Wenig Nutzen, viel Schaden: EU-Kommission gefährdet Privatsphäre und Anonymität im Internet durch ihren Entwurf einer Chatkontrolle-Verordnung
Berlin/Brüssel, 10. Oktober 2022 - Anlässlich der heutigen Vorstellung des Entwurfs für eine Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Chatkontrolle-Verordnung) im federführenden Ausschuss für bürgerliche Freiheiten durch EU-Kommissarin Ylva Johansson kommentiert Felix Reda, Projektleiter bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments:
„Der Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt ist ein wichtiges Ziel, das Grundrechtseingriffe rechtfertigen kann. Der Verordnungsentwurf sieht jedoch keine geeigneten Werkzeuge vor, dieses Ziel zu erreichen, und stellt alle bisherigen Überwachungsgesetze in den Schatten. Er ist ein Angriff auf die Verschlüsselung und die anonyme Internetnutzung. Auf diese Möglichkeiten sind unter anderem Betroffene von Gewalt, aber auch Berufsgeheimnisträger*innen besonders angewiesen. Die geplante flächendeckende und anlasslose Durchleuchtung privater Chatkommunikation verletzt den Kern des Rechts auf Privatsphäre. Wir appellieren an die Abgeordneten des Europaparlaments, diesen Angriff auf die Grundrechte zu stoppen, ehe der Europäische Gerichtshof es tun muss.“
„Durch den geplanten Einsatz unausgereifter Filtersysteme können Menschen massenhaft unschuldig ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten. Unsere Informationsfreiheitsanfrage hat offengelegt, dass EU-Kommissarin Johansson sich bei der Bewertung der technischen Möglichkeiten von Filtern auf die Aussagen von Konzernen wie Meta verlässt. Es ist absolut inakzeptabel, sich bei schweren Grundrechtseingriffen ausgerechnet auf die Angaben von Unternehmen zu verlassen, erst recht wenn diese selbst für ihre Grundrechtsbilanz in der Kritik stehen. Die EU-Kommission muss ihrer Rolle als Hüterin der Verträge, einschließlich der EU-Grundrechtecharta, gerecht werden und Mittel vorschlagen, die Kinder tatsächlich schützen und mit den Grundrechten von Internet-Nutzer*innen vereinbar sind.“
Die Vorstellung des Chatkontrolle-Entwurfs im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des Europaparlaments wird ab 15 Uhr live übertragen: https://multimedia.europarl.europa.eu/en/webstreaming/libe-committee-meeting_20221010-1500-COMMITTEE-LIBE
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat die fünf wichtigsten grundrechtlichen Probleme des Chatkontrolle-Entwurfs zusammengefasst: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/chatkontrolle
Die Informationsfreiheitsanfrage, aus der hervorgeht, dass die EU-Kommission sich Zahlen der Industrie über die Zuverlässigkeit von Filtersystemen zueigen macht, ist auf dem Portal AskTheEU einsehbar: https://www.asktheeu.org/en/request/technologies_for_the_detection_o#incoming-39916
Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau,
presse@freiheitsrechte.org
Tel. 01579/2493108