korrigiert werden?

Seit dem Jahr 2013 gab es in § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) für Eltern die Möglichkeit, bei Kindern, die „weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können“, auf den Geschlechtseintrag zu verzichten. Die Rechtsprechung hat dies in der Folge so ausgelegt, dass auch erwachsene Personen ihren Geschlechtseintrag nachträglich streichen lassen konnten. Genaue Anforderungen dafür waren gesetzlich nicht geregelt und deshalb unklar und umstritten.

Außerdem gab und gibt es das umstrittene und durch das Bundesverfassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärte Transsexuellengesetz (TSG). Das TSG ermöglicht es Menschen, ihren Geschlechtseintrag von „männlich“ zu „weiblich“ oder umgekehrt ändern zu lassen und einen entsprechenden neuen Vornamen festzulegen. Dafür müssen sie aber ein kostenpflichtiges Gerichtsverfahren führen, in dem dann noch zwei teure psychologische Gutachten zu ihrer Geschlechtsidentität erforderlich sind. Das ganze Verfahren wird von vielen Betroffenen als demütigend empfunden.

2. Der Fall von Lann Hornscheidt

2.1 Was hat das Oberlandesgerichts Düsseldorf im Fall von Lann Hornscheidt im Juni 2019 entschieden?

Prof.ens Dr.ens. Lann Hornscheidt hat sich zeitlebens weder als weiblich noch als männlich identifiziert und versteht Geschlecht als eine gesellschaftliche Zwangszuschreibung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschluss vom 11.06.2019 – 25 Wx 76/17) entschied auf Antrag, dass Lann Hornscheidts Geschlechtseintrag nachträglich gestrichen werden könne. Eine ärztliche Bescheinigung über eine Variante der Geschlechtsentwicklung sei dafür nicht erforderlich und wurde von Lann Hornscheidt auch nicht vorgelegt.

Im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des Personenstandsgesetzes müsse die „allein auf subjektiven Empfindungen beruhende Geschlechts(nicht)zugehörigkeit für die Streichung des Geschlechtseintrags“ ausreichen (Rn. 17). Denn das Bundesverfassungsgericht habe bereits deutlich gemacht, dass dem subjektiven Empfinden der Betroffenen bei der Bestimmung des Geschlechts entscheidende Bedeutung zukomme.

2.2 Was hat der Bundesgerichtshof im Fall von Lann Hornscheidt im April 2020 entschieden?

Ganz anders als das Oberlandesgericht Düsseldorf hat im gleichen Fall der Bundesgerichtshof entschieden (Beschluss vom 22. April 2020 – XII ZB 383/19) und Lann Hornscheidt versagt, den Geschlechtseintrag nach den Regelungen des Personenstandsgesetzes streichen zu lassen. Dem Bundesgerichtshof zufolge sollen die Regelungen des Personenstandsgesetzes zur Änderung des Geschlechtseintrages vielmehr „das Fehlen einer eindeutig weiblichen oder männlichen körperlichen Geschlechtszuordnung“ voraussetzen (Rn. 18). Das Personenstandsregister in seiner Gesamtheit knüpfe an biologisches Geschlecht an (Rn. 25). Wer also, wie die beschwerdeführende Person, nicht durch ärztliche Atteste belegt, intergeschlechtlich zu sein, könne ungeachtet der Geschlechtsidentität nicht nach dem Personenstandsgesetz die Änderung oder Streichung der Geschlechtsangabe erreichen. Stattdessen müsse diese nach dem Transsexuellengesetz (analog) einen Antrag beim Amtsgericht stellen.

2.3 Warum verletzt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Grundrechte?

Der Beschluss des BGH basiert auf der wissenschaftlich mittlerweile überholten Annahme, dass ein menschlicher Körper entweder „männlich“ oder „weiblich“ ist. Stand der Forschung ist, dass „Geschlecht“ ein Spektrum ist – ein Beispiel sind die individuell unterschiedlichen Östrogen- oder Testosteronspiegel von Personen.

Das Geschlecht einer Person und den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister dann (nur) an körperlichen Merkmalen festzumachen, steht auch in deutlichem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Zur Änderung ihres Geschlechtseintrags verweist der BGH die beschwerdeführende Person zudem auf Grund ihres Körpers auf ein deutlich nachteiliges Verfahren nach dem Transsexuellengesetz . Das verstößt gegen das Verbot der Geschlechterdiskriminierung. Der Beschluss darf deshalb aus grund- und menschenrechtlicher Sicht keinen Bestand haben.

3. Geschlechtsidentität

3.1 Was heißt queer?

Der Begriff „Queer“ ist ein offener, politischer Sammelbegriff für Menschen aus dem LGBTQIA* Spektrum, also insbesondere Menschen, deren Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung nicht ohne weiteres in die Kategorien „cis männlich oder cis weiblich“ und/oder „heterosexuell“ passt.

3.2 Was bedeuten trans, cis und nicht-binär?

Das Adjektiv trans bezeichnet Menschen, deren tatsächliches Geschlecht nicht oder nur teilweise mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Beispielsweise ist eine weibliche Person, der bei Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde, eine trans Frau. Eine Person, der bei Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde, die aber tatsächlich männlich ist, ist ein trans Mann.

Das Adjektiv cis ist der Gegenbegriff zu trans und bezeichnet Menschen, deren tatsächliches Geschlecht vollständig mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Als nicht-binär bezeichnen sich Menschen, die weder (ausschließlich) männlich noch (ausschließlich) weiblich sind.

3.3 Was ist Intergeschlechtlichkeit oder Inter?

Intergeschlechtlichkeit bedeutet, dass die körperlichen Merkmale eines Menschen von bestimmten restriktiv definierten Normen für ein „weibliches“ oder „männliches“ Geschlecht abweichen – beispielsweise hinsichtlich Chromosomen, Hormone oder äußeren Geschlechtsorganen. Wichtig ist, dass ein intergeschlechtlicher Mensch z.B. männlich, weiblich oder nicht-binär sein kann – je nachdem, welche Geschlechtsidentität die Person hat. Inter wird auch als emanzipatorischer Überbegriff für die vielfältigen intergeschlechtlichen Realitäten und Körperlichkeiten verwendet. „Intersexualität“ ist hingegen ein missverständlicher Begriff, weil Intergeschlechtlichkeit nichts mit Sexualität zu tun hat.

3.4 Können Menschen auch gar kein Geschlecht haben?

Ja. Es gibt Menschen, die kein Geschlecht haben und/oder Geschlecht als Kategorie ablehnen und sich zum Beispiel als genderlos, ex-gender oder agender bezeichnen.

4. Wer ist die „Aktion Standesamt 2018“ und wofür setzt sie sich ein?

4.1 Wer ist die „Aktion Standesamt 2018“ und wofür setzt sie sich ein?

Die „Aktion Standesamt 2018“ setzte sich nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag ein, der offen und möglichst barrierefrei sein sollte. Zum Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht für den Gesetzgeber gesetzten Frist für die Einführung eines dritten Geschlechtseintrags hatte die Aktion deutschlandweit dazu aufgerufen, Anträge bei Standesämtern auf einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag zu stellen. An dieser Aktion beteiligten sich über hundert Menschen.

Nachdem der Gesetzesentwurf deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, versuchen einige der antragstellenden Personen unterstützt durch ein Netzwerk exzellenter und engagierter Jurist*innen ihr Recht auf einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag gerichtlich durchzusetzen. Zu den beteiligten Jurist*innen zählen unter anderem die Anwältinnen Friederike Boll, Katrin Niedenthal und Inken Stern. Die Aktion Standesamt setzt sich, genau wie die GFF, unter anderem auch dafür ein, dass ein Geschlechtseintrag ohne Attestpflicht möglich sein muss.

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