Stellungnahme: Auch Petitionen an nicht-staatliche Akteur*innen wie Unternehmen müssen gemeinnützig sein
Online-Petitionsplattformen wie change.org oder openPetition bieten die Möglichkeit, Petitionen, Initiativen und Kampagnen zu starten – in ein paar einfachen Schritten und wenn gewünscht mit Beratung. Dadurch fördern sie die demokratische Mitwirkung und Beteiligung von Millionen von Bürger*innen sowie das politisches Verantwortungsbewusstsein.
Seit dem Attac-Urteil: Das Schicksal der Petitionsplattformen in der Schwebe
Seit 2019 geraten die Petitionsplattformen zunehmend unter Druck, weil die Finanzämter damit drohen, den Gemeinnützigkeitsstatus abzuerkennen. Die Finanzämter begründen die Aberkennung zusammengefasst so: Nach dem Attac-Urteil seien “allgemeine politische Betätigung” und eine “Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung” nicht gemeinnützig. Solch ein politisches Engagement sei nur zulässig, soweit es einem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden kann – und auch dann nur, wenn das politische Engagement nicht den Mittelpunkt der Tätigkeit darstellt.
Die anerkannten Zwecke spiegeln allerdings nur sehr begrenzt die Anliegen wider, für die Bürger*innen sich politisch einsetzen möchten. Auch nach den Reformen durch das Jahressteuergesetz 2020 fehlen immer noch Zwecke wie die Förderung von “Grund- und Menschenrechten” oder der “sozialen Gerechtigkeit”.
Die Bürgerbewegung und Kampagnenplattform Campact, die Bürger*innen ebenfalls dazu ermuntern und dabei unterstützen will, sich in politische Debatten einzumischen, hat ihre Gemeinnützigkeit bereits verloren. Seitdem besteht für viele Petitionsplattformen Unsicherheit, ob sie ihre Arbeit wie bisher auf die Zwecke “Demokratieförderung” und “politische Bildung” stützen können. Einige Vereine mussten zwei Jahre auf die endgültigen Entscheidungen der Finanzämter warten – darunter der Verein Change.org e.V., der Deutschlands größte Online-Petitionsplattform betreibt, und von der GFF in der rechtlichen Auseinandersetzung unterstützt wird.
Neue Auslegung der Demokratieförderung problematisch
Nun hat sich die Finanzverwaltung länderübergreifend auf eine neue Auslegung des Zweckes “Demokratieförderung” geeinigt, wie die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen gegenüber Change.org bestätigte. Nach der neuen Auslegung können sich Petitionsplattformen nun zwar auf den Zweck der “Förderung des demokratischen Staatswesens” berufen. Dies allerdings nur, soweit sich die Petitionen an staatliche Stellen richten. Petitionen an private Akteur*innen dürfen von der Petitionsplattform nicht zugelassen werden oder sind mit Kosten für die Petent*innen zu belegen. Damit wären Petitionen an nichtstaatliche Stellen, wie zum Beispiel zur fairen Behandlung der Mitarbeiter*innen bei Amazon oder auch an die Allgemeinheit wie die Petition “Für ein buntes Deutschland – eine Million Unterschriften gegen Pegida!” nicht gemeinnützig. Die Beratung zu Petitionen soll hingegen vollständig unter den Zweck “(politische) Bildung” fallen, unabhängig davon, welches Ziel die Petent*innen verfolgen.
Diese Auslegung stellt die Petitionsplattformen vor ein Dilemma. Da die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ihr die finanzielle Grundlage entzieht und der Gemeinnützigkeitsstatus häufig auch an die Benutzung von Räumen gekoppelt ist, hat sich die Petitionsplattform OpenPetition bereits dazu entschlossen, Petitionen, die sich an Private richten, kostenpflichtig zu machen. Obwohl die ihrem Grundverständnis von demokratischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischer Wirksamkeit der Bürger*innen widerspricht.
Wenn weitere Petitionsplattformen folgen, verfestigt sich im Gemeinnützigkeitsrecht ein gefährliches Demokratieverständnisses. Eine Aufspaltung in gemeinnützige Anliegen, die sich an staatliche Adressat*innen richten, und nicht-gemeinnützige Anliegen, die sich an private Akteur*innen wie Unternehmen richten, findet nach Auffassung der GFF weder im Gemeinnützigkeitsrecht noch im Grundgesetz eine Stütze.
Petitionen sind in all ihren Formen Teil der politischen Bildung
Nach richtiger Auslegung der Zwecke “Demokratieförderung” und “politische Bildung” kann es für die Gemeinnützigkeit nicht entscheidend sein, ob sich die Petition an eine staatliche Stelle oder an eine*n private*n Akteur*in.
Die politische Bildung ist als gemeinnütziger Zweck anerkannt und setzt sich aus der Volksbildung und der Förderung des demokratischen Staatswesens zusammen. Ein modernes Verständnis von politischer Bildung versteht darunter die Förderung politischer Handlungsfähigkeit und partizipatives gesellschaftspolitisches Handeln – also die Befähigung zur Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.[1] Politische Bildung ist mithin Demokratieförderung und durch demokratische Beteiligung wird politische Bildung fortgeschrieben.
Gesellschaftspolitische Teilhabe beschränkt sich nicht auf das Verhältnis zwischen Bürger*innen und staatlichen Akteuren wie Regierungen, Verwaltung oder Parlamente, sondern kann sich auch in Kritik an privaten Akteuren wie beispielsweise Unternehmen oder relevanten Persönlichkeiten äußern. So würde wohl niemand in Abrede stellen, dass eine Demonstration vor einem Modehaus gegen Kinderarbeit oder eine öffentlich geäußerte Kritik an dem Beitrag der Autoindustrie zum Klimawandel elementarer Teil demokratischer Teilhabe ist. Die Meinungsfreiheit aus Art. 5 des Grundgesetzes (GG) und die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG sind als für eine Demokratie wesentliche Grundrechte anerkannt, in deren Schutzbereich selbstverständlich auch Verhalten fällt, das private Akteur*innen adressiert. Dementsprechend erschöpft sich politische Teilhabe keineswegs in dem in Art. 17 GG verankerten Recht, sich mit Bitten oder Beschwerden an staatliche Stellen zu wenden.
Eine Begrenzung demokratischer Teilhabe auf die Adressierung staatlicher Akteure wird auch der gesellschaftspolitischen Realität nicht gerecht. Große Unternehmen gewinnen zunehmend an Einfluss und Macht. Ihre Handlungen beeinflussen in erheblichem Maße unser aller Leben, als Arbeitgeber*in, als Produzent*in, als Finanzmarktakteur*in und als Dienstleister*in. Unternehmen nehmen selbst im erheblichen Umfang am politischen Diskurs teil und setzen in der politischen Arena ihre Interessen durch.
Der zunehmenden Bedeutung privatwirtschaftlicher Akteur*innen gerade auch in grundrechtssensiblen Bereichen entspricht eine zunehmende grund- und menschenrechtliche Bindung dieser Akteur*innen. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass die mittelbare Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staates gleichkommen kann, soweit private Unternehmen in Funktionen des Staates eintreten, und z.B. Aufgabe der Daseinsvorsorge übernehmen (vgl. BVerfGE 128, 226 (247 f.).
Die GFF setzt sich daher dafür ein, dass die Finanzverwaltung die Zwecke der Demokratieförderung und der politischen Bildung im Sinn des Grundgesetzes und eines modernen Demokratie- und Bildungsverständnisses auslegt. Petitionsplattformen dürfen bei der Förderung der demokratischen Teilhabe nicht weiter beschnitten werden.
Weitere Informationen
- Die Arbeit der GFF zu Gemeinnützigkeit und politischem Engagement
- Rechtsgutachten “Politische Betätigung gemeinnütziger Körperschaften” (PDF, 74 S., 1 MB, veröffentlicht am 2. Mai 2020)
[1] Europarats-Charta zur Politischen Bildung und Menschenrechtsbildung, Empfehlung CM/Rec(2010)7 des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten. Strasbourg, abrufbar unter https://rm.coe.int/1680489411; 16. Kinder- und Jugendbericht „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“, BMFSFJ, 11.11.2020, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/162232/27ac76c3f5ca10b0e914700ee54060b2/16-kinder-und-jugendbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf; Peter Massing, Die vier Dimensionen der Politikkompetenz, 6.11.2012, Bundeszentrale für politische Bildung, abrufbar unter http://www.bpb.de/apuz/148216/die-vier-dimensionen-der-politikkompetenz.