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Menschenwürdiges Existenzminimum

Interview mit Kamalraj G: “Ich bin stolz, dass meine Klage nun zum Verfassungsgericht geht.”

Auf Grundlage unserer Vorlage hat das Sozialgericht Düsseldorf im April 2021 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die gekürzten Sozialleistungen in Geflüchteten-Unterkünften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Kamalraj G. aus Sri Lanka ist Kläger im Verfahren vor dem Sozialgericht. Wir haben im psychosozialen Zentrum Düsseldorf mit ihm über seine Fluchtgründe, seine Situation in Deutschland und das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gesprochen.

GFF: Lieber Kamalraj G., wann und aus welchen Gründen sind Sie nach Deutschland gekommen?

Kamalraj G.: Ich 2014 nach Deutschland geflüchtet, weil ich in Sri Lanka als Tamile verfolgt wurde. Dort war ich von 2009 bis 2011 im Gefängnis. Ich habe schreckliche Sachen erlebt und mir wurde viel Gewalt angetan. Aber ich hatte Glück und konnte mit Hilfe eines guten Anwalts freikommen. Viele Menschen können sich jedoch keinen Anwalt leisten und sind weiterhin in Gefangenschaft. Andere verschwinden einfach. Ihre Familien wissen bis heute nicht, wo sie sind. Ich habe so viele schreckliche Sachen gesehen und erlebt, wie Menschen von Bomben getötet werden und die Massengräber, in die sie geworfen wurden. Diese Bilder gehen nie wieder weg.

Was ist in der Zeit, nachdem Sie freigelassen wurden passiert?

Ich musste mich jede Woche in der Polizeistation melden. Dort wurde ich verhört und misshandelt. Die Polizei hat auch meine Mutter aufgesucht und eingeschüchtert, wenn ich nicht zuhause war. Ich lebte in ständiger Angst und habe mich nie sicher gefühlt. Meine Familie und ich haben dann entschieden, dass ich das Land verlassen muss. Wir haben Verwandte und Freunde um finanzielle Unterstützung für die Reise nach Europa gebeten.

Wie geht es Ihnen jetzt in Deutschland?

Ich bin nach Deutschland gekommen mit der Hoffnung, dass ich hier aufgenommen werde und langfristig lebe. Seit 2014 bin ich bereits hier und erst im letzten August wurde endlich entschieden, dass ich bleiben darf. Denn zunächst wurde mein Antrag abgelehnt. Ich habe den Behörden und Gerichten alles erzählt und ihnen viele Beweise geliefert – von all den furchtbaren Sachen, die ich erlebt habe. Trotzdem wurde mir erst nicht geglaubt. 2019 habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen, weil ich einfach nicht mehr konnte. Daraufhin wurde ich für einige Zeit in eine Klinik eingewiesen.

Seit 2019 erhalten Geflüchtete, die in Sammelunterkünften leben, weniger Sozialleistungen. Wie viel Geld haben Sie monatlich zur Verfügung? Können Sie davon leben?

Ich bekomme monatlich 330 Euro vom Sozialamt. Davon muss ich alles bezahlen: Essen, Fahrkarten, Kleidung. Wenn ich hier zu einem Anwalt gehe, brauche ich einen Dolmetscher. Beide muss ich selbst bezahlen. Alleine der Anwalt hat mich mehrere tausend Euro gekostet. Und in Zeiten von Corona sind viele Sachen teurer geworden. 330 Euro sind einfach zu wenig für einen Menschen hier in Deutschland.

Die deutsche Regierung findet, dass Geflüchtete in Sammelunterkünften weniger Geld brauchen, weil sie mit den anderen Bewohnern zusammen einkaufen, kochen und Sachen teilen können. Was halten Sie davon?

Das ist leider völlig unrealistisch. Man kann nicht mit fremden Menschen aus verschiedensten Ländern, Kulturen, Religionen und Sprachen zusammen einkaufen und essen. Die Regierung sollte sich mal anschauen wie die Realität in den Unterkünften ist. Ich teile die Küche und das Bad mit sieben anderen Menschen, mein Zimmer teile ich mit einem anderen Geflüchteten. Meine Mitbewohner sind in Ordnung, aber wir haben keine enge Beziehung.

Wie äußern sich die Probleme im Alltag konkret?

Das fängt schon beim Kochen an. Wir haben ganz unterschiedliche Essgewohnheiten. Ich bin Hindu und esse kein Rind und faste regelmäßig. Dann esse ich nur einmal abends vegetarisch. Meine Mitbewohner haben eine ganz andere Esskultur. Sie essen Lebensmittel, die ich niemals essen kann. Wie soll man diese unterschiedlichen Bedürfnisse organisieren? Das würde nur zu Konflikten führen. Aber selbst wenn wir gemeinsam einkaufen und kochen würden, würde es keinen Sinn ergeben, das Geld zu kürzen. Man muss ja trotzdem für alle einkaufen. Wenn ich für vier Menschen Reis koche brauche ich auch viermal so viel Reis. Ich glaube nicht, dass wir dadurch Geld sparen würden. Und wo wir sonst sparen sollen weiß ich wirklich nicht.

Warum haben Sie entschieden, gegen die niedrigen Sozialleistungen vor Gericht zu gehen?

Ich war im psychosozialen Zentrum in Düsseldorf zur Beratung und psychischen Unterstützung – außerdem brauchte ich einen Dolmetscher. Hier habe ich erfahren, dass eigentlich das Sozialamt einen Dolmetscher für die psychotherapeutische Behandlung bezahlen muss. Das Sozialamt hat sich aber geweigert. Mithilfe einer Anwältin aus Köln habe ich das dann eingefordert. Viele von uns, die aus anderen Ländern hierherkommen, wissen erstmal nicht, dass man was gegen diese Entscheidungen machen kann. Auch ich hätte nichts dagegen unternommen, wenn ich nicht ins psychosoziale Zentrum gekommen wäre. Ich hätte nicht die finanziellen Möglichkeiten gehabt, eine Anwältin einzuschalten und auch nicht den Mut oder die Sprachkenntnisse. Ich finde es wichtig, gegen die niedrigen Sozialleistungen vor Gericht zu gehen. Das kann auch vielen anderen Menschen helfen. Ich weiß, dass es viele Geflüchtete gibt, die mit dem Geld nicht auskommen.

Wie fühlen Sie sich damit, dass Ihre Klage nun vor dem Bundesverfassungsgericht, dem höchsten deutschen Gericht, gelandet ist?

Es tut schon gut, dass Sie meine Geschichte hören wollen, und dass Sie mich dabei unterstützen für mehr finanzielle Unterstützung zu streiten. Ohne die Hilfe des Psychosozialen Zentrums, der Anwältin und Organisationen wie Ihrer wäre es mir nicht möglich, mich gegen die niedrigen Sozialleistungen zu wehren. Ich bin stolz und es fühlt sich toll an, dass wir das zusammen machen.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich hatte von Anfang an den Wunsch, die deutsche Sprache zu lernen. Ohne Sprachkenntnisse funktioniert nichts. Aber lange Zeit ging es mir dafür zu schlecht. Ich habe das Buch aufgeschlagen und dann kamen die Gedanken: Was passiert mit mir? Kann ich in Deutschland bleiben oder muss ich zurück? Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Mein nächster Schritt ist ein Deutschkurs und nebenbei möchte ich arbeiten. Das darf ich jetzt, wo ich einen Aufenthaltstitel habe. Und jetzt kann ich mir endlich auch eine eigene Wohnung suchen.

Menschenwürdiges Existenzminimum

MENSCHEN­WÜRDIGES EXISTENZ­MINI­MUM IN GEFLÜCHTETEN-UNTERKÜNFTEN

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