Alle verdächtig? Bundesverfassungsgericht verhandelt am Mittwoch GFF-Verfassungsbeschwerde zum Bundeskriminalamtgesetz
Berlin, 18.12.2023 – Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am Mittwoch, den 20. Dezember 2023 die Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG). Angegriffen werden vor allem die weitreichenden Überwachungsbefugnisse gegenüber bloßen Kontaktpersonen und der Umfang polizeilicher Datenbanken sowie ihre Nutzung durch die Behörden. 2016 hatte das Gericht bereits wesentliche Teile des damaligen Gesetzes über das Bundeskriminalamt für verfassungswidrig erklärt. Trotz der darauffolgenden Anpassung der Vorschriften blieben viele grundrechtliche Mängel bestehen, die nun Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind. Die GFF will mit der Verfassungsbeschwerde klar definierte Kriterien erstreiten, unter denen die Datenbanken des BKA befüllt und genutzt werden dürfen.
„Momentan dürfen die Daten viel zu vieler Menschen unter zu niedrigen Voraussetzungen für zu lange Zeit in einem System landen, auf das alle Polizeibehörden Zugriff haben. Das stigmatisiert die Betroffenen, mit teils drastischen Folgen“, kritisiert Bijan Moini, Legal Director der GFF und Prozessbevollmächtigter. „Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht polizeiliche Datenbanken auf das wirklich Nötige begrenzt.“
Im Kern greift die GFF zwei Komplexe aus dem BKAG an. Der erste Komplex betrifft den Bereich der Überwachungsmaßnahmen: Das BKA-Gesetz erlaubt eine sehr weitgehende Überwachung von bloßen Kontaktpersonen, d.h. von Menschen aus dem Umfeld einer Person, die laut BKA-Gesetz eine terroristische Straftat „begehen will“. Diese Voraussetzung ist zu beliebig und kann dazu führen, dass z.B. V-Leute Strafverteidiger*innen überwachen, die regelmäßig in Kontakt mit Verdächtigen stehen und für die vertrauliche Kommunikation zentral ist.
Der zweite Komplex betrifft die verschiedenen Datenbanken: Die BKA-eigene Datenbank zur Terrorabwehr erlaubt die Übertragung praktisch aller erhobenen Daten, ohne eine Prognose darüber, ob der Betroffene in Zukunft gefährlich werden kann. Aber auch die von Polizeibehörden in ganz Deutschland genutzt Datenbank INPOL kann Menschen als gefährlich markieren, die einer Straftat nur beschuldigt werden – oder von denen nur erwartet wird, sie könnten in Zukunft eine Straftat begehen. Das hat ein enormes Stigmatisierungspotenzial für die Betroffenen, die teils wegen lapidarer, unbewiesener Vorwürfe eine deutlich harschere Behandlung durch die Behörden erfahren. Da Betroffene nicht über den Eintrag in der Datenbank benachrichtigt werden und eine Löschung nur unter engen Voraussetzungen erfolgt, bleiben Einträge oft jahre- und teils jahrzehntelang gespeichert.
„Ich setze mich gegen Gewalt im Fußballstadion ein. In eine Polizeidatenbank bin ich als verdächtige Person geraten, ohne mich jemals strafbar gemacht zu haben. Das belastet mich, weil deshalb jede Polizeikontrolle sehr unangenehm werden kann“, erklärt Stephanie Dilba, Beschwerdeführerin und Ehrenrätin im TSV München 1860.
Die Verfassungsbeschwerde zum BKAG reiht sich ein in eine Linie von strategischer Prozessführung der GFF gegen ausufernde Überwachungsmaßnahmen, z.B. durch die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz, aber auch gegen Data-Mining-Vorschriften in Hessen und Hamburg. Aus Sicht der GFF erfordert der Schutz der Privatsphäre enge Grenzen für Erhebung, Speicherung und Auswertung von Daten, die vom Gesetzgeber zu oft nicht ausreichend beachtet werden. Die Verfassungsbeschwerde wurde von Prof. Matthias Bäcker verfasst. Er vertritt gemeinsam mit Bijan Moini die fünf Beschwerdeführenden vor Gericht.
Hinweis zum GFF-Fototermin am 20.12. um 8:30 Uhr, Karlsruher Schloßbezirk 3:
Am 20. Dezember wird die GFF vor Ort in Karlsruhe sein und bietet um 8:30 Uhr einen Fototermin an. Der Treffpunkt ist am Schloßbezirk 3, auf dem Weg in Höhe des Gerichtsgebäudes. Mit dabei sind Prozessbevollmächtigter Bijan Moini und Stephanie Dilba, eine Beschwerdeführende.
Weitere Informationen zur Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz finden Sie unter: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/bka-gesetz
Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau, presse@freiheitsrechte.org
Tel. 030/549 08 10 55 – 01579/2493108