Pressemitteilung: Deutschland verwehrt Asylsuchenden Existenzminimum
GFF veröffentlicht Muster für Richtervorlage, um verfassungswidrige Regelsätze im Asylbewerberleistungsgesetz vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen
Berlin, 30. September 2020 - Seit einem Jahr müssen Asylsuchende in Sammelunterkünften von gerade einmal 316 Euro im Monat leben. Sie sollen Geld sparen, indem sie mit anderen Bewohner*innen gemeinsam einkaufen, kochen, essen – auch in der Corona-Pandemie. Sozialgerichte haben wiederholt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Leistungskürzungen geäußert. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) bestätigt heute: Die Regelsätze im Asylbewerberleistungsgesetz verletzen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.
„Die Regelungen müssen schnellstmöglich vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden“, sagt Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. Die GFF stellt Sozialrichter*innen ein Muster für eine Richtervorlage zur Verfügung, damit die verfassungswidrigen Kürzungen zügig vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden.
Der Gesetzgeber hat die ohnehin niedrigen Sozialleistungen für Schutzsuchende in Sammelunterkünften im September 2019 erneut gekürzt, ohne dies plausibel zu begründen. Seitdem erhalten die Betroffenen 10 Prozent weniger Sozialleistungen als Geflüchtete, die in Wohnungen untergebracht sind und deutlich weniger als Hartz-IV-Empfänger*innen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Geflüchtete in Sammelunterkünften wie Ehepaare leben, also gemeinsam einkaufen und kochen und dadurch 10 Prozent der üblichen Ausgaben sparen. „Das geht völlig an der Lebensrealität in den Unterkünften vorbei. Tatsächlich kennen sich die Bewohner*innen meist kaum. Die Fluktuation in den Einrichtungen ist riesig, hinzu kommen Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede“, sagt Sarah Lincoln.
Der Gesetzgeber streicht Schutzsuchenden zudem in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts bestimmte Pauschalen, zum Beispiel für Bildungswesen, Datenverarbeitungsgeräte und Software sowie außerschulischen Unterricht. Das erschwert nicht nur eine zügige Integration. Es verletzt auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein einheitliches soziokulturelles Existenzminimum, das neben Nahrung, Kleidung und Unterkunft auch Bildung umfasst – für alle Menschen in Deutschland.
„Das Existenzminimum steht allen Menschen in Deutschland zu und darf nicht aus migrationspolitischen Gründen relativiert werden“, sagt Lincoln. „Wir setzen darauf, dass engagierte Sozialrichter*innen, die in ihrer täglichen Arbeit mit den Rechtsverletzungen konfrontiert sind, unsere Vorlage nutzen und das Bundesverfassungsgericht anrufen.“
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sanktionen von November 2019 ging auf eine Mustervorlage zurück: Das Sozialgericht Gotha hatte sich in seiner Vorlage auf das Muster der Bürgerinitiative Grundeinkommen gestützt.
Weitere Informationen zur Verfassungswidrigkeit der Grundleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/existenzminimum
Das Muster für eine Richtervorlage sowie Begleitdokumente finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/mustervorlage-asylblg
Für Rückfragen wenden Sie sich an:
Sarah Lincoln, Juristin & Verfahrenskoordinatorin
sarah.lincoln@freiheitsrechte.org, PGP Key ID EEE13AE6
Tel. 0176/488 784 11
Daniela Turß, Pressereferentin
presse@freiheitsrechte.org, PGP Key ID DDE339D8
Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896