Gespräch mit Sozialarbeiterin und Klägerin Anja Merkel
GFF: Liebe Frau Merkel, Sie arbeiten als Sozialarbeiterin in der Mobilen Jugendarbeit. Können Sie ein paar Worte zu Ihrer Arbeit sagen?
Anja Merkel: Meine Aufgabe ist es, junge Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren zu begleiten. Mobile Jugendarbeit (MJA) wendet sich vor allem den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu, die von herkömmlichen Angeboten der Jugendhilfe nicht mehr erreicht werden. Mit Hilfe von Streetwork, Cliquen- und Szenearbeit erfasst die MJA die Lebenssituation der Jugendlichen ganzheitlich und nimmt sowohl ihre individuellen Belange in den Blick als auch ihre soziale Umgebung und den Stadtteil, in dem sie leben.
Sie sind Teil einer Gruppe von Menschen, die gegen das Sächsische Polizeivollzugsdienstgesetz klagt. Was motiviert Sie, vor Gericht zu gehen?
Junge Menschen werden nach unserer Beobachtung immer misstrauischer gegenüber staatlichen Institutionen. Sie erleben in Behörden oft herabwürdigende Umgangsweisen, können nur schwer ihre Rechte durchsetzen und sind, insbesondere als Angehörige benachteiligter Bevölkerungsgruppen oder Zugehörige bestimmter Szenen, von polizeilichen Kontrollen und ordnungspolitischen Maßnahmen besonders betroffen. Diese Maßnahmen führen zu einer noch stärkeren Verdrängung und Ausgrenzung.
Inwiefern beeinträchtigt Sie das sächsische Polizeigesetz in Ihrer Arbeit?
Das sächsische Polizeigesetz ermächtigt Polizeibehörden und Vollzugsdienste in noch stärkerem Maße als bisher, in verfassungsmäßige Rechte einzugreifen oder diese zu unterwandern. Dazu zählt zum Beispiel dass Menschen, die im Verdacht stehen eine Straftat zu begehen, mit Kontaktverboten belegt werden können. Dies kann unmittelbar auch meine Arbeit mit Betroffenen berühren. Einige meiner Jugendlichen befinden sich in äußerst schwierigen Lebenslagen, sind von Armut und/ oder Sucht betroffen und häufig auch straffällig geworden (z.B. Beschaffungskriminalität). Manche haben teils auch schwere Straftaten begangen. Mir ist es wichtig, dass ich dennoch sozialpädagogisch mit den Betroffenen arbeiten kann, ohne fürchten zu müssen, dass Kontakte unterbunden werden.
Teil des neuen Gesetzes ist eine intelligente Videoüberwachung im Straßenverkehr zur Eindämmung grenzüberschreitender Kriminalität. Auch Plauen fällt im Rahmen der festgelegten Richtlinie von 30km in die überwachte Zone. Wie bewerten Sie solche Maßnahmen und was löst dieses Konzept der Videoüberwachung in Ihnen aus?
Unser Verein hat sich über Spendengelder ein Dienstfahrzeug angeschafft. Mit diesem Transporter fahren wir unter anderem regelmäßig die Treffpunkte junger Menschen an. Mit an Bord des Fahrzeuges sind Informationsmaterialien, pädagogische Spiele und Kontaktangebote. Mit der intelligenten Videoüberwachung können Bewegungsprofile unseres Fahrzeuges erstellt werden und per Kameraüberwachung und Gesichtserkennung beobachtet werden, welche Orte wir anfahren, wie lange wir uns dort aufhalten, wen wir dort treffen und was wir tun. Diese Daten können durchaus von großem Interesse für die Polizei sein.
Über solche Gefahren, denen die Jugendlichen nun auch durch unsere Arbeit ausgesetzt sind, müssen wir entsprechend aufklären und riskieren damit Kontaktabbrüche und den Verlust von Vertrauen in uns und unsere Angebote. Vor allem aber führen solche umfangreichen Überwachungsbefugnisse der Polizei zu einer Verlagerung der Trefforte in andere Gebiete oder in private Bereiche. Das heißt auch, dass bestimmte Gruppierungen sich von der Gesellschaft abwenden und schwieriger Zugang zu Hilfeangeboten erhalten.
Haben Sie selbst schon negative Erfahrungen mit der Polizei im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit gemacht?
Unsere Erfahrungen mit der Polizei sind sowohl positiver als auch negativer Art. Einerseits erleben wir Angehörige der Polizei und Polizeibehörden als hilfs- und gesprächsbereit, wenn sich junge Menschen an sie wenden. Andererseits haben wir auch erlebt, dass Polizisten im öffentlichen Raum gezielt bestimmte Gruppierungen in den Fokus nehmen, junge Menschen ohne konkreten Verdacht durchsuchen, unbestimmte Platzverweise erteilen und ihre Maßnahmen auf ganze Gruppen ausdehnen, ohne dass dafür eine Rechtfertigung vorlag. Solches Verhalten zerstört Vertrauen, das wir dringend brauchen. Denn diese Jugendlichen sind aufgrund vorangegangener Erfahrungen mit staatlichen Institutionen ohnehin schon unsicher. Sie werden oft zu Opfern staatlicher Repressionen und sind nun durch die neu hinzugekommenen Befugnisse der Polizei noch mehr dieser Gefahr ausgesetzt.
Was für einen Einfluss hat so ein Gesetz auf ihre (Zusammen-)arbeit mit den Jugendlichen?
Wir selbst machen uns strafbar nach §203 StGB, wenn wir Angelegenheiten unserer Klientel, die uns anvertraut wurden, preisgeben. Mittlerweile ist es jedoch in unserem Beruf immer schwieriger, Verschwiegenheit zu garantieren, wenn wir damit rechnen müssen, dass wir von polizeilicher Überwachung betroffen sind. Ebenso sind wir darauf angewiesen, die Kontakte zu unseren Adressaten aufrechterhalten zu können, ohne dass die Polizei dies mittels Kontaktverboten unterbinden kann.
Welche Gefahren sehen Sie in einem solchen Gesetz für die Zukunft und Rehabilitationsmöglichkeiten der Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten?
Der Schutz, den junge Menschen in der Gesellschaft finden müssen, um ihren Weg ins Erwachsenenleben zu gehen, ist unentbehrlich. Dazu müssen ihnen jedoch, gerade wenn sie sich in schwierigen Lebenslagen befinden, Wege offenstehen, sich vertrauensvoll Hilfe zu suchen. Wenn das Vertrauen der jungen Menschen in Hilfeangebote, aber auch in die Rolle der Polizei schwindet, werden sie sich zurückziehen. Wir beobachten diese Entwicklung schon seit einiger Zeit – dass Menschen am Rande der Gesellschaft von Politik, von sozialen Angeboten, von Kultur und Sport kaum noch erreicht werden, ihr Misstrauen wächst und sie sich eigene Wege in ihrem Netzwerk suchen. Das muss nicht zwangsläufig negativ sein, dennoch ist die Gefahr groß, dass wir durch immer stärker ausgebaute Ermächtigungen staatlicher Behörden Menschen tatsächlich verlieren.