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Verwaltungsgericht Wiesbaden hat „erhebliche Zweifel“ an Rechtmäßigkeit der Fluggastdaten-Richtlinie

Berlin/Wiesbaden, 4. Juni 2020 – Sobald Menschen Deutschland per Flugzeug erreichen oder verlassen, speichert und verarbeitet das Bundeskriminalamt (BKA) ihre persönlichen Daten. Diesen massiven Eingriff in das Privatleben vergleicht das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Beschluss damit, als würde mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und ruft in den von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) initiierten Klageverfahren den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. „Alle Fluggäste in ganz Europa als Verdächtige zu behandeln, ist völlig unverhältnismäßig. Die Rasterfahndung am Himmel muss beendet werden“, sagt Malte Spitz, Generalsekretär der GFF und Kläger gegen die Fluggastdaten-Richtlinie.

Die GFF sieht in der europäischen Fluggastdaten-Richtlinie (PNR-Richtlinie), auf der die Datensammlung des BKA beruht, eine Verletzung der Grundrechte auf Schutz der persönlichen Daten und auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Sie klagt mit ihrem Generalsekretär Malte Spitz sowie dem pensionierte EU-Beamten Emilio de Capitani vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden dagegen, dass das Bundeskriminalamt deren Fluggastdaten verarbeitet. Mit scharfen Worten hat das Verwaltungsgericht nun in Frage gestellt, dass die von der PNR-Richtlinie vorgesehene und vom Fluggastdatengesetz umgesetzte Datenverarbeitung die Grundrechte achten, und diesbezüglich den EuGH um Vorabentscheidung gebeten.

„Das Verwaltungsgericht lässt klugerweise nicht nur die PNR-Richtlinie vom EuGH überprüfen, sondern auch das deutsche Umsetzungsgesetz“, sagt Bijan Moini, Prozessverantwortlicher bei der GFF. „Würde der EuGH nämlich nur die Ungültigkeit der Richtlinie feststellen, gälte das deutsche Fluggastdatengesetz teilweise fort. Jahrelange Rechtsunsicherheit wäre die Folge gewesen, wie bei der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten.“

Laut PNR-Richtlinie müssen die EU-Mitgliedstaaten Fluggesellschaften seit Mai 2018 dazu verpflichten, Daten zu ihren Gästen auf Flügen in die und aus der EU an staatliche Stellen weiterzuleiten. Wie alle anderen Mitgliedstaaten hat Deutschland diese Pflicht auf alle internationalen – also auch innereuropäische – Flüge ausgeweitet.

Die in Deutschland fünf Jahre lang beim Bundeskriminalamt gespeicherten und dort verarbeiteten Datensätze enthalten eine Vielzahl sensibler Informationen, darunter das Geburtsdatum, die Namen der Begleitpersonen, die zum Kauf des Flugtickets verwendeten Zahlungsmittel sowie ein nicht näher definiertes Freitextfeld, das die Fluggesellschaft selbstständig füllt. Neben einem automatischen Abgleich mit Polizeidatenbanken will das Bundeskriminalamt zukünftig mittels automatisierter Mustererkennung verdächtige Flugbewegungen erkennen. Dadurch muss jede Person, deren Profil rein zufällig verdächtig erscheint, mit verstärkten polizeilichen Kontrollen oder gar Festnahmen rechnen. Denn die Fehlerquoten der Algorithmen werden beträchtlich sein.

Auch das Amtsgericht Köln hat dem EuGH im Januar drei von der GFF initiierte Verfahren gegen die PNR-Richtlinie vorgelegt. Der EuGH hat die GFF sowie ihren Verfahrensbevollmächtigten Prof. Dr. Remo Klinger bereits zur Stellungnahme in diesen Verfahren aufgefordert. Darin wird sich die GFF insbesondere auf das Gutachten 1/15 vom 26. Juli 2017 stützen, mit dem der EuGH schon einmal ein vergleichbares PNR-Abkommen zwischen der EU und Kanada verhindert hatte. „Laut Europäischem Gerichtshof dürfen nicht einfach ohne triftigen Grund Daten von allen möglichen Menschen über Jahre hinweg gespeichert werden“, sagt Moini. „Wir sind zuversichtlich, dass der Europäische Gerichtshof unseren Argumenten folgt und feststellt, dass die PNR-Richtlinie mit der europäischen Grundrechtecharta unvereinbar ist.“

Die GFF hat mehrere strategische Klagen initiiert, die sich teils gegen die Fluggesellschaften direkt, teils gegen das Bundeskriminalamt richten, um die PNR-Richtlinie überprüfen zu lassen. In Österreich geht die GFF-Partnerorganisation epicenter.works ebenfalls gegen die Datenspeicherung und -verarbeitung vor. In einem weiteren Verfahren in Belgien hat der dortige Verfassungsgerichtshof das belgische Gesetz zur Umsetzung der PNR-Richtlinie bereits dem EuGH vorgelegt.

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:

Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org,Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896

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