Jump to content

GFF erhebt mit schwerkrankem Kläger Verfassungsbeschwerde: Menschen ohne Papiere haben ein Recht auf Gesundheitsversorgung

Berlin, 14. September 2022Die Gesellschaft für Freiheitsrechte reicht heute gemeinsam mit einem schwerkranken Kläger aus dem Kosovo und der Organisation Ärzte der Welt Verfassungsbeschwerde ein, um das Recht auf Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere durchzusetzen. Angegriffen wird die europaweit einzigartige Meldepflicht, die Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus davon abhält, notwendige medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen.

Sie müssen beim Sozialamt einen Behandlungsschein für einen Arztbesuch beantragen. Weil das Sozialamt verpflichtet ist, Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus sofort an die Polizei oder die Ausländerbehörde zu melden, droht den Betroffenen die Abschiebung. Die Verfassungsbeschwerde zielt darauf ab, diese Meldepflicht vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklären zu lassen. Zusätzlich will die GFF mit einem Eilantrag sicherstellen, dass der Kläger zeitnah medizinisch versorgt werden kann.

„Jeder Mensch – unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus – hat ein Recht auf Gesundheitsversorgung. Deutschland versagt bei der Gewährleistung dieses Rechts. Die staatliche Meldepflicht hält akut erkrankte Menschen wie unseren Kläger faktisch davon ab, sich medizinisch behandeln zu lassen.“ kritisiert Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der GFF. „Es wird höchste Zeit für ein Grundsatzurteil, das die Meldepflicht gerichtlich für verfassungswidrig erklärt.“

Der Kläger floh vor 30 Jahren vor dem Krieg im Kosovo nach Deutschland und hat seit 2017 keinen geregelten Aufenthaltsstatus mehr. Vor einem Jahr musste er nach einem Herzinfarkt notoperiert werden. Ohne die Meldepflicht hätte er seine Brustschmerzen schon viel früher abklären lassen.

„Ich klage, damit ich weiterbehandelt werden kann – und damit in Zukunft niemand mehr von medizinischer Versorgung ausgeschlossen wird“, sagt der schwer herzkranke Kläger.

Er ist kein Einzelfall: „Wir sehen jede Woche kranke Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in unseren medizinischen Anlaufstellen. Sie sind Nachbar*innen, Kund*innen, Dienstleister*innen, aber sie können keine reguläre Arztpraxis aufsuchen. Deutschland hat die menschenrechtliche Pflicht, allen Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Dieser Zugang darf nicht aus migrationspolitischen Erwägungen verwehrt werden“, so Janina Gach, Advocacy-Referentin bei Ärzte der Welt.

Zuvor hatten zwei hessische Gerichte den Eilantrag des Klägers zurückgewiesen, mit Verweis auf die fehlende Angabe seines Namens und seiner Adresse. Weil auch Gerichte der angegriffenen Übermittlungspflicht unterliegen, hatte der Kläger gar keine andere Wahl als anonym vorzugehen – sonst könnte eine Klage seine Abschiebung auslösen. Für das Gericht war er unter der Adresse seines Anwalts erreichbar.

„Wenn Verwaltungsgerichte verlangen, dass unser Kläger mit seinem Klarnamen klagt, verkennen sie vollständig, worum es ihm in der Klage geht und verhindern letztlich jede gerichtliche Abhilfe. Darin liegt eine Verletzung seiner Rechtsschutzgarantie – jetzt bleibt nur noch der Gang zum Bundesverfassungsgericht“, so Lincoln.

Insgesamt sind mehrere hunderttausend Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus davon betroffen, dass sie faktisch keine notwendige medizinische Behandlung beantragen können. Die GFF und Ärzte der Welt setzen sich seit zwei Jahren gemeinsam mit dem Bündnis „GleichBeHandeln“ für die Abschaffung der Übermittlungspflicht ein. Die Ampel-Koalition hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die Meldepflichten von Menschen ohne ohne gültige Aufenthaltspapiere zu überarbeiten, bislang aber keinen Vorschlag eingebracht.

Weitere Informationen und unsere Studie zur Meldepflicht finden Sie hier: https://freiheitsrechte.org/gesundheitsversorgung/

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:

Dr. Maria Scharlau,

presse@freiheitsrechte.org,

Tel. 01579/2493108

oder an

Stephanie Kirchner

stephanie.kirchner@aerztederwelt.org

Tel. 0159/0406 2104

Der Kläger steht unter Pseudonym für Interviews zur Verfügung.

Grundrechte verteidigen.
Fördermitglied werden!