FAQ Equal-Pay-Klage
Wer klagt gegen wen?
Die Klägerin ist Redakteurin und klagt gegen das ZDF. Der Sender beschäftigt sie in Vollzeit als fest-freie arbeitnehmerähnliche Mitarbeiterin auf einem festen monatlichen Honorar, das sich nach einem Tarifvertrag richtet.
Sie arbeitete bereits seit März 2007 als Redakteurin für das investigative Politikmagazin „Frontal 21“ , anfangs als Online-Redakteurin, ab April 2008 als TV-Redakteurin. Zuvor hatte sie bereits zehn Jahre Erfahrung als Journalistin gesammelt, hauptsächlich im Fernsehen. Sie verfügt damit über mehr als zwanzig Jahre Berufserfahrung seit Abschluss ihres Studiums. Zum 1. Juli 2020 musste sie auf Wunsch des ZDF die Redaktion „Frontal21“ verlassen und wurde nach Mainz zwangsversetzt, wo sie nun für den Spartenkanal „ZDF Info“ arbeitet. Ihre Position bei „Frontal21“ wurde mit einem männlichen Redakteur besetzt.
Die Klägerin wurde mit mehreren Journalisten-Stipendien ausgezeichnet (u.a. vom Wissenschaftszentrum Berlin und der Robert Bosch-Stiftung) sowie, mit Kollegen von “Frontal21”, mit dem Deutschen Wirtschaftsfilmpreis (2015), dem Friedrich-Vogel-Preis für Wirtschaftsjournalismus (2018) und dem Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe (2019). Zuletzt war sie Fellow am Thomas Mann House in Los Angeles (2020).
Warum klagt die Journalistin gegen das ZDF?
Die Journalistin klagt gegen das ZDF, da sie für die gleiche Tätigkeit schlechter bezahlt wird als männliche Kollegen. Der Vergleich mit verschiedenen männlichen Kollegen weist darauf hin, dass sie zum Zeitpunkt der Klageeinreichung auch dann schlechter bezahlt wurde, wenn sie über eine vergleichbare Qualifikation verfügte, mindestens genauso viele Jahre oder sogar mehr Berufserfahrung aufweisen konnte und ähnlich lang, wenn nicht sogar länger für das ZDF gearbeitet hatte (Betriebszugehörigkeit) bzw. zum Teil sogar im selben Tarifvertrag beschäftigt war wie vergleichbare männliche Kollegen mit höherer Vergütung und vergleichbarer Berufserfahrung und Qualifikation
Warum hat die Klägerin sich nicht mit dem ZDF geeinigt? Will sie unbedingt klagen?
Nein. Die Klägerin versuchte über die Jahre mehrfach, eine Honorarerhöhung einvernehmlich mit dem ZDF zu erzielen, jedoch ohne Erfolg. Damals hatte sie zwar einen Verdacht, aber noch keine Kenntnis von der Diskriminierung. Doch auch später sah das ZDF keinen Grund, sich zu einigen. Deswegen sah sich die Klägerin gezwungen, den Klageweg zu beschreiten. Die Klägerin ist auch nach wie vor an einer außergerichtlichen Lösung mit dem ZDF interessiert.
Warum klagt die Klägerin erst jetzt?
Obwohl sie bereits seit 2007 für das ZDF arbeitet, erfuhr die Klägerin erst Ende 2014, dass sie auch schlechter bezahlt wurde als männliche Kollegen mit weniger Betriebszugehörigkeit und Berufserfahrung.
Das ZDF hatte ihr aber in den Jahren zuvor erklärt, für die Vergütung der Mitarbeiter gälten feste Kriterien. Höhere Vergütungen vergleichbarer männlicher Kollegen ließen sich mit deren längerer Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit erklären. Die Klägerin ging zunächst von der Richtigkeit dieser Angaben aus. Als sie jedoch herausfand, dass männliche Kollegen auch dann mehr verdienten, wenn sie – bei mindestens vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation – über weniger Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit verfügten, reichte sie eine Beschwerde beim ZDF-Personalleiter ein. Ihr Anwalt informierte auch den Intendanten des ZDF. Da beide Maßnahmen nicht zur Gleichstellung mit ihren vergleichbaren männlichen Kollegen führten, erhob sie schließlich im April 2015 Klage beim Arbeitsgericht Berlin.
Was will die Klägerin mit der Klage erreichen?
Die Klägerin begehrt vom ZDF zunächst Auskunft darüber, was ihre männlichen Kollegen verdienen; auf dieser Basis möchte sie dann rückwirkend und für die Zukunft so bezahlt werden wie ein männlicher Kollege, der eine gleiche Tätigkeit ausübt und über vergleichbare Qualifikationen verfügt. Welcher der richtige Kollege ist, muss ein Gericht entscheiden. In den ersten beiden Instanzen hat die Klägerin zusätzlich Entschädigung für die Diskriminierung sowie die Feststellung beantragt, dass sie keine arbeitnehmerähnliche Freie, sondern eine Angestellte ist. Diese Anträge werden aus prozesstaktischen Gründen aktuell nicht mehr weiterverfolgt.
Warum klagt die Klägerin auf Auskunft über die Gehälter der männlichen Kollegen?
Bisher weiß die Klägerin zwar von einzelnen männlichen Kollegen mit vergleichbarem Profil, dass sie mehr verdienen als sie, aber sie kann nicht auf ausreichende Unterlagen zurückgreifen, um deren Vergütungen konkret zu beziffern. Darauf ist die Klägerin aber angewiesen. Sie möchte daher vom ZDF offiziell Auskunft über die Gehälter und Honorare ihrer vergleichbaren männlichen Kollegen erhalten, damit sie genauer bestimmen kann, welche Vergütung ihr ohne Lohndiskriminierung zusteht und in der Vergangenheit zugestanden hätte. Denn eine sogenannte Leistungsklage auf korrekte Bezahlung und Schadensersatz ist nur zulässig, wenn sie genau beziffert ist.
In der Rechtsprechung ist ein solches Vorgehen im Wege der sogenannten Stufenklage entsprechend § 254 ZPO anerkannt. Sie ist zulässig, wenn ein Anspruch durchgesetzt werden soll, der vorab eine Information erfordert – hier die Auskunft über die Vergütungen der männlichen Kollegen. Auf der ersten Stufe fordert die Klägerin also Auskunft bezüglich der Vergütungen ihrer männlichen Kollegen. Auf der späteren zweiten Stufe wird sie dann die ihr zustehende Vergütung basierend auf der Auskunft fordern, die sie auf der ersten Stufe erhalten hat.
Hat die Klägerin einen solchen Auskunftsanspruch?
Ja, ein solcher Auskunftsanspruch ist in der Rechtsprechung
grundsätzlich anerkannt; Grundlage ist eine Nebenpflicht aus einem
bereits bestehenden Rechtsverhältnis nach § 242 BGB. Es muss hierfür
lediglich möglich erscheinen, dass die Klägerin einen Zahlungsanspruch
hat, um die Diskriminierung auszugleichen. Mit anderen Worten: Die
Klägerin muss nicht bereits beweisen, dass sie aufgrund ihres
Geschlechtes weniger Honorar erhält und deswegen einen Anspruch auf
Zahlung von mehr Honorar hat. Es reicht aus, dass es nach der Sachlage
als möglich erscheint, dass der Klägerin ein solcher Anspruch zusteht.
Zusätzlich hat die Klägerin einen Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Dies hat das Bundesarbeitsgericht am 25. Juni 2020 entschieden und damit der Revision der Klägerin stattgegeben (zur Pressemitteilung). Auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte können sich danach auf das EntgTranspG berufen. Der Beschäftigtenbegriff in diesem Gesetz ist weit auszulegen, weil dieses Gesetz zwingendes Europarecht umsetzt und das europarechtliche Diskriminierungsverbot für Arbeitnehmerähnliche sonst nicht zur Geltung kommt. Das BAG hob hervor, dass das AGG einen solchen Anspruch bisher nicht enthält. Mittlerweile hat das ZDF daher die Auskunft über den Median der Vergleichsgehälter erteilt; dieser Median liegt monatlich etwa 800 Euro über dem Gehalt der Klägerin.
Auf welche rechtlichen Grundlagen stützt sich die Klägerin, um die gleiche Bezahlung einzuklagen?
Die Klägerin stützt sich maßgeblich auf Art. 157 Abs. 1 AEUV. Sie kann sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs direkt auf Art. 157 Abs. 1 AEUV berufen, da diese Vorschrift auch für innerstaatliche Sachverhalte unmittelbar anwendbar ist und entgegenstehenden nationalen Regelungen vorgeht.
Nach dieser Vorschrift ist es ausreichend, dass die Klägerin nachweisen kann, dass ihre Arbeit gleich oder gleichwertig ist mit der Arbeit mindestens einer besser bezahlten männlichen Vergleichsperson. Dabei ist eine unterschiedliche Bezeichnung oder tarifliche Einordnung unerheblich, wenn die Jobs in der Sache gleich sind. Wenn die Klägerin diesen Beweis erbringen kann, dann muss das ZDF belegen, dass die unterschiedliche Bezahlung auf sachlichen Gründen beruht, die nichts mit dem Geschlecht zu tun haben.
Zusätzlich hat die Klägerin zahlreiche Indizien vorgebracht, die dafür sprechen, dass ihre im Vergleich zu etlichen männlichen Kollegen zu niedrige Vergütung nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf Diskriminierung beruht. Das AGG sieht in § 22 vor, dass dann der Arbeitgeber die Beweislast dafür trägt, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Die Klägerin muss also auch nach deutschem Recht nicht beweisen, dass Diskriminierung stattgefunden hat – sondern dafür nur Indizien vortragen. Das hat sie getan.
Mit wem vergleicht sich die Klägerin in der Klage? Nur mit Festangestellten?
Nein. Die Klägerin vergleicht sich nicht nur mit männlichen festangestellten Mitarbeitern. Diese Darstellung beruht auf einer Pressemitteilung des Arbeitsgericht Berlin, die mittlerweile geändert wurde. Die Klägerin vergleicht sich sowohl mit festangestellten als auch mit sogenannten fest-freien Kollegen, die die gleiche Tätigkeit ausüben wie sie, bei vergleichbarer Qualifikation. Darunter sind auch fest-freie Mitarbeiter, die im selben Tarifvertrag beschäftigt sind wie sie, dem sogenannten Zweiten Kreis. Außerdem konnte die Klägerin eine Gehaltsdiskriminierung im Vergleich mit mindestens einem männlichen Kollegen im sogenannten Dritten Kreis nachweisen, in dem ebenfalls arbeitnehmerähnliche fest-freie Mitarbeiter beschäftigt sind. Das LAG Berlin-Brandenburg hat bestätigt, dass sich die Klägerin auch mit festangestellten Kollegen sowie aus dem Dritten Kreis vergleichen kann. Der Einfachheit halber beschränkt sich die Klägerin im weiteren Verfahren auf einen Vergleich mit Kollegen im Zweiten Kreis.
Wird die Klägerin bei ihrer Vergütung schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen, obwohl sie die gleiche Tätigkeit ausübt?
Ja. Die Materialien und Auskünfte, die der Klägerin zur Verfügung stehen, zeigen ein Bild der Entgeltdiskriminierung im Vergleich zu männlichen Kollegen.
Die Gleichheit bzw. Gleichwertigkeit der Tätigkeit der Klägerin mit der der Vergleichspersonen lässt sich anhand objektiver Kriterien nachweisen; z.B. nach der Art der Tätigkeit, der Art der produzierten TV-Beiträge, der Rezeption dieser in der Presse, oder dem Rechercheaufwand für die Themen. Die von der Klägerin beantragte Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens würde das zusätzlich belegen.
Einzelheiten zu den in der Klage aufgezeigten Tätigkeits-Vergleichen, die der Gesetzgeber für Entgeltdiskriminierungsklagen zwingend vorsieht, sollen hier nicht veröffentlicht werden – zum Schutz von Redaktionsinterna.
Verfügen alle besser bezahlten männlichen Mitarbeiter über mehr Berufserfahrung oder eine längere Betriebszugehörigkeit als die Klägerin, als sie Klage einreichte?
Nein. Dies konnte die Klägerin in ihrer Klage auch nachweisen.
Bei den fest-freien Vergleichspersonen aus dem Dritten Kreis fehlt es bereits an der längeren oder gleich langen Betriebszugehörigkeit beim ZDF.
Auch die Berufserfahrung – die bei der Klägerin mehr als 20 Jahre beträgt – kann die höhere Bezahlung dieser männlichen Kollegen nicht rechtfertigen. Das gilt auch für mehrere besser verdienende fest-freie Kollegen im Zweiten Kreis, in dem auch die Klägerin beschäftigt ist. Denn diese haben eine gleichwertige oder gar kürzere Berufserfahrung.
Zwar verfügen die Vergleichspersonen im Zweiten Kreis über eine längere Betriebszugehörigkeit beim ZDF – wenn auch in einem Fall nur ein halbes Jahr. Doch diese kann nicht ursächlich für die höheren Vergütungen sein. Denn die Länge der Betriebszugehörigkeit im Zweiten Kreis korreliert nicht mit der Höhe der Vergütungen. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Vergütungen zumindest der fest-freien Mitarbeiter in der Redaktion Frontal21 in hohem Maße frei verhandelbar waren und dass Männer dabei besser abschnitten als die Klägerin und andere Frauen.
Einer solchen Vergütungspraxis aber, die Frauen benachteiligt, hätte das ZDF als Anstalt des öffentlichen Rechts entgegenwirken müssen.
Konkretere Angaben zu den Vergleichspersonen und deren Vergütungen, Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit sollen hier nicht veröffentlicht werden, zum Schutz von Redaktionsinterna und der Privatsphäre der Kollegen der Klägerin.
Kann sich die Klägerin als fest-freie Mitarbeiterin mit festangestellten Mitarbeitern vergleichen und deren Gehalt einfordern?
Die Klägerin darf sich hinsichtlich der Vergütung sowohl mit männlichen festangestellten Mitarbeitern als auch mit fest-freien Mitarbeitern aus dem Zweiten und Dritten Kreis vergleichen.
Nach dem geltenden Europarecht kommt es bei der Entgeltgleichheit nicht auf die formelle Einstufung der Betätigung an, sondern auf die tatsächlich erbrachte Arbeit. Auch die Zuordnung zu verschiedenen Tarifverträgen steht der Vergleichbarkeit zweier Tätigkeiten nicht entgegen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) 1993 in der Rechtssache Enderby klargestellt.
Für den Fall der Klägerin bedeutet das, dass die (formale) Einstufung als „festangestellt“ oder „fest-frei“ bei dieser Beurteilung keine Rolle spielen darf und keine unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen kann.
Das ZDF kann also die unterschiedliche Bezahlung im Vergleich zu Festangestellten nicht damit rechtfertigen, dass die Klägerin nur eine fest-freie Mitarbeiterin sei. Dies würde gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG verstoßen sowie gegen die europarechtlichen Vorgaben aus Art. 157 AEUV.
Um den Sachverhalt zu vereinfachen, beschränkt sich die Klägerin vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) und dem Bundesverfassungsgericht auf einen Vergleich mit Kollegen im Zweiten Kreis. Auch dort gibt es etliche Kollegen, die für die gleiche Tätigkeit mehr verdienen als sie.
Hat die Klägerin einfach schlechter verhandelt als ihre männlichen Kollegen und bekommt deswegen weniger Gehalt?
Nein. Das ZDF hat sich ihr gegenüber immer auf feste Kriterien für die Vergütung von Mitarbeitern berufen, so zum Beispiel Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit, und die Gehälter als nicht frei verhandelbar dargestellt. So ging die Klägerin lange Zeit davon aus, dass tatsächlich feste Kriterien entscheidend waren. Zudem gelten im ZDF für die Vergütung fester und fest-freier Mitarbeiter eigentlich Tarifverträge. Aufgrund der Information, dass Honorare vorgegeben seien, hat die Klägerin bei Aufnahme ihrer Tätigkeit beim ZDF sogar Gehaltseinbußen im Vergleich zu ihrer vorherigen Tätigkeit hingenommen. Zwar erhielt die Klägerin Anfang 2010 eine schon lange versprochene Honoraranhebung. Diese reichte aber nicht aus, um die Vergütungsdifferenzen mit vergleichbaren männlichen Kollegen auszugleichen.
Ist die Klägerin vielleicht einfach weniger gut oder weniger erfolgreich als ihre männlichen Kollegen und verdient deswegen weniger Geld?
Nein. Für die Vergütung im Tarifvertrag Zweiter Kreis, der für die Klägerin gilt, sind berufliche Erfolge nachrangig. Die Vergütung richtet sich nach der Funktion der Mitarbeiter sowie der Höhe der Vergütung vor der Einführung des Tarifvertrags im Jahr 2010. Vor 2010 hätten sich die Honorare der Klägerin nach dem Vergütungstarifvertrag richten müssen, der eine Bezahlung für redaktionelle Leistungen nach Art und Umfang der Tätigkeit, Berufserfahrung und besonderer Eignung vorsah.
Ungeachtet dessen bestehen aber keine Zweifel, dass die Klägerin ausgesprochen erfolgreich ist: Sie wurde mehrfach mit renommierten Stipendien sowie mehreren Journalistenpreisen ausgezeichnet und verfügt über ein hervorragendes Zwischenzeugnis.
Verdient die Klägerin tarifgemäß weniger als viele männliche Kollegen in der Vergleichsgruppe, da sie bei Einstufung in den Tarifvertrag über eine kürzere “ZDF-Biographie” verfügte, wie das ZDF es im Juni 2021 darstellte?
Nein. Das Statement der ZDF-Sprecherin gegenüber der Nachrichtenagentur epd vom Juni 2021 (zitiert hier) ist in Gänze ungeeignet, den Diskriminierungsverdacht auszuräumen.
Tatsächlich sieht der Tarifvertrag 2. Kreis, der für die Klägerin und ihre männlichen Vergleichskollegen gilt, eine Einstufung nach der Länge der vorherigen ZDF-Biographie gar nicht vor. Stattdessen wurde die Klägerin Mitte 2010 entsprechend § 2 (2) a des Tarifvertrags 2. Kreis auf Grund ihres Besitzstandes eingestuft. Dort heißt es:
“Die Zugehörigkeit der Mitarbeiter/-innen im 2. Kreis in die Honorarbänder und -stufen erfolgt in Ansehung der jeweils ausgeübten Funktion sowie der zum Zeitpunkt der Zuordnung zu dem Honorarsystem bestehenden Honorarhöhe auf Monatsbasis. Der Besitzstand der Mitarbeiter/-innen bei Einordnung in das Stufensystem wird gewahrt.”
Maßgeblich war also die Höhe des vorherigen Gehalts beim ZDF. Das wiederum hätte sich nach dem davor für die Klägerin und ihre männlichen Kollegen maßgeblichem Vergütungstarifvertrag richten müssen. Der sieht eine Bezahlung für redaktionelle Leistungen nach Art und Umfang der Tätigkeit, Berufserfahrung und besonderer Eignung vor. Auch hier spielt also die Länge der “ZDF-Biographie” (also die Betriebszugehörigkeit) keine Rolle.
Dem entspricht, dass die Einstufungen der Klägerin und ihrer männlichen Kollegen auch nicht mit der Länge ihrer vorherigen „ZDF-Biographie“ korrelieren. Vielmehr spricht alles dafür, dass der vorherige Besitzstand in hohem Maße frei verhandelbar war und Männer dabei besser abschnitten als die Klägerin.
Übrigens hat das ZDF im Laufe der Jahre immer wieder neue, zum Teil widersprüchliche Begründungen nachgelegt. Sachliche Gründe, warum die Männer mehr verdienen, konnte das ZDF bislang nicht überzeugend vortragen.
Trifft der vom ZDF vermittelte Eindruck zu, dass es in der Vergleichsgruppe auch Kollegen gebe, die weniger verdienten als die Klägerin?
Bei regelhafter Anwendung der Tarifverträge kann das nicht zutreffen. Denn die Klägerin vergleicht sich nur noch innerhalb ihres Tarifvertrages. Dort wurde sie bei Einführung in die 0. Stufe eingestuft. Tiefer geht nicht. Männliche Kollegen können heute also allenfalls ungefähr dasselbe verdienen.
Gilt der ZDF-Frauengleichstellungsplan, auf den sich die ZDF-Sprecherin im Juni 2021 berief, überhaupt für die Klägerin?
Der Frauengleichstellungsplan, auf den sich die ZDF-Sprecherin gegenüber der EPD berief (hier), spielt für (fest-)freie Mitarbeiter*innen wie die Klägerin überhaupt keine Rolle. Denn die zu Grunde liegende Dienstvereinbarung gilt ausschließlich für Festangestellte. So fehlen im Gleichstellungsbericht bis heute Angaben zu den Honoraren der (Fest-)Freien bzw. zu deren Einstufungen und Eingruppierungen im 2. Kreis. Diese entziehen sich also auch der Kontrolle durch Fernseh- und Verwaltungsrat.
Welche Beschäftigtenkategorien gibt es beim ZDF, und in welcher Kategorie arbeitet die Klägerin?
Die Klägerin ist eine sogenannte “fest-freie” Mitarbeiterin beim ZDF. Sie ist unbefristet beschäftigt, arbeitet 40 Stunden in der Woche, hat ihr Büro im Sender, und ihr monatliches Festhonorar wird über Lohnsteuerkarte abgerechnet. Dennoch gilt sie auf Grund ihrer Vertragsform lediglich als arbeitnehmerähnliche Beschäftigte.
Das ZDF beschäftigt auch Festangestellte; diese gelten als reguläre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Seine nicht festangestellten, freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordnet das ZDF seit 2010 in drei Kreise ein: Zum Ersten Kreis gehören frei-freie Mitarbeiter, die zum Beispiel sehr hohe Honorare haben oder nur gelegentlich für das ZDF arbeiten. Den Zweiten Kreis bilden fest-freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu einem Stichtag in der Vergangenheit in einem bestimmten Umfang für das ZDF tätig waren. Diese wurden in den neu gegründeten Tarifvertrag Zweiter Kreis überführt und sind seitdem unbefristet beschäftigte Arbeitnehmerähnliche. Schließlich gibt es noch einen Dritten Kreis, in dem die „fest-freien“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, die erst nach 2010 beim ZDF anfingen oder die in den Jahren zuvor nicht in dem Umfang beim ZDF beschäftigt waren, der für die Aufnahme in den Zweiten Kreis erforderlich war. Sie haben befristete Verträge und sind in der Regel auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte.
Die Klägerin, die bereits seit 2007 beim ZDF arbeitet, gehört zum Zweiten Kreis und wird nach dem entsprechenden Tarifvertrag bezahlt.
Inwiefern wird die Klägerin anders bezahlt als ihre Kollegen im Zweiten Kreis?
Im Zweiten Kreis gibt es verschiedene Honorarbänder, innerhalb derer die Honorare der Mitarbeiter im Laufe der Zeit jeweils stufenweise ansteigen. Die Eingliederung erfolgt nach der Funktion, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausüben.
Als der Tarifvertrag 2010 eingeführt wurde, wurde die Klägerin als einzige Frau der Frontal 21-Beitragsmacher im Zweiten Kreis – also der Redakteure, die hauptsächlich für die Sendung Beiträge produzierten und die deshalb eine vergleichbare Tätigkeit ausübten – in das Honorarband III eingestuft. Ihre acht männlichen Beitragsmacher-Kollegen kamen alle in das besser bezahlte Honorarband IV – obwohl sie nachweislich die gleiche Funktion ausübten wie die Klägerin.
Auf Protest der Klägerin hin stufte das ZDF sie rückwirkend zwar ebenfalls in das Honorarband IV ein. Trotzdem wurde und wird die Klägerin aber langfristig schlechter bezahlt als die männlichen Frontal21-Beitragsmacher im Zweiten Kreis. Denn sie wurde innerhalb des Honorarbands IV in eine niedrigere Vergütungsstufe eingeordnet als ihre männlichen Kollegen. Ausschlaggebend für die Einstufung war die Höhe der Vergütung vor Einführung des Tarifvertrags (der sogenannte Besitzstand) – und die Klägerin wurde bereits vor 2010 schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen, obwohl nicht alle über eine längere Berufserfahrung verfügten und einer lediglich ein halbes Jahr länger beim ZDF beschäftigt war. Eine Anpassung hat bis heute nicht stattgefunden.
Wie hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden?
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage im Dezember 2017 abgewiesen. Das Urteil ist (in anonymisierter Fassung) hier zu finden. Das Gericht hat die Klage zwar für grundsätzlich zulässig, aber für unbegründet erklärt.
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Auskunft des Gehaltes ihrer männlichen Kollegen, da die Vermutung nicht naheliege, dass sie aufgrund ihres Geschlechts bei der Bezahlung diskriminiert werde.
Die Klägerin könne sich laut Arbeitsgericht Berlin als fest-freie Mitarbeiterin nicht mit Mitarbeitern vergleichen, die festangestellt oder fest-frei in einem anderen Tarifvertrag beim ZDF arbeiten. Für diese, so das Gericht, gälten andere Tarifverträge, daher seien sie nicht vergleichbar. Da die Tarifverträge nicht nach dem Geschlecht unterschieden, sei eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen.
Die männlichen Kollegen, die ebenfalls wie die Klägerin fest-freie Mitarbeiter im sogenannten Tarifvertrag 2. Kreis sind und höhere Honorare als sie erhalten, seien schon länger beim ZDF beschäftigt als die Klägerin. Eine dieser Vergleichspersonen im 2. Kreis sei zwar nur ein halbes Jahr länger als die Klägerin bei der Beklagten beschäftigt gewesen, doch dessen höheres Honorar würde durch einen Hochschulabschluss in Journalistik gerechtfertigt. Außerdem übe er eine höherwertige Tätigkeit aus.
Was ist zur Begründung des Arbeitsgerichts Berlin zu sagen?
Die Begründung des Arbeitsgericht Berlin überzeugt nicht.
Zum einen hat das Gericht die tatsächlichen Gegebenheiten des Falles
im großen Maße verkannt oder missachtet. Aus diesen Gründen hat die
Klägerin einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt. Diesem wurde
inzwischen vom Arbeitsgericht Berlin teilweise stattgegeben.
Das Arbeitsgericht verkennt die tatsächliche Lage, wenn es davon ausgeht, die höhere Bezahlung der fest-freien männlichen Kollegen sei in ihrer längeren Betriebszugehörigkeit begründet; offensichtlich ist dies bei den Vergleichspersonen aus dem Dritten Kreis, die ihre Tätigkeit für das ZDF erst Jahre nach der Klägerin aufnahmen. Für diese gilt derselbe Tarifvertrag wie für die Klägerin und andere fest-freie Mitarbeiter im Tarifvertrag Zweiter Kreis vor Übergang in denselben.
Auch die höheren Honorare fest-freier Mitarbeiter im Zweiten Kreis können nicht hinreichend mit deren höherer Betriebszugehörigkeit gerechtfertigt werden. Denn wäre die Betriebszugehörigkeit maßgeblich, müssten die Honorare mit zunehmender Betriebszugehörigkeit korrelieren. Dies ist aber nicht der Fall. Auch ist nicht ersichtlich, warum ein Hochschulabschluss in Journalistik – der überdies strittig ist – das höhere Honorar einer der Vergleichspersonen, deren Betriebszugehörigkeit lediglich ein halbes Jahr länger ist als die der Klägerin, rechtfertigen soll. Eine höherwertige Tätigkeit übernahm der Kollege erst nach Klageeinreichung.
Zum anderen ist die rechtliche Argumentation des Gerichtes an vielen Stellen falsch. Das Argument etwa, die Klägerin könne sich mit Festangestellten oder Mitarbeitern im Dritten Kreis nicht vergleichen, da für diese Gruppen unterschiedliche Tarifverträge gelten, ist mit deutschem und europäischen Recht nicht vereinbar. Maßgeblich ist vielmehr nur, ob die tatsächliche Arbeit vergleichbar ist.
Was ist im Berufungsverfahren passiert?
Die Klägerin hat Berufung eingelegt, da sich bisher keine einvernehmliche Lösung mit dem ZDF finden ließ und sie davon überzeugt ist, dass die Entscheidung des Arbeitsgericht Berlin aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen falsch ist. Das Berufungsverfahren war zeitweise mit Einverständnis beider Seiten ausgesetzt, während ein vertrauliches Güterichterverfahren stattfand (mehr dazu in dieser Pressemitteilung). Da dieses ergebnislos blieb, hat das Landesarbeitsgericht das Berufungsverfahren weitergeführt und am 5. Februar 2019 sein Urteil verkündet.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (zur Pressemitteilung). Zwar nahm es zu Gunsten der Klägerin an, dass ihre männlichen Kollegen eine gleiche oder vergleichbare Tätigkeit ausübten und dass sie sich auch mit Kollegen aus anderen Tarifverträgen vergleichen könne. Es fehle aber, so das Gericht, am Nachweis der Diskriminierung durch die Klägerin. Damit verkennt das Gericht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach sich die Beweislast bereits umkehrt, wenn mindestens ein Mann mehr verdient – es ist dann am Arbeitgeber, sich vom Verdacht der Diskriminierung zu entlasten. Das LAG Berlin-Brandenburg ist jedoch noch nicht einmal in die Beweisaufnahme eingetreten.
Da die Klägerin nicht als Festangestellte zu behandeln sei und das Entgelttransparenzgesetz keine arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten erfasse, könne sie sich auch darauf nicht berufen, so das Gericht. Aus europarechtlicher Sicht überzeugt diese enge Auslegung des Begriffs der “Arbeitnehmerin” nicht.
Was ist im Revisionsverfahren passiert?
Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ist das Verfahren in zwei Teile aufgespalten, die unterschiedlichen Senaten zugewiesen wurden:
Der 8. Senat des BAG hat am 25. Juni 2020 entschieden, dass die Klägerin sich als fest-freie Mitarbeiterin auch auf die Auskunftsansprüche im Entgelttransparenzgesetz berufen kann. Daher hat es der Revision der Klägerin stattgegeben und die Sache ans Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen. Grund ist, dass das europarechtliche Diskriminierungsverbot sonst für Arbeitnehmerähnliche nicht ausreichend umgesetzt ist. Daher ist der Beschäftigtenbegriff im EntgTranspG weit auszulegen. Das BAG bestätigt damit, dass das Recht auf Entgeltgleichheit einen Auskunftsanspruch voraussetzt – sonst ist es nicht effektiv durchsetzbar. (Zur Pressemitteilung)
In Bezug auf die Diskriminierungsklage war dagegen der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts zuständig. Hier hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg die Revision nicht zugelassen. Die Klägerin hat dagegen beim BAG Beschwerde eingelegt, die der 9. BAG-Senat jedoch zurückgewiesen hat. Damit wurde die Entscheidung des LAG, wonach die Auskunft über höhere Vergleichsgehälter noch nicht einmal den Verdacht der Diskriminierung auslösen könnte, rechtskräftig.
Inzwischen hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts im Fall einer niedersächsischen Abteilungsleiterin jedoch die unionsrechtliche Argumentation der Klägerin im ZDF-Fall bestätigt; danach begründet ein höherer Median sehr wohl den Verdacht der Diskriminierung. Es ist dann nach § 22 AGG am Arbeitgeber, zu beweisen, dass die Gehaltsunterschiede nicht auf Geschlechtsdiskriminierung beruhen (Entscheidung vom 21. Januar 2021). Genau so hatte die Klägerin bereits vor dem Arbeitsgericht Berlin und dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und auch in ihrer Beschwerde zum 9. BAG-Senat argumentiert.
Die Klägerin hat gegen die Entscheidung des 9. Senats Verfassungsbeschwerde erhoben.
Was hat die Auskunft des ZDF nach dem Entgelttransparenzgesetz ergeben?
Nachdem es vom Bundesarbeitsgericht zur Auskunft verurteilt worden war, hat das ZDF der Klägerin inzwischen den Median der Gehälter der männlichen Vergleichspersonen für das Jahr 2017 mitgeteilt. Dieser Median liegt etwa 800 Euro pro Monat über ihrem damaligen Gehalt. Aufgrund ihrer ungleichen Einordnung in das tarifliche Stufensystem steigen die Männer zudem immer vor der Klägerin auf (und das jeweils in der Mitte des Jahres); daher dürften sie im Median 2018 sogar 1.200 Euro und 2019 über 1.500 Euro pro Monat mehr verdient haben. Obendrein gab es für Männer Leistungszulagen – nicht aber für die mehrfach für ihre journalistische Arbeit ausgezeichnete Redakteurin. Die Existenz von Leistungszulagen, die bis zu rund 1.450 Euro im Jahr betragen, hatte der Personalchef der Klägerin im ersten Auskunftsschreiben noch verschwiegen. (Zur Pressemitteilung).
Das Landesarbeitsgericht konnte daraufhin die Auskunftsklage nach dem EntgTranspG für erledigt erklären.
Wie geht es nun weiter?
Gegen die Entscheidung des 9. BAG-Senats und die vorangegangenen Urteile hat die Klägerin beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erhoben. Das LAG Berlin-Brandenburg und Bundesarbeitsgericht hätten nicht eigenmächtig von der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Beweislast abweichen dürfen. Spätestens das BAG hätte das Verfahren aussetzen und dem EuGH vorlegen müssen. Daher rügt die Klägerin die Verletzung ihres Grundrechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Außerdem rügt sie, dass die Gerichte in ihrer Rechtsanwendung ihr Grundrecht auf Gleichberechtigung verletzt haben (Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1 GG).
Zusätzlich beruft sich die Klägerin vor dem Bundesverfassungsgericht auch auf die Verletzung ihrer Unionsgrundrechte auf Entgeltgleichheit aus Art. 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh) und Art. 157 AEUV. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen Recht auf Vergessen I und II die Möglichkeit einer direkten Prüfung von Unionsgrundrechten eröffnet, wenn ein unionsweit einheitlicher Schutz gewollt ist oder die nationalen Grundrechte hinter dem unionsrechtlichen Schutzniveau zurückbleiben. So liegt es hier: Der europäische Grundrechtsschutz ist im spezifischen Bereich der Entgeltgleichheit im Vergleich zum nationalen Schutzniveau deutlich stärker ausgeformt und schutzintensiver. Bei Zweifeln über die Auslegung des Unionsrechts kann das Bundesverfassungsgericht das Verfahren aussetzen und dem EuGH die strittigen Rechtsfragen vorlegen.
Die Verfassungsbeschwerde der Klägerin wurde im März 2021 dem ZDF, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Bundesarbeitsgericht zur Stellungnahme zugestellt.