FAQ Equal Pay: Gleicher Lohn ist keine Verhandlungssache
Die Entscheidung wurde durch die Rechtsanwältin Susette Jörk vom Anwältinnenbüro Leipzig mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstritten. Folgend finden Sie eine Auflistung der wichtigsten möglichen Fragen und Antworten. Hier können Sie die PDF mit Fußnoten und Literaturhinweisen downloaden.
Welcher Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde?
Die Klägerin war zwischen dem 1. März 2017 und dem 15. Februar 2021 im Außenvertrieb eines sächsischen Metallunternehmens mit knapp 100 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Sie nahm bei Einstellung das angebotene Grundgehalt in Höhe von 3.500 Euro an. Aus familiären Gründen vereinbarte sie 20 Tage zusätzlichen, unbezahlten Urlaub. Ihr männlicher Kollege im Außenvertrieb war zwei Monate vor ihr zum 1. Januar 2017 eingestellt worden. Dieser hatte für die ersten zehn Monate, bis zum Einsetzen einer zusätzlichen leistungsabhängigen Vergütung am 1. November 2017, ein um 1.000 Euro höheres Grundgehalt gefordert und auch erhalten. Ab dem 1. Juli 2018 vereinbarte die Beklagte mit dem männlichen Kollegen eine Erhöhung des Grundgehalts um 500 Euro. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Die Klägerin verdiente weiterhin 3.500 EUR im Monat. Die Klägerin und ihr männlicher Kollege im Außenvertrieb verrichteten die gleiche Arbeit und verfügten über vergleichbare Qualifikationen und Arbeitserfahrung.
Wie haben die unteren Instanzen entschieden?
Die Klägerin unterlag zunächst mit ihrer Klage auf Entgeltgleichheit und Entschädigung vor dem Arbeitsgericht Dresden und dem Landesarbeitsgericht Sachsen. Beide Gerichte waren überzeugt, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu der Gehaltsbenachteiligung geführt haben. Das höhere Grundentgelt des Kollegen sei zur Mitarbeitergewinnung erforderlich gewesen, da dieser nur unter diesen Voraussetzungen zum Abschluss des Arbeitsvertrages bereit gewesen sei. Die spätere Erhöhung des Grundentgelts sei dadurch begründet, dass der Kollege in die betriebliche Stellung einer ausgeschiedenen, besser bezahlten Kollegin nachgerückt sei.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Auf die Revision der Klägerin hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Urteile des Landesarbeitsgerichts Sachsen und des Arbeitsgerichts Dresden weitgehend aufgehoben. Die Beklagte wurde verurteilt, der Klägerin die Lohndifferenz in Höhe von 14.500 EUR (für den beantragten Zeitraum zwischen März 2017 und August 2019) sowie eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zu zahlen (beantragt waren 6.000 Euro).
Das Bundearbeitsgericht stellt hierzu in den Leitsätzen seiner Entscheidung fest: „Eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts wird nach § 22 AGG vermutet, wenn eine Partei darlegt und beweist, dass ihr Arbeitsgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen/Kolleginnen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Der Umstand, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrags im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nach § 22 AGG zu widerlegen.“
Warum benachteiligt die freie Verhandelbarkeit von Gehältern Frauen?
Dies hängt mit mehreren Faktoren zusammen. So verhandeln Frauen ihr Gehalt seltener als Männer. Eine Studie hat beispielsweise herausgefunden, dass Männer statistisch gesehen 10,6-mal wahrscheinlicher als Frauen über ihr Entgelt verhandeln.
Wenn Frauen ihr Entgelt verhandeln, erzielen sie zudem signifikant schlechtere ökonomische Ergebnisse als Männer. Die Ursachen hierfür liegen in den sozialtypischen Verhaltensweisen von Männern und Frauen begründet. Diese führen einerseits dazu, dass es Frauen typischerweise schwerer fällt, in Verhandlungssituationen mit dem gebotenen Nachdruck für ihre eigenen Interessen einzutreten. Andererseits zeigen simulierte Bewerbungsgespräche, dass sich ihre Verhandlungsbedingungen erschweren, wenn sie von dieser sozialen Rolle abweichen. Frauen unterschätzen außerdem oftmals den Wert ihrer Fähigkeiten und damit ihre Verhandlungsposition.
Frauen haben in Verhandlungen auch deswegen nicht die gleichen Erfolgschancen, weil sie für Arbeitgeber ein höheres „Einsatzrisiko“ darstellen. Aus familiären Gründen arbeiten Frauen überproportional häufig in Teilzeit, Laufbahnunterbrechungen sind aufgrund von Mutterschutz, Elternzeit oder Pflege von kranken Angehörigen wahrscheinlicher. Auch der EuGH hat anerkannt, dass die stereotypischen Vorstellungen über die Rolle und Fähigkeiten von Frauen im Erwerbsleben ihre Karrierechancen negativ beeinflussen. Auch diese Umstände können die Bereitschaft eines Arbeitsgebers verringern, auf Lohnforderungen von Frauen einzugehen; zugleich können sie dazu beitragen, dass Frauen aufgrund dieser „Risiken“ die Sorge haben, bei zu hohen Forderungen gar nicht erst eingestellt zu werden.
Woraus folgt der Anspruch auf gleiches Geld für gleiche oder gleichwertige Arbeit?
Der Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht folgt sowohl aus Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) als auch aus § 3 Abs. 1 und § 7 Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Art. 157 Abs. 1 AEUV ist direkt anwendbar und verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Diese Regelung ist bereits seit 1957 Teil des Unionsrechts (damals in Art. 119 EWG-Vertrag). Auch §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG verbieten, dass für gleiche oder für gleichwertige Arbeit wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt wird als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Das EntgTranspG soll europäische Richtlinien umsetzen, die bereits seit den 1970er Jahren den heutigen Art. 157 AEUV konkretisieren. Wie das Bundesarbeitsgericht bereits in zwei vorhergehenden Fällen klargestellt und in der Entscheidung vom 16. Februar 2023 wiederholt hat, muss das EntgTranspG daher im Lichte dieser Richtlinien ausgelegt werden.
Was bedeutet gleiche oder gleichwertige Arbeit?
Nach § 4 Abs. 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine „gleiche Arbeit“ aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen. Für die Betroffenen dürfen sich hinsichtlich der zu erledigenden Aufgaben keine unterschiedlichen individuellen Anforderungen stellen. Entscheidend für die Gleichartigkeit der Tätigkeit ist demnach, ob die Beschäftigten einander bei Bedarf auf dem konkreten Arbeitsplatz ersetzen könnten.
Mit dem Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ werden hingegen verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren darauf hin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind. Die für eine „gleiche Arbeit“ i.S.d. § 4 Abs. 1 EntgTranspG erforderliche sofortige Austauschbarkeit auf dem konkreten Arbeitsplatz fehlt in den Fällen der „lediglich“ gleichwertigen bzw. als gleichwertig anerkannten Arbeit.
Das Landesarbeitsgericht Sachsen hatte die Arbeit der Klägerin und ihres männlichen Kollegen fälschlicherweise als gleichwertig bezeichnet. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Klägerin die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichtete.
In den Entscheidungsgründen führt das Gericht hierzu an, dass beide im Vertriebsaußendienst eingesetzt seien, bei ihrer Tätigkeit die gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnisse hätten, sich gegenseitig vertraten, ohne dass es einer gesonderten Einweisung bedurft hätte und – mit Ausnahme des Vertragsbeginns und des Grundentgelts – identische arbeitsvertragliche Vereinbarungen getroffen hätten. Auch der Umstand, dass die Klägerin und ihr Kollege für unterschiedliche Kund*innen und Produkte zuständig waren, stehe der Annahme nicht entgegen, dass beide die gleiche Arbeit ausübten. Letztlich sei für die Tätigkeit im Vertriebsaußendienst auch keine bestimmte Berufsausbildung gefordert, sodass es unerheblich sei, dass die Klägerin und der Kollege über unterschiedliche Ausbildungen verfügten.
Wann gilt die Vermutung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts?
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits am 21. Januar 2021 entschieden – und dies in seinem Urteil vom 16. Februar 2023 nun bestätigt –, dass eine Person, die Entgeltdiskriminierung gerichtlich geltend macht, lediglich nachweisen muss, dass sie für gleiche oder gleichwertige Arbeit ein niedrigeres Entgelt erhält als ein oder mehrere zum Vergleich herangezogene Beschäftigte des anderen Geschlechts, um die Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu begründen. Dies ergebe sich aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 22 AGG, der bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang die Darlegungs- und Beweislast erleichtert. Das Bundesarbeitsgericht stützt sich in seiner Auslegung auf ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), wonach die Darlegung, dass eine oder mehrere Personen des anderen Geschlechts für die gleiche oder gleichwertige Tätigkeit mehr Geld erhalten, zu einem ersten Anschein einer Diskriminierung führt und es dann dem Arbeitgeber obliegt, zu beweisen, dass es für diese Ungleichbehandlung sachliche Gründe gibt, die nicht ans Geschlecht anknüpfen.
Nicht erforderlich ist damit seitens der Klägerin der Beweis, dass das Geschlecht oder die Geschlechtsrolle ursächlich für eine Benachteiligung ist. Grund für diese Beweiserleichterung ist, dass dieser Nachweis mangels Einsicht in die Prozesse und Unterlagen des Unternehmens Beschäftigten in der Regel nicht möglich sein wird.
Wie das Bundesarbeitsgericht ebenfalls klarstellte, kann die Darlegung, dass mindestens eine Person des anderen Geschlechts für die gleiche oder gleichwertige Arbeit ein höheres Entgelt erhält, auch mittels eines höheren Medianentgelts der männlichen Vergleichskollegen erfolgen. Nach § 10 EntgTranspG besteht in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden und mindestens sechs Vergleichspersonen des anderen Geschlechts ein Anspruch auf Offenlegung des Medianentgelts des anderen Geschlechts (dazu siehe auch unter: Was können Arbeitnehmerinnen tun, um ihren Anspruch auf Entgeltgleichheit im Betrieb durchzusetzen?). Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Januar 2021 lag eine entsprechende Entgeltauskunft der Klägerin zugrunde, die ein höheres männliches Medianentgelt auswies.
Worauf können sich Arbeitgeber*innen berufen, um die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung zu widerlegen?
Arbeitgeber*innen können die Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des Geschlechts widerlegen, indem sie vortragen und ggf. beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren zu erklären ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Die Rechtfertigung für den Entgeltunterschied, der zum ersten Anschein einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führt, muss sich dabei auf die konkreten Vergleichspersonen beziehen.
Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen und einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entsprechen. Die zur Erreichung des legitimen Ziels gewählten Mittel müssen hierzu geeignet, erforderlich und angemessen sein und sie müssen in kohärenter und systematischer Weise angewandt werden. Allein die Plausibilität eines dargelegten Grundes genügt also nicht ohne weiteres.
Als legitime und objektive Kriterien hat der EuGH bislang insbesondere arbeitsbezogene Gründe anerkannt,
- die sich auf besondere Flexibilität oder auf die Anpassungsfähigkeit an Arbeitszeiten und -orte beziehen, wenn dies einem echten Bedürfnis des Unternehmens entspricht und diese Entlohnung erforderlich ist, um diesem Bedürfnis nachzukommen,
- die Anzahl der Berufsjahre der Beschäftigten, sofern sie für die Ausführung der spezifischen übertragenen Aufgaben von Bedeutung sind und somit zu den Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen und den Arbeitnehmer dazu befähigen, seine Arbeit besser zu verrichten,
- sowie die Berufsausbildung beziehungsweise Berufsqualifikation.
Nun entschied das Bundesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit den Kriterien des EuGH: „Allein der Umstand, dass die Beklagte der Forderung des Bewerbers […] nach einem höheren Grundgehalt nachgegeben hat, ist für sich allein betrachtet […] nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen. […] Würde man den Umstand, dass ein/e Mitarbeiter/in besser verhandelt hat als eine/e Beschäftige/r des anderen Geschlechts für sich betrachtet gleichwohl zur Widerlegung der Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung ausreichen lassen, könnte sich der Arbeitgeber nur allzu leicht der Beachtung des Grundsatzes der geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheit entziehen.“
Allein die Tatsache, dass ein männlicher Beschäftigter nicht bereit war, zu einem niedrigeren Entgelt zu arbeiten, ist folglich kein objektiver Grund dafür, die gleichermaßen qualifizierte weibliche Beschäftigte für die gleiche Tätigkeit niedriger zu entlohnen.
Ein schlechteres Gehalt kann auch nicht mit anderen Vorteilen ausgeglichen werden, etwa durch zusätzliche unbezahlte Urlaubstage wie im Fall der Klägerin. Selbst eine günstigere Provisionsvereinbarung kann den Gehaltsunterschied bei Grundgehalt nicht kompensieren.
Bedeutet das, dass Löhne künftig nicht mehr frei verhandelt werden dürfen? Was ist, wenn sich die Marktlage ändert und man zu den vorherigen Bedingungen niemanden mehr gewinnen kann?
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betrifft den Fall, dass allein das Verhandlungsgeschick als Erklärung eines Entgeltunterschieds geltend gemacht wird. Dies ist nicht zulässig. Es ist jedoch nach wie vor zulässig, Gehälter zu verhandeln und gegebenenfalls auch auf höhere Gehaltsforderungen einzugehen, wenn diese durch objektive Kriterien begründbar sind. Zu diesen objektiven Kriterien gehören, wie soeben erläutert, beispielsweise eine längere Berufserfahrung oder bessere Qualifikationen.
Bislang in Deutschland noch nicht entschieden ist die Frage, ob es Umstände geben kann, unter denen Arbeitgeber*innen bei Fehlen solcher sachlicher arbeitnehmer*innenbezogener Gründe auf höhere Gehaltsforderungen eingehen dürfen. Allein der Umstand, dass jemand eine Stelle nicht zu einem geringeren Gehalt antreten würde, legitimiert dies nicht, wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 16. Februar 2023 klarstellte.
Ob ein Personalmangel ein objektives Kriterium sein kann, ist bislang nicht entschieden. In den Gründen zum Urteil vom 16. Februar 2023 führt das Bundesarbeitsgericht hierzu nur aus, dass die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung im Einzelfall widerlegt sein kann, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen. Hier habe die Beklagte solche Gründe jedoch nicht vorgetragen.
Ein solcher Personalmangel kann allerdings nur in Betracht kommen, wenn die beiden Vergleichspersonen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingestellt wurden und sich die Bedingungen am Markt in der Zwischenzeit nachweislich verändert haben. Insbesondere müsste dargelegt werden, dass ein in der Zwischenzeit aufgetretener Personalmangel oder andere Faktoren die marktüblichen Löhne erhöht haben. Es wird nicht ausreichen, sich darauf zu berufen, dass der im Auswahlverfahren präferierte Kandidat nicht zu den angebotenen Konditionen die Stelle antreten will.
Im nun vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hätte sich der Arbeitgeber vermutlich nicht auf einen solchen Personalmangel berufen können, da er nur drei Monate nach dem Kandidaten, dem er mehr als das Grundgehalt gewährte, die Klägerin gewinnen konnte, ohne ihr mehr bieten zu müssen, obwohl es keinerlei Anzeichen für eine Änderung der Marktlage gab.
Eine größere Rolle können marktbezogene Umstände bei dem Vergleich von Personen unterschiedlicher Berufsgruppen spielen, die – anders als die Klägerin und ihr Kollege – nicht die gleiche, sondern lediglich gleichwertige Arbeit verrichten.
In der Rechtssache „Enderby“ entschied der EuGH, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt Arbeitgeber*innen veranlassen könne, trotz gleichwertiger Arbeit für bestimmte Tätigkeiten höhere Entgelte zu zahlen, um einen Anreiz für Bewerbungen zu bieten. In diesem Fall ging es um die unterschiedliche Bezahlung (überwiegend weiblicher) Logopädinnen und (überwiegend männlicher) Apotheker und Psychologen. Die beklagte Klinik argumentierte erfolgreich, dass es schwieriger sei, Apotheker und Psychologen zu gewinnen, da diese anders als Logopädinnen durch die Möglichkeit der Eröffnung einer Privatpraxis eine Alternative zur Beschäftigung in einer Klinik hätten.
Welche Pflichten folgen aus der Entscheidung für Arbeitgeber*innen?
Arbeitgeber*innen sind unmittelbar an das Equal Pay-Gebot in Art. 157 AEUV und im EntgTranspG gebunden. Auch wenn das EntgTranspG ihnen bisher keine Betriebsprüfung vorschreibt, müssen sie daher jetzt aktiv prüfen, ob Gehaltsunterschiede in ihrem Betrieb möglicherweise nur darauf zurückzuführen sind, dass die Männer mehr Gehalt gefordert haben. Gibt es keine objektiven Gründe wie Qualifikation, Erfahrung oder Leistung für Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen, die vergleichbare Arbeit leisten, müssen die niedrigeren Gehälter nach oben angepasst werden. Um dem Risiko erheblicher gerichtlicher Lohnnachforderungen und zusätzlichen Entschädigungszahlungen vorzubeugen, sind Arbeitgeber*innen gut beraten, in ihren Betrieben transparente und kohärente Entgeltsysteme mit objektiven Differenzierungskriterien zu entwickeln.
Was können Arbeitnehmerinnen tun, um ihren Anspruch auf Entgeltgleichheit im Betrieb durchzusetzen?
Der erste Schritt zu mehr Lohngleichheit ist Lohntransparenz. Wer nicht weiß, wie viel die männlichen Kollegen für vergleichbare Arbeit verdienen, kann sich gegen eine eventuelle Entgeltdiskriminierung auch nicht wehren.
Das 2017 verabschiedete Entgelttransparenzgesetz ist leider sehr schwach ausgestaltet. Nur in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiter*innen gibt es einen Auskunftsanspruch. Außerdem muss es mindestens sechs Personen des anderen Geschlechts geben, die die gleiche oder eine vergleichbare Arbeit leisten wie die antragstellende Person. Die antragstellende Person erhält keine Auskunft über die konkreten Gehälter der Kolleg*innen des anderen Geschlechts in vergleichbarer Position, sondern lediglich den Median der Vergleichsgehälter, bei sechs Vergleichspersonen also den Mittelwert zwischen dem Gehalt von Person drei und Person vier. Anders als der Durchschnitt bildet der Median damit Ausreißer am oberen (und unteren) Rand nicht ab. Über den Median des Gehalts hinaus ist es möglich, Auskunft über weitere Bestandteile des Entgelts zu verlangen, etwa Zuschläge oder Leistungsvergütung. Sanktionen sieht das Gesetz ebenso wenig vor wie eine automatische Angleichung des Gehalts. Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht zu Equal Pay daher nicht von allein nach, muss dies individuell eingeklagt werden – gegebenenfalls immer wieder.
Wie oben ausgeführt, hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom Januar 2021 allerdings klargestellt, dass auch ein höheres Medianentgelt ausreicht, um die Vermutung einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach § 22 AGG zu begründen. Stellt sich heraus, dass die männlichen Vergleichsgehälter höher sind, lohnt es sich, sich bei dem/der Arbeitgeber*in nach objektiven Gründen für die Entgeltdifferenz zu erkundigen. Doch auch grundsätzlich taugliche Kriterien wie Ausbildung, Leistung und Dienstalter müssen durchschaubar sein und kohärent angewandt werden. Gibt es im Betrieb einen Betriebsrat, sollte dieser unbedingt einbezogen werden.
Wer in einem kleineren Betrieb arbeitet, hat (noch!) keinen gesetzlichen Auskunftsanspruch. Da bleibt nur die Option, sich bei den Kollegen erkundigen, was diese in vergleichbaren Positionen verdienen. Es ist nicht verboten, über Gehälter zu sprechen. Entsprechende Verschwiegenheitsklauseln in den Arbeitsverträgen sind meist unwirksam. Bald werden aber auch Beschäftigte in kleineren Betrieben einen Anspruch auf Lohntransparenz haben; dies sieht die neue Lohntransparenz-Richtlinie vor.
Wie wird die neue Lohntransparenz-Richtlinie die Situation verbessern?
Am 30. März 2023 hat das EU-Parlament der neuen Richtlinie zur Lohntransparenz zugestimmt. Der Rat hat die Richtlinie am 24. April 2023 final angenommen. Deutschland hat nun bis zum 7. Juni 2026, also drei Jahre, Zeit, um die Richtlinie umzusetzen (Art. 34 Abs. 1). Die Richtlinie sieht für alle Arbeitnehmer*innen einen Auskunftsanspruch vor, unabhängig von der Betriebsgröße. Der Anspruch richtet sich nicht mehr auf den Median, sondern auf Informationen über das durchschnittliche Lohnniveau von Arbeitnehmer*innen derselben Kategorie, aufgeschlüsselt nach Geschlecht (Art. 7).
Auch für Bewerber*innen verbessert sich die Situation: Arbeitgeber müssen in der Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch Informationen über das Anfangsgehalt oder die Gehaltsspanne angeben. Zudem dürfen sie potenzielle Arbeitnehmer*innen nicht nach ihrem bisherigen Gehalt fragen (Art. 5). Außerdem müssen die Kriterien der Lohnfestsetzung transparent gemacht werden (Art. 6). Betriebe ab 100 Mitarbeiter*innen müssen im Rahmen eines Transparenzberichts Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in derselben Arbeitnehmerkategorie, sowie über das Lohngefälle insgesamt veröffentlichen (Art. 9).
Auch die Durchsetzbarkeit wird verbessert, indem auch Anti-Diskriminierungsverbände und Arbeitnehmer*innenvertretungen im Namen der Beschäftigten tätig werden dürfen (Art. 15). Die Mitgliedstaaten müssen zudem für Verstöße gegen das Gebot der Entgeltgleichheit abschreckende Sanktionen, insbes. Geldstrafen, einführen (Art. 23).
Können Männer sich auch auf das Equal Pay-Gebot berufen, wenn eine Frau für vergleichbare Arbeit mehr verdient als sie und es dafür keine objektiven Gründe gibt?
Grundsätzlich gilt das Gebot der Entgeltgleichheit in beide Richtungen. Weder der EuGH noch das BAG differenzieren in ihrer Rechtsprechung nach dem Geschlecht. § 7 EntgTranspG verbietet es, für gleiche oder für gleichwertige Arbeit wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt zu vereinbaren oder zu zahlen „als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts“. Hierauf können sich also nach dem Wortlaut Männer ebenso wie Frauen berufen.
Nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob auch die weitgehenden Beweiserleichterungen gleichermaßen für beide Geschlechter Anwendung finden und somit allein der Umstand, dass eine Frau für die gleiche Arbeit mehr verdient als ein Mann, die widerlegbare Vermutung begründet, dass diese Benachteiligung aufgrund seines männlichen Geschlechts erfolgt ist. Bei einem formalen und symmetrischen Gleichheitsverständnis wäre dies zu bejahen. Auch für Männer wird es regelmäßig kaum möglich sein, über den Gehaltsunterschied hinausgehende Gründe darzulegen, die darauf hindeuten, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert wurden. Die Gründe für Entgeltunterschiede liegen auch hier in der Sphäre des Arbeitgebers. Auf diese Wissensasymmetrie verweist auch das Bundesarbeitsgericht zur Begründung der Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man bei einem asymmetrisch-materiellen Verständnis des Gleichstellungsgebotes in Art. 157 AEUV und § 7 EntgTranspG. Die Entstehungsgeschichte und Schutzrichtung des Equal Pay-Gebotes weisen darauf hin, dass damit eine strukturelle Ungleichheit im Lohngefüge adressiert werden sollte. Noch heute verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer, die sogenannte bereinigte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen (Gender Pay Gap) beträgt immerhin 7 Prozent. Vor diesem Hintergrund lässt sich nachvollziehbar begründen, dass ein höheres männliches Gehalt die widerlegbare Vermutung begründet, dass der Gehaltsunterschied am Geschlecht liegt, während sich dies andersherum weniger aufdrängt.
Welche Fristen müssen Arbeitnehmer*innen beachten, wenn sie ihren Anspruch auf gleichen Lohn und auf Entschädigung geltend machen?
Wer beim Entgelt diskriminiert wird, hat Anspruch auf eine rückwirkende Gehaltserhöhung. Erfüllungsansprüche wegen geschlechtsbezogener Lohndiskriminierung unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist des §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB von drei Jahren. Diese Frist beginnt, sobald die betroffene Person Kenntnis von der Diskriminierung hat. Da es für die Vermutung einer Entgeltdiskriminierung ausreicht, dass bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit ein Gehaltsunterschied vorliegt, beginnt die Verjährungsfrist zu laufen, wenn die betroffene Person vom Gehaltsunterschied erfährt, etwa durch eine Entgeltauskunft nach § 10 EntgTranspG. Darüber hinaus kann der Anspruch auf Nachzahlung rückständiger Vergütung auch vertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen unterliegen. Anders ist es beim Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Dieser Anspruch muss nach § 15 Abs. 4 AGG zwei Monate nach Kenntnis schriftlich beim Arbeitgeber geltend gemacht werden.