Urheberrechtsreform im Bundestag – die wichtigsten Änderungen im Überblick
Nach langem Ringen stimmt der Bundestag morgen über die Urheberrechtsreform ab. Die Koalitionsfraktionen haben sich auf gemeinsame Änderungsanträge geeinigt, die heute bereits vom Rechtsausschuss abgesegnet wurden. Die Fan Fiction-Community kann angesichts der Änderungen aufatmen, aber es kommen auch Verschärfungen der Uploadfilter zu Gunsten von Sportverbänden und Filmindustrie auf uns zu. Die Verabschiedung durch den Bundestag ist jetzt nur noch eine Formsache. Dieser Blogpost unseres Urheberrechtsexperten und Leitung des Projektes control ©, Felix Reda, gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen und über unsere Pläne, um die Grundrechte zu schützen, wenn Uploadfilter bald vermehrt zum Einsatz kommen.
Gesellschaft für Freiheitsrechte plant Schutz vor Uploadfiltern
Die neue Urheberrechtsreform gilt ab dem 7. Juni. Für die Umsetzung
von Artikel 17 erhalten die Online-Plattformen jedoch eine Schonfrist
bis zum 1. August, damit sie Zeit haben, ihre technischen Systeme auf
die neuen Regeln umzustellen. Auf die Nutzer*innen von
Online-Plattformen kommen damit viele Änderungen zu. Ab dem 1. August
können Rechteinhaber*innen verlangen, dass Uploads gesperrt werden, die
urheberrechtlich geschützte Werke enthalten. Die Uploadfilter werden
also bald für zahlreiche kommerzielle Plattformen verpflichtend.
Doch die Nutzer*innen der Plattformen sind den Uploadfiltern nicht schutzlos ausgeliefert: Laut Gesetzesentwurf dürfen die Uploadfilter nicht dazu führen, dass „hochgeladene Inhalte, deren Nutzung gesetzlich erlaubt ist oder bei denen kein Verstoß gegen das Urheberrecht vorliegt, nicht verfügbar sind“. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte rechnet damit, dass es trotz dieser Vorschrift zur Sperrung von legalen Inhalten kommen wird. Diese Fälle werden wir sammeln. Falls wir systematische Verstöße gegen die Nutzer*innenrechte feststellen, werden wir Klagen vorbereiten. Dafür sind wir auf Eure Hilfe angewiesen! Wir bitten euch, Sperrungen von legalen Inhalten auf Plattformen wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen ab dem 1. August 2021 bei uns zu melden, insbesondere wenn es sich um Inhalte handelt, die aus Deutschland hochgeladen wurden.
Meldungen fälschlich gesperrter Inhalte ab dem 1. August 2021 bitte an: uploadfilter@freiheitsrechte.org
Um die Meinungs- und Kunstfreiheit gegen wild gewordene Uploadfilter durchzusetzen, sieht der Gesetzesentwurf ein Verbandsklagerecht für nichtkommerzielle Vereine vor, die sich dem Schutz der Interessen von Nutzer*innen verschrieben haben. Diese Vereine können gegen Plattformen klagen, die wiederholt fälschlicherweise legale Inhalte sperren. Außerdem bekommen Nutzer*innen einen Schadensersatzanspruch gegen falsche Copyright Claims. Diese Möglichkeiten wird die Gesellschaft für Freiheitsrechte wahrnehmen, wenn es notwendig wird. Ihr könnt uns dabei unterstützen, indem ihr uns solche Fälle meldet und Fördermitglied werdet!
Uploadfilter für Sportverbände scharfgestellt
Der Rechtsausschuss hat eine zentrale Verschlechterung am Gesetzesentwurf beschlossen: Nicht autorisierte Ausschnitte aus Filmen und Fernsehsendungen sollen so lange vollautomatisch gesperrt werden dürfen, bis die erstmalige Übertragung beendet ist. Diese Regelung hat die Große Koalition insbesondere auf Druck der Fußballverbände in das Gesetz aufgenommen, aber sie gilt auch für alle anderen bislang unveröffentlichten Videos oder Liveaufzeichnungen. Das bedeutet, bis ein Fußballspiel oder ein anderes Live-Event beendet ist, müssen Plattformen jegliche Ausschnitte aus diesen Aufnahmen automatisch sperren, ohne vorher zu prüfen, ob es sich um ein legales Zitat, ein Meme oder dergleichen handelt. Immerhin ist diese Sonderregelung aber auf die Dauer der Erstausstrahlung begrenzt.
15-Sekunden-Regel bleibt
In allen anderen Fällen dürfen sogenannte „mutmaßlich erlaubte Nutzungen“ nicht automatisch gesperrt werden und müssen bis zu einer menschlichen Überprüfung durch die Plattform online bleiben. Dabei handelt es sich um Uploads, die erstens weniger als die Hälfte eines fremden Werks enthalten, zweitens dieses Werk mit anderen Inhalten kombinieren und drittens entweder als legale Nutzung (Zitat, Parodie etc.) gekennzeichnet oder geringfügig sind. Die Grenzen für geringfügige Nutzungen hat der Bundestag trotz Protesten von Musikverbänden und Zivilgesellschaft weder nach unten noch nach oben korrigiert: Es bleibt bei 15 Sekunden für Video- und Audioausschnitte, 125 Kilobyte für Bilder und 160 Zeichen Text. Insbesondere die Regelung für Texte wird in der Praxis zu erheblichen Problemen führen, denn selbst der Name der EU-Urheberrechtsrichtlinie ist länger als 160 Zeichen lang.
Der Rechtsausschuss hat an anderer Stelle die Schutzvorkehrungen gegen die Sperrung legaler Inhalte gestärkt. Der Entwurf der Bundesregierung sah noch vor, dass Online-Plattformen auf Schadensersatz verklagt werden könnten, wenn sie nach einer menschlichen Prüfung einen Inhalt als legales Zitat einstufen und ein Gericht später entscheidet, dass es sich doch um eine Urheberrechtsverletzung handelt. Dieses Risiko hätte Plattformen veranlasst, im Zweifel gegen die Nutzungsrechte zu entscheiden. Nach den Änderungen des Rechtsausschusses müssen Plattformen nur noch dann Schadensersatz zahlen, wenn sie bei der Prüfung eines Inhalts ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben. Außerdem müssen kommerzielle Plattformen nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen für alle Urheberrechtsausnahmen eine Vergütung zahlen, sondern nur noch für Karikatur, Parodie und Pastiche – für nichtkommerzielle Plattformen oder Einzelpersonen bleiben diese Nutzungen vergütungsfrei. Damit setzt der Rechtsausschuss eine zentrale Forderung der Wissenschaft um, die eine Vergütungspflicht für Zitate als Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einhellig ablehnt.
Rechtssicherheit für Fan Fiction
Die erfreulichste Änderung für die Netzkultur ist, dass Karikatur, Parodie und Pastiche künftig ohne Einschränkungen erlaubt sein sollen. Unter diese Urheberrechtsausnahme fallen unter anderem Memes, Remix, Mashup, Fan Fiction und Fankunst. Der Regierungsentwurf der Bundesregierung sah vor, dieses Recht auf Remix in der deutschen Urheberrechtsreform einzuschränken, obwohl es auf EU-Ebene verpflichtend als Teil von Artikel 17 beschlossen wurde. Der Vorschlag der Bundesregierung, wonach diese Nutzungen nur erlaubt sein sollten, „sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“, erzeugte einen Aufschrei in der Fan Fiction-Community. Der hat offenbar Wirkung gezeigt, denn der Rechtsausschuss hat diese Einschränkung gestrichen. Damit können sich Fans in Deutschland auf eine solide rechtliche Basis für Fankunst und Remixkultur freuen.
Wissenschaftsfreiheit gestärkt
Mit der Urheberrechtsreform werden die Regeln für Bildung und Forschung modernisiert: Es gibt neue Urheberrechtsausnahmen für den Online-Unterricht und die automatisierte Auswertung von urheberrechtlich geschützten Werken durch Text & Data Mining. Außerdem werden Kultureinrichtungen wie Bibliotheken oder Archive künftig ihre Bestände online verfügbar machen dürfen, wenn diese Werke nicht mehr im Handel erhältlich sind. Erfreulicherweise hat sich der Rechtsausschuss auch dazu durchgerungen, die bisher geltende Befristung des Wissenschaftsurheberrechts aufzuheben. Andernfalls drohten diese Ausnahmen für wissenschaftliche Forschung Anfang 2023 außer Kraft zu treten. An eine spätestens seit Corona längst überfällige Legalisierung des Verleihs von E-Books hat sich der Bundestag hingegen nicht herangetraut. Hier ist die nächste Bundesregierung gefragt.