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Rückschlag für Grundrechte: Bundesverwaltungsgericht beschneidet den Schutz der Wohnung für Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen – Bündnis plant Verfassungsbeschwerde

Leipzig, 15. Juni 2023 – Das Bundesverwaltungsgericht entschied heute über zwei Klagen geflüchteter Menschen und versagte den Bewohner*innen von Erstaufnahmeeinrichtungen den Schutz ihrer Grundrechte. Das Gericht sah die weiten Betretungs- und Kontrollrechte, die eine Hausordnung in Freiburg dem Sicherheitspersonal einräumte, als grundrechtlich zulässig an. Allerdings müssten diese Einschränkungen durch ein Gesetz geregelt werden. Ebenso billigte das Gericht die Praxis, kleine Wohnheimzimmer zum Zweck der Abschiebung zu jeder Tageszeit auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu durchsuchen.

Beide Klageverfahren wurden von einem Bündnis von Organisationen unterstützt, dem die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF), PRO ASYL, die Aktion Bleiberecht Freiburg und der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg angehören. Das Bündnis sieht in dem Urteil die Bestätigung der anhaltenden Praxis, die Rechte von Geflüchteten unzulässig zu beschneiden, um migrationspolitische Zeichen zu setzen. Die angegriffenen Maßnahmen verletzen den Schutz der Wohnung und die Privatsphäre der Bewohner*innen. Um das gerichtlich durchzusetzen, plant das Bündnis nun den Gang zum Bundesverfassungsgericht.

„Die Vorgaben des Grundgesetzes zum Schutz der Wohnung sind glasklar und einen Grundrechtsschutz zweiter Klasse gibt es nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat heute den in Erstaufnahmeeinrichtungen lebenden geflüchteten Menschen diesen Grundrechtsschutz versagt – das ist ein schwerer Rückschlag für die Betroffenen und für den Rechtsstaat“, kritisiert Sarah Lincoln, Rechtsanwältin und Fallkoordinatorin bei der GFF.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied zum einen, dass die Kontrollrechte in der Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg zwar in die Grundrechte der Bewohner*innen eingriff – sah diese Eingriffe jedoch gerechtfertigt an, um Gefährdungslagen zu begegnen. Allerdings müssten diese Möglichkeiten in einem Gesetz geregelt und sehr restriktiv genutzt werden. Dieses Verfahren wird über den Rechtshilfefonds von PRO ASYL gefördert.

Zum anderen bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die deutschlandweit verbreitete Praxis, nach der Wohnheimzimmer zur Durchführung von Abschiebungen auch ohne Durchsuchungsbeschluss betreten werden. In der polizeilichen Betretung kleiner Wohnheimzimmer sieht das Gericht keine Durchsuchung.

„Schlimm genug, dass Länder und Kommunen auf dem Rücken geflüchteter Menschen für eine unwürdige, schlechte Unterbringung sorgen, um migrationspolitische Abschreckungssignale zu senden. Dass ein höchstes Gericht dieser Praxis jetzt auch noch die Vereinbarkeit mit Grundrechten attestiert, ist eine rechtsstaatliche Schande“, kritisiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

„Das heutige Urteil stützt leider die verbreitete Praxis, geflüchtete Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen zu schikanieren“, bedauert Ben Bubeck von der Aktion Bleiberecht, die sich seit Jahren für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten einsetzt.

„In der Erstaufnahmeeinrichtung haben wir uns wie im Gefängnis gefühlt. Nachts blockierten wir die Türen, damit niemand reinkommt“, sagt Emmanuel Annor, Kläger aus Freiburg. „Dass ein Gericht diese Zustände bestätigt, ist schrecklich. Wir müssen endlich als Menschen mit Rechten anerkannt werden.“

Die Beschneidung der Rechte von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen ist ein Beispiel von vielen für Vorstöße aus Politik und Verwaltung, Asylsuchenden den geltenden Schutz ihrer Grundrechte zu verweigern. Die GFF strengt regelmäßig – häufig im Bündnis mit anderen Organisationen – Gerichtsverfahren an, um dieser Diskriminierung ein Ende zu setzen. Auch jetzt plant das Bündnis mit den Klägern gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerde einzulegen.


Weitere Informationen:
Zum Fall Hausordnungen Freiburg:
https://freiheitsrechte.org/themen/soziale-teilhabe/hausordnung

Zum Fall Polizeirazzia Ellwangen:
https://freiheitsrechte.org/themen/soziale-teilhabe/lea-ellwangen

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau, Tel. 01579/2493108
presse@freiheitsrechte.org

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