Rechtsgutachten: Keine urheberrechtliche Haftung für DNS-Dienste
Gutachten von Prof. Janal zum Download
Das Gerichtsverfahren von Sony Music gegen den privatsphärefreundlichen DNS-Resolver Quad9 geht in die nächste Runde: Am morgigen 8. Februar findet die mündliche Verhandlung im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Leipzig statt. Sony Music möchte Quad9 für Urheberrechtsverletzungen Dritter haftbar machen, wenn diese Quad9 für die reine Auflösung von Web-Adressen in numerische IP-Adressen nutzen. 2021 hatte Sony vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Quad9 verpflichtete eine Netzsperre einzurichten. Im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Leipzig geht Sony nun sogar einen Schritt weiter und verlangt, dass Quad9 nicht als Störer, sondern als Täter haften solle – so als habe Quad9 selbst Urheberrechtsverletzungen begangen.
Die Konsequenzen wären verheerend: Vermittlungsdienste wie Quad9 haben keinerlei Kenntnis über die Inhalte von Internetseiten, die Nutzer*innen aufrufen. Käme eine täterschaftliche Haftung für sie in Frage, müssten sie hohe Schadensersatzforderungen befürchten, wenn Nutzer*innen eine Urheberrechtsverletzung im Netz begehen. Eine Überwachung des Surfverhaltens ist den Betreibern von DNS-Diensten weder zumutbar, noch wäre sie mit den Grundrechten der Nutzer*innen vereinbar. DNS-Dienstleistern würde bei einer derartigen Ausweitung der urheberrechtlichen Haftung kaum etwas anderes übrigbleiben, als Forderungen vermeintlicher Rechteinhaber*innen nach Einrichtung einer Netzsperre sofort nachzukommen. Ein solches System könnte gezielt missbraucht werden, um missliebige legale Inhalte sperren zu lassen, ohne dass ein Gericht über die Netzsperre entscheidet. Gemeinwohlorientierte IT-Sicherheitsdienste wie Quad9 würden das volle Kostenrisiko für die Durchsetzung des Urheberrechts tragen und müssten sich schlimmstenfalls aus dem europäischen Markt zurückziehen.
Rechtsprechung zu Haftung von Sharing-Plattformen nicht auf DNS-Dienste übertragbar
Wie das Rechtsgutachten von Prof. Janal zeigt, liegt der Forderung von Sony eine gefährliche Fehlinterpretation der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Urheberrechtsverletzungen auf Sharing-Plattformen wie YouTube oder Uploaded zu Grunde. Im europäischen Urheberrecht findet die täterschaftliche Haftung vermehrt auf Online-Plattformen Anwendung. Nicht nur der kontroverse Artikel 17 der EU-Urheberrechtsreform macht bestimmte profitorientierte Online-Plattformen wie YouTube unmittelbar für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer*innen verantwortlich. Auch der EuGH hat – beginnend mit seinem Urteil im Falle The Pirate Bay und zuletzt im Fall YouTube/Cyando – Kriterien entwickelt, wann eine Plattform selbst durch Bereitstellung von User-Uploads eine urheberrechtlich relevante öffentliche Wiedergabe begeht. Der BGH hat daraufhin zuletzt seine Rechtsprechung revidiert, wonach Hosting-Anbieter allenfalls als Störer für Urheberrechtsverletzungen Dritter haften.
Prof. Janal stellt fest, dass diese Rechtsprechung sich nicht auf Zugangsvermittler wie DNS-Dienste oder Internet-Provider übertragen lässt. Zunächst betreffen die besagten Urteile allesamt Online-Plattformen, auf die Dritte urheberrechtlich geschützte Werke oder zumindest Links zu ihnen hochladen können. Bei Zugangsvermittlern hat der EuGH eine täterschaftliche Haftung stets ausgeschlossen. Außerdem würde bei einer Ausweitung der täterschaftlichen Haftung die Haftungsprivilegierung von Zugangsvermittlern aus der E-Commerce-Richtlinie ins Leere laufen, wonach diese im Gegensatz zu Hosting-Anbietern nicht verpflichtet sind, Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer*innen nach einem Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung unverzüglich zu sperren. Für Plattformen kommt eine täterschaftliche Haftung laut EuGH dagegen in Frage, wenn sie eine zentrale Rolle für die Urheberrechtsverletzung spielen. Diese zentrale Rolle schließt Prof. Janal für Dienste wie Quad9 aus.
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass ein Internetzugangsanbieter wie die Telekom oder ein DNS-Resolver wie Quad9 viel weiter von Urheberrechtsverletzungen auf beliebigen Webseiten entfernt sind als YouTube oder Webseiten wie The Pirate Bay. Auch ist es undenkbar, dass ein Zugangsvermittler durch sein Geschäftsmodell die Begehung von Urheberrechtsverletzungen fördert – ein Kriterium, dem der EuGH bei der Beurteilung der Haftung von Plattformen eine große Bedeutung beimisst.
DNS-Resolver verhalten sich in Bezug auf die von ihnen übermittelten Informationen neutral. Sie sind Wegweiser durch das Netz, die Web-Adressen wie freiheitsrechte.org der richtigen IP-Adresse zuordnen – völlig unabhängig davon, welche Inhalte auf dieser Webseite bereitgestellt werden. Insofern sind sie vergleichbar mit Internetzugangsanbietern, die meist ihre eigenen DNS-Resolver betreiben, um ihren Kund*innen die Navigation durch das Web zu erlauben. Dass die Rechtsprechung des BGHs zur täterschaftlichen Haftung von Online-Plattformen nicht auf Vermittlungsdienste übertragbar ist, zeigt sich laut Prof. Janal auch an einer jüngeren Entscheidung des BGH: Das Gericht hat gut vier Monate nach der Entscheidung zu YouTube und Uploaded im Fall DNS-Sperre gar nicht erst geprüft, ob eine täterschaftliche Haftung für Vermittlungsdienste in Frage kommt. Stattdessen hat es an dem Grundsatz festgehalten, dass Netzsperren nur dann in Betracht kommen, wenn eine Inanspruchnahme tatnäherer Beteiligter ausscheidet, die die Urheberrechtsverletzung wirksam beenden könnten.
Vorwirkung des Digital Services Act
Bei DNS-Resolvern handelt es sich wie bei Internetzugangsanbietern um reine Vermittlungsdienste. Die Hürden für Netzsperren durch DNS-Resolver müssen also mindestens genauso hoch sein wie für Internetzugangsanbieter. Prof. Janal zeigt, dass nicht nur der aktuelle Wortlaut des Telemediengesetzes diesen Schluss nahelegt, sondern der Digital Services Act das explizit klarstellt, indem er DNS-Dienste ausdrücklich in den Erwägungsgründen als Beispiel für Vermittlungsdienste nennt. Eine Ungleichbehandlung von DNS-Resolvern und Internetzugangsanbietern wäre laut Prof. Janal mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar.
Auch wenn der kürzlich verabschiedete Digital Services Act erst ab Februar 2024 Anwendung findet, entfaltet er laut Prof. Janal bereits heute eine gewisse Vorwirkung. Mitgliedstaaten sind im Rahmen ihrer Loyalitätspflicht gegenüber der EU verpflichtet, auch vor dem Stichtag der Anwendbarkeit neuer EU-Rechtsakte zu verhindern, dass die Ziele der EU-Gesetzgebung gefährdet werden. Verpflichtet ein deutsches Gericht einen DNS-Resolver zu einer Netzsperre – wie im Falle der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen Quad9 geschehen – muss diese Unterlassungsanordnung also zumindest auf den Zeitraum vor Anwendbarkeit des Digital Services Act begrenzt werden.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte wird die Ergebnisse des Gutachtens von Prof. Janal in das Hauptsacheverfahren Sony gegen Quad9 vor dem Landgericht Leipzig einbringen und unterstützt Quad9 darüber hinaus in seiner Berufung gegen die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg.