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Entschädigung bei häuslicher Gewalt Münzen von stevepb, lizensiert unter Pixabay License
Gleiche Rechte
Art. 3

Soziales Entschädigungs­recht bei partner­schaftlicher Gewalt

Überlebenden häuslicher Gewalt - meist Frauen - werden Entschädigungsleistungen verwehrt. Wir unterstützen eine Klägerin gegen die diskriminierende Praxis - mit Erfolg.

Die GFF unterstützt eine Berlinerin bei ihrer Klage auf Entschädigung. Sie war von einem Ex-Partner schwer verletzt worden. Eine Entschädigung nach dem Recht sozialer Entschädigungen hat ihr das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales zunächst verweigert, da sie die Gewalttat durch ihren vorherigen Verbleib in der Beziehung selbst zu verantworten habe. Die Praxis der Entschädigung von Gewaltopfern in Deutschland diskriminiert damit mittelbar Frauen: Überlebende häuslicher Gewalt gehen fast immer leer aus, weit überwiegend betrifft dies Frauen.
Mit Unterstützung der GFF hat die Klägerin einen wichtigen Erfolg vor dem
Landessozialgericht erringen können: In einem sogenannten Zwischenurteil hat es entschieden, dass ihr eine Entschädigung zusteht. Es steht nunmehr noch ein Sachverständigengutachten über Umfang und Höhe der Entschädigungsleistung aus, und dann ein abschließendes Endurteil.

Soziales Entschädigungsrecht läuft für Opfer häuslicher Gewalt ins Leere

Opfern von Gewalttaten steht nach dem sozialen Entschädigungsrecht ein Anspruch auf Entschädigung zu, zum Beispiel auf den Ersatz medizinischer Behandlungskosten. Bisher ist der Anspruch im Opferentschädigungsgesetz (OEG) geregelt, ab 2024 findet er sich im am 19. Dezember 2019 verkündeten Sozialgesetzbuch (SGB) XIV. Dem Anspruch liegt der Gedanke zugrunde, dass der Staat die Verantwortung dafür trägt, Menschen vor Unrecht zu schützen und Gewalttaten zu verhindern. Wo dieser Schutz versagt, ist er grundrechtlich verpflichtet, sich für den Schutz von Gewaltopfer einzusetzen und diese durch Entschädigungen abzusichern.

Gewaltopfern wird jedoch keine Entschädigungen gewährt, wenn sie die Gewalttat selbst verursacht haben oder es aufgrund eines vorherigen Verhaltens „unbillig“ und ungerecht wäre, wenn das Gemeinwesen für die Folgen der Tat aufkäme (§ 2 OEG, zukünftig § 17 SGB XIV). Das Bundessozialgericht hat diesen Passus im Gesetz in zwei stark umstrittenen Urteilen von 1998 so ausgelegt und weiterentwickelt, dass Personen, die von Gewalttaten in Partnerschaften betroffen sind, meist keine Entschädigungen erhalten (BSG Urteilvom 21.10.1998, Az B9 VG 6/97 R und vom 09.12.1998, Az B9 VG 8/97R). Die Begründung dafür ist, dass sie sich „bewusst oder leichtfertig“ einer Gefahr aussetzen, der sie sich ohne Weiteres hätten entziehen können: Sie hätten sich aus der Beziehung trennen und so die Gewalttat verhindern können.

Praxis der sozialen Entschädigung diskriminiert Frauen

Dies wird auch der Berliner Klägerin vorgeworfen. Diese hatte sich kurz zuvor von ihrem Partner getrennt, als dieser sie nachts unangemeldet in ihrer Wohnung aufsuchte. Er bedrängte sie aggressiv und weigerte sich, die Wohnung zu verlassen. Schließlich schlug er ihr mit einem mit Münzen gefüllten Metallbecher gegen den Kopf und verletzte sie schwer. Für die Tat wurde ihr Ex-Partner wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Beleidigung verurteilt. Das zuständige Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales hat der Frau eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) verweigert. Sie sei für die gefährliche Körperverletzung überwiegend selbst verantwortlich: Schließlich sei sie mit dem Täter in einer Beziehung verblieben, obwohl dieser sie bereits zuvor beleidigt und geschubst habe. Eine staatliche Entschädigungsleistung sei daher „unbillig“.

Der ablehnende Bescheid ist kein Einzelfall, sondern beispielhaft für die diskriminierende Entscheidungspraxis von Behörden und Gerichten im Bereich der Opferentschädigung. Diverse Frauenberatungsstellen haben dies in der Vergangenheit kritisiert. In solchen Fällen kommt es zu einer fatalen Täter-Opfer-Umkehr, welche die strukturellen Ursachen von Partnerschaftsgewalt ignoriert.

Jede vierte Frau erlebt Gewalt in einer Partnerschaft

In der fast systematischen Versagung von Entschädigungsleistungen bei partnerschaftlicher Gewalt liegt eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung. Eine scheinbar geschlechtsneutrale Regelung zu häuslicher Gewalt betrifft faktisch deutlich überwiegend Frauen. Denn Frauen sind um ein Vielfaches häufiger von Gewalt in Beziehungen betroffen. Nach EU-weiten Statistiken erlebt jede dritte Frau in Europa körperliche oder sexuelle Gewalt. Im Jahr 2017 verzeichnet die Polizeikriminalstatistik in Deutschland 138.393 Personen, die Opfer von Gewalt in Partnerschaften waren, 82 % davon waren Frauen. Die Dunkelziffer der von „häuslicher Gewalt“ betroffenen Frauen wird deutlich höher geschätzt: Etwa jede vierte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens sexuelle oder körperliche Gewalt in einer Partnerschaft.

Die Ansicht, Frauen, die in gewalttätigen Beziehungen sind, trügen an den Gewalttaten eine Mitschuld, verkennt die Dynamiken gewalttätiger Beziehungen. Etwa die Angst vor weiterer Gewalt, die Folgen für gemeinsame Kinder oder eine bei Frauen häufig hinzukommende finanzielle Abhängigkeit machen eine Trennung schwer (siehe hierzu eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

Schutz vor Gewalt heißt auch Entschädigung

Diese Praxis läuft auch den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands zuwider. Geschlechtsspezifische Gewalt ist als Menschenrechtsverletzung anerkannt, ihr Verbot unter anderem in der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben. Zuletzt hat die durch Deutschland ratifizierte Istanbul-Konvention die Verpflichtungen zum Schutz von Frauen vor Gewalt weiter konkretisiert. Den Staat trifft damit eine grund- und menschenrechtliche Pflicht, Frauen vor Gewalt zu schützen: Dieser Schutz darf nicht aufhören, wenn Gewalttaten einmal geschehen sind. Schutz heißt auch, Frauen durch Entschädigungen abzusichern.

Die Reform des sozialen Entschädigungsrechts hat die Diskriminierung nicht beendet

Das Opferentschädigungsgesetz wurde reformiert und wird durch das bereits verkündete SGB XIV abgelöst, welches in wenigen Punkten bereits seit 2021 gilt, insgesamt aber 2024 in Kraft treten wird. Die Reform bringt viele Verbesserungen. Dennoch: Den strukturellen Leistungsausschluss von Opfern häuslicher Gewalt hat auch das SGB XIV nicht beendet. Eine gesetzliche Klarstellung fehlt trotz des Drängens von Verbänden.

Gemeinsam mit der Rechtsanwältin Ronska Grimm unterstützt die GFF in diesem Präzedenzfall eine von vielen betroffenen Frauen. Nach dem erfolgreichen Zwischenurteil vom 9. Juli 2021, das der Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung zugesprochen hat, warten wir nun auf die Feststellung der Entschädigungshöhe durch Sachverständigengutachten und auf einen Abschluss des Verfahrens durch Endurteil.

Wichtiger Erfolg vor Gericht: Das Landessozialgericht spricht Entschädigung zu

Mit Zwischenurteil vom 9. Juli 2021 hat das Landessozialgericht der Klägerin Recht gegeben und entschieden, dass ihr in der Sache ein Entschädigungsanspruch zusteht. Das ist bereits ein wichtiger Erfolg und eine große Erleichterung für die Klägerin.

Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Klägerin schon deshalb nicht in die in der umstrittenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts etablierte Fallgruppe des „Verbleibens in einer gefahrengeneigten Beziehung“ fällt, weil sie sich vor der maßgeblichen Gewalttat endgültig von ihrem Partner getrennt hatte. Das ist zutreffend. Es bedeutet aber leider auch, dass das Urteil nicht klarstellt, dass Entschädigungsansprüche auch nach Gewalttaten in bestehenden Beziehungen bestehen muss. Sonst droht das soziale Entschädigungsrecht für viele Opfer häuslicher Gewalt weiter ins Leere zu laufen.

Die Höhe der Entschädigung muss nun noch durch ein Sachverständigengutachten ermittelt werden und dann wird das Gericht das Verfahren durch Endurteil abschließen. Dagegen kann das Landesamt für Gesundheit und Soziales Rechtsmittel einlegen.

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