Gutachten: Mehr Freiheit für soziale Kommunikation und Netzkultur im Urheberrecht
Das Urheberrecht muss einen gerechten Ausgleich zwischen verschiedenen Grundrechten schaffen – insbesondere zwischen dem Recht auf (geistiges) Eigentum einerseits und der Meinungs- und Kunstfreiheit andererseits. Im Rahmen der Debatte um die Einführung verpflichtender Uploadfilter durch die EU-Urheberrechtsrichtlinie gab es eine starke Befürchtung: Die automatische Durchsetzung des Urheberrechts durch Uploadfilter könnte zur massenhaften Sperrung geduldeter Formen der sozialen Kommunikation im Netz führen, deren Rechtmäßigkeit aber ungeklärt war.
Diese Ausdrucksformen, wie beispielsweise Memes, Remixes, Reaction GIFs oder Samplings, zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwar oft auf urheberrechtlich geschütztes Material zurückgreifen, aber selten wirtschaftlichen Schaden anrichten. Gleichzeitig kommt diesen Kommunikationsformen eine ständig steigende Bedeutung für die Ausübung der Meinungs- und Kunstfreiheit zu, je stärker sie politische Debatten und kreative Schaffensprozesse prägen. Um diese Grundrechte angesichts der Verschärfung der Urheberrechtsdurchsetzung zu schützen, führte der Europäische Gesetzgeber parallel zu den Uploadfiltern auch neue Nutzungsrechte: Neben Zitat, Kritik und Rezension wurde auch die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für Karikaturen, Parodien und Pastiches europaweit legalisiert. Die Europäische Union reagierte damit auf Forderungen aus der Zivilgesellschaft, „die Memes zu retten“.
Inzwischen hat sich der Europäische Gerichtshof zur Vereinbarkeit des umstrittenen Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie mit der Meinungsfreiheit geäußert. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass die Schutzvorkehrungen für die Meinungsfreiheit, darunter auch das Recht auf Karikatur, Parodie und Pastiche, für die grundrechtskonforme Anwendung der Uploadfilter essentiell sind. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) veranstaltete gemeinsam mit unserem Partner COMMUNIA am 19. September 2022 in Berlin die wissenschaftliche Fachkonferenz „Filtered Futures“ zu den Folgen des Artikel 17-Urteils des Europäischen Gerichtshofs, auf der auch Dr. Till Kreutzer die Ergebnisse seines Gutachtens zum Pastiche vorgestellt hat.
In Deutschland gilt das Recht auf Karikatur, Parodie und Pastiche seit Sommer 2021 in Form des § 51a UrhG. Diese neue Regelung stellt Gerichte vor eine Herausforderung, denn diese Urheberrechtsschranke war dem deutschen Recht bislang fremd. Entsprechend gibt es noch kaum höchstrichterliche Rechtsprechung – abgesehen vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Deckmyn, in dem das Konzept der Parodie europaweit einheitlich und weit ausgelegt wurde. Während sich Parodien durch Humor oder Spott auszeichnen, kann der Pastiche auch eine wertschätzende oder neutrale Haltung ausdrücken.
Eine allgemein anerkannte Definition von Pastiche gibt es bislang nicht – diese Lücke soll das heute vorgestellte Gutachten schließen. Anhand der Gesetzesmaterialien legt Dr. Till Kreutzer dar, dass der Pastiche der Legitimierung üblicher Kommunikations- und Kulturpraktiken im Netz dient, wie etwa Remixes, Memes, GIFs, Mashups, Fan Art, Fan Fiction und Sampling. Da der Begriff „Pastiche“ in unterschiedlichen fachlichen Kontexten sehr unterschiedlich verwendet wird und eine Auslegung der Norm anhand des allgemeinen Sprachgebrauchs an nicht möglich ist, schlägt Kreutzer eine urheberrechtsspezifische Definition des Pastiche-Begriffs vor:
„Ein Pastiche ist ein eigenständiges kulturelles und/oder kommunikatives Artefakt, das sich an die eigenschöpferischen Elemente veröffentlichter Werke Dritter anlehnt und sie erkennbar übernimmt.“
In dem Gutachten erläutert Kreutzer die einzelnen Elemente dieser Definition und demonstriert ihre Eignung als Abgrenzungsinstrument zu urheberrechtlich nicht relevanten Kommunikationsformen einerseits und Urheberrechtsverletzungen andererseits, indem er sie auf verschiedene Regelbeispiele aus dem Feld der Netzkultur anwendet. Insgesamt scheint der neue § 5a UrhG geeignet, die Meinungs- und Kunstfreiheit, insbesondere im Rahmen des Onlinekommunikation zu stärken.