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Polizeieinsätze in der LEA Ellwangen Flur von Tentes, lizensiert unter Pixabay License
gleiche Rechte und soziale Teilhabe
Art. 13

Polizeieinsätze in der LEA Ellwangen und in Berlin

Die Polizei stürmt immer wieder Geflüchteten-Unterkünfte ohne Durchsuchungsbeschluss, um Menschen abzuschieben – so auch in Ellwangen und Berlin. Wir unterstützen die Klage zweier Geflüchteter gegen diese Grundrechtsverletzung.

Die GFF unterstützt die Klage eines Geflüchteten gegen Polizeieinsätze in der Landeserstaufnahmeinrichtung (LEA) in Ellwangen. Gegenstand war eine großflächige Polizeirazzia in der Unterkunft am 3. Mai 2018 sowie die Durchsuchung seines Zimmers am 20. Juni 2018, um ihn abzuschieben. Im Juni 2023 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung vollumfänglich auch in Geflüchteten-Unterkünften gilt. Es wies die Klage gegen die nächtliche Zimmerdurchsuchung zum Zwecke der Abschiebung dennoch als unbegründet zurück. Gemeinsam mit PRO ASYL haben wir im Oktober 2023 dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben. Eine weitere Verfassungsbeschwerde haben wir im Februar 2025 mit PRO ASYL und einem Geflüchteten erhoben, dessen Wohnheimzimmer in Berlin 2019 mit einem Rammbock gestürmt wurde. Die eingereichten Verfassungsbeschwerden zielen darauf ab, dass das Bundesverfassungsgericht die geltenden Standards zum Schutz der Wohnung klarzieht.
Sarah Lincoln

Sarah Lincoln

Juristin und Verfahrenskoordinatorin

„Die Klarstellung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung vollumfänglich auch in Geflüchteten-Unterkünften gilt, war wichtig. Das ist aber wenig wert, wenn Gerichte und Gesetzgebung diesen Schutz unterlaufen. Um das zu stoppen, gehen wir nach Karlsruhe."

Am 15. Juni 2023 verhandelte das Bundesverwaltungsgericht unsere Klage gegen die Polizeimaßnahme in der LEA Ellwangen im Jahr 2018. Ein Ziel unserer Klage war zu bestätigen, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung grundsätzlich auch für die Zimmer von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen gilt. Das konnte die GFF erreichen: Das Gericht stellte klar, dass Zimmer von Geflüchteten – wie Privatwohnungen auch – nur unter den engen Voraussetzungen der Unverletzlichkeit der Wohnung betreten werden dürfen. Es erteilte damit der Auffassung der Vorinstanz eine klare Absage, wonach – ähnlich wie bei Geschäftsräumen – für Wohnheimzimmer nicht der volle Schutz aus Art. 13 GG gelte. Dabei senkte das Gericht die geltenden Standards aber unzulässig ab.

In der Betretung des Zimmers, um den Kläger zum Zweck der Abschiebung zu ergreifen, sah das Gericht keine Durchsuchung, da der Kläger im Zimmer sofort aufzufinden gewesen sei. Auch für eine bloße Betretung ist eine dringende Gefahr nötig, die das Gericht in der Ausreisepflicht des Klägers sah.
Eine dringende Gefahr setzt jedoch eine Ausnahmesituation voraus, in der ein wichtiges Rechtsgut wie Leib oder Leben gefährdet ist. Nur dann kann das Eindringen in den privaten Lebensraum zulässig sein. Letztlich hebelte das Gericht den Schutz des Wohnraums in Geflüchteten-Unterkünften durch die Hintertür aus. Die GFF erhebt gemeinsam mit PRO ASYL und dem Kläger Alassa Mfouapon Verfassungsbeschwerde. Mehr dazu in unserem FAQ: Kein Grundrechtsschutz zweiter Klasse für Geflüchtete.

Durchsuchungen ohne richterlichen Beschluss

Am 3. Mai 2018 fand in der LEA ein massiver Polizeieinsatz statt, bei dem die Zimmer aller Bewohner*innen durchsucht, Identitätskontrollen durchgeführt und viele Bewohner mit Handschellen gefesselt wurden. Anlass war die Abschiebung eines Mannes aus Togo, die einige Tage zuvor am friedlichen Widerstand der Bewohner*innen gescheitert war. 500 bis 600 Polizist*innen durchsuchten dabei die Zimmer der Bewohner*innen, darunter auch Sondereinheiten und Polizeihunde. Die Polizei legte dabei für keine der Durchsuchungen den erforderlichen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vor.

Einer der Wortführer des Widerstands der Geflüchteten, Alassa Mfouapon, wurde am 20. Juni 2018 aus der Einrichtung abgeholt und abgeschoben. Auch hier fehlte ein Gerichtsbeschluss zum Durchsuchen seines Zimmers; zudem wurde er von den Polizeibeamt*innen so massiv gefesselt, dass er Verletzungen davontrug. Im September 2018 hat Alassa Mfouapon vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die Polizeimaßnahmen geklagt. Seit Februar 2019 unterstützt die GFF die Klage.

Teilerfolge vor den Verwaltungsgerichten

Am 19. Februar 2021 entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart (AZ 1 K 9602/18): Die Groß-Razzia im Mai 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen war unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Das Gericht war jedoch der Auffassung, dass es sich bei den Schlafzimmern in Geflüchteten-Unterkünften nicht um geschützte Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes handelt. Ein Durchsuchungsbeschluss sei nicht erforderlich gewesen – auch nicht für die Abschiebung am 20. Juni 2018.

Gegen dieses Urteil hatte der Kläger mit Unterstützung der GFF Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof entschied am 28. März, dass die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften zwar geschützte Wohnräume im Sinne des Art. 13 Grundgesetz seien. Allerdings schränkte das Gericht den Grundrechtsschutz erheblich ein (AZ 1 S 1265/21).

Die hiergegen eingelegte Revision verhandelte das Bundesverwaltungsgericht im Juni 2023 und bestätigte die Unverletzlichkeit der Wohnung für die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften (BVerwG 1 C 10.22). Allerdings riss das Gericht gleichzeitig die hoch gesetzten Hürden des grundrechtlichen Schutzes der Wohnung ein. Dieser Schutz muss uneingeschränkt gelten. Es darf für Geflüchtete keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse geben.

Eine Abschiebung aus dem Schlafzimmer ist eine Wohnungsdurchsuchung

Betritt die Polizei ein Schlafzimmer in einer Geflüchteten-Unterkunft, um einen Bewohner zwecks Abschiebung zu ergreifen, handelt es sich um eine Durchsuchung und es ist ein richterlicher Beschluss erforderlich.

Die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt unabhängig davon, wie groß der Raum ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob die zu ergreifende Person auf einen Blick erkennbar ist oder sich in einem durch einen Sichtschutz abgetrennten Bereich aufhält. Andernfalls hinge der Grundrechtsschutz von Zufällen wie der Größe und Überschaubarkeit einer Wohnung ab.

Entscheidend ist vielmehr der Zweck der Maßnahme: Verfolgt die Polizei beim Eindringen in die Wohnung den Zweck, eine Person oder eine Sache zu ergreifen, dann handelt es sich um eine Durchsuchung.

Weitere Verfassungsbeschwerde gegen Eindringen mithilfe von Rammbock

Im Februar 2025 haben wir eine weitere Verfassungsbeschwerde gegen eine Zimmerdurchsuchung zum Zweck der Abschiebung erhoben. Die Polizei war 2019 morgens mit einem Rammbock in das Zimmer des Beschwerdeführers in einem Übergangswohnheim in Berlin eingedrungen. Eine richterliche Anordnung hatten sie nicht, als sie in das Zimmer eindrangen, um ihn zu ergreifen und abzuschieben.

Die Polizei stützte sich dabei auf die 2019 eingeführte Regelung § 58 Abs. 5 AufenthG, die festlegt, dass es sich um ein reines „Betreten” handelt, wenn die Behörde zur Ergreifung der Person zwecks Abschiebung in eine Wohnung eindringt und Tatsachen dafür vorliegen, dass sich die Person in der Wohnung befindet. Mit dieser verfassungswidrigen „Feststellung“ wird der Schutz der Wohnung per Gesetz ausgehöhlt. Die deutschlandweite grundrechtswidrige Praxis, Zimmerdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbeschluss durchzuführen, wurde damit legitimiert und verfestigt. Wir greifen diese Rechtsgrundlage mit unserer Verfassungsbeschwerde an, die wir gemeinsam mit Rechtsanwalt Christoph Tometten erhoben haben. Die Regelung verstößt in zweierlei Hinsicht gegen die grundrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zum Schutz der Wohnung:

Das Eindringen in eine Wohnung mit Rammbock zur Ergreifung einer Person ist keine bloße Betretung, sondern eine Durchsuchung. Dafür fordert Art. 13 Abs. 2 GG eine richterliche Anordnung. Selbst wenn man in diesem polizeilichen Vorgehen nur ein Betreten sieht, ist dafür nach Art. 13 Abs. 7 GG eine dringende Gefahr nötig, die nicht im Zweck der Abschiebung liegt.

Wie wollen ein Grundsatzurteil gegen die rechtswidrige Abschiebepraxis

Die Unverletzlichkeit der Wohnung gehört zu den in der Verfassung verankerten Grundrechten. Die eigene Wohnung dient allen Menschen als Rückzugsort. In dieses Recht darf der Staat nur im Ausnahmefall eingreifen. Mit der derzeitigen Abschiebepraxis und der grundrechtswidrigen Rechtsgrundlage § 58 Abs. 5 AufenthG wird dieses Recht systematisch verletzt.

Dringend erforderlich ist deshalb eine höchstrichterliche Entscheidung, die diese Grundrechtsverletzung in ganz Deutschland beendet. Es gibt keine Grundrechte zweiter Klasse für Geflüchtete!

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