Das Auskunftsrecht gilt auch für Polizeidatenbanken
Wir helfen einem jungen Mann, der wegen eines geheimgehaltenen Eintrags in eine Polizeidatenbank seinen Job verlor.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt das
Auskunftsbegehren eines 26-jährigen Mannes gegen das Bundeskriminalamt
(BKA). Der Kläger hatte sich wie jeden Sommer für eine Anstellung als
Ordner auf einem Musikfestival beworben. Ein Job, mit dem er regelmäßig
seinen Lebensunterhalt bestreitet. Eine Sicherheitsprüfung durch den
Arbeitgeber ergab jedoch Treffer, sodass seine Bewerbung abgelehnt
wurde. Dem wollte der Kläger nachgehen.
Nach mehreren ergebnislosen Auskunftsbegehren bei verschiedenen Landespolizeibehörden wurde der Kläger schließlich bei INPOL fündig, einem Informationssystem, in das diverse Landes- und Bundespolizeibehörden Daten eintragen können. Diese Datenbank wird vom BKA als Zentralstelle verwaltet. Was genau dort gespeichert war, wollte das BKA dem Kläger jedoch nicht sagen. Denn das BKA-Gesetz weist die Verantwortung für die Einträge in INPOL den Stellen zu, die die Informationen eingespeist haben. Das BKA hat dagegen nur die Rolle eines „Türstehers“: Es muss die Auskunft ohne das Einverständnis der speichernden Stelle verweigern (§ 84 Abs. 1 BKAG). Und es ist der Auffassung, dass es nicht einmal Auskunft darüber geben darf, welche Polizeibehörde diese speichernde Stelle ist. Sollte das richtig sein, könnte der Kläger – und könnten andere Menschen in einer ähnlichen Lage – keinen Rechtsschutz gegen einen Eintrag in INPOL suchen. Der Auskunftsanspruch ginge ins Leere.
Polizeibehörden könnten dann nicht nur Daten über Bürger*innen in INPOL sammeln und abrufen, ohne dass die betreffenden Personen davon Kenntnis erlangen können. Dieser Fall zeigt auch, welche gravierenden Auswirkungen diese Praxis für betroffene Menschen haben kann: Wenn wie hier Verdienstmöglichkeiten wegfallen, ist sogar die wirtschaftliche Existenz gefährdet. In diesem Fall wird Rechtsschutz unmöglich gemacht – das ist nicht nur inakzeptabel, sondern auch rechtswidrig.
Verwaltungsgericht Wiesbaden legt Fall dem Europäischen Gerichtshof vor
Der Fall des 26-jährigen Klägers macht deutlich, wie undurchsichtig und folgenreich die Datenverarbeitung durch polizeiliche Stellen abläuft. Der Kläger wurde noch nie strafrechtlich verurteilt. Deshalb erhob er Klage gegen das BKA vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden.
Der zuständige Richter des Verwaltungsgerichts Wiesbaden legte mit Beschluss vom 30. Juli 2021 den Fall dem EuGH vor. Denn auch das Verwaltungsgericht konnte keine weiteren Informationen über die Stelle, die die Daten schlussendlich gespeichert hat, herausbekommen. So konnte es auch diese Stelle dem Verfahren nicht beiladen, um mehr zu erfahren und – im Falle einer Stattgabe der Klage – diese Stelle gleich zur Auskunft zu verpflichten. Deshalb fragt das Verwaltungsgericht Wiesbaden den EuGH nun direkt, ob diese Rechtslage beziehungsweise diese Anwendungspraxis mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Konkret geht es um die Datenschutz-Richtlinie für Justiz und Inneres (EU) 2016/680 sowie um die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh).
So betrifft die Verweigerung des Auskunftsrechts das Grundrecht auf
Schutz personenbezogener Daten aus Art. 8 GRCh, aber auch das Recht auf
Privatleben, das Recht auf Berufsfreiheit und das Recht auf einen
gerichtlichen Rechtsbehelf (Art. 47 GRCh).
Der EuGH hatte die Rechtsanwältin des Klägers Katrin Niedenthal im September 2021 um eine Stellungnahme gebeten. Wegen der besonderen europarechtlichen Dimension der Fragen wurde diese Stellungnahme an den EuGH maßgeblich von Juniorprofessor Sebastian Golla und der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Anna Michel geschrieben. Sie begründen darin, dass die Verweigerung der Auskunft über die speichernde Stelle Europarecht verletzt.
Behörden sind zu Auskunft verpflichtet
Dass Sicherheitsbehörden in Datenbanken personenbezogene Informationen sammeln, ist nicht per se verboten. Sie müssen jedoch grundsätzlich den betroffenen Personen Auskunft darüber geben. Das Bundesdatenschutzgesetz (§ 57 Abs. 1 Satz 1 BDSG) verpflichtet Behörden dazu, auf Antrag Auskunft darüber zu erteilen, welche Daten für welche Zwecke über eine Person gespeichert sind und woher sie stammen. Damit wird gewährleistet, dass Personen die Daten auf ihre Richtigkeit überprüfen können und auch darauf, dass sie rechtmäßig verarbeitet werden. Sollte das nicht der Fall sein, können die betroffenen Personen eine Berichtigung oder die Löschung beantragen (§ 58 BDSG).
Dieses Recht wird dem 26-jährigen Kläger in unserem Verfahren verwehrt. Denn der spezielle Auskunftsanspruch für die Speicherung von Daten in INPOL (§ 84 Abs. 1 Satz 1 BKAG) führt dazu, dass sich Befugnisse und Zuständigkeiten der verschiedenen Behörden gegenseitig aufheben und am Ende keine Auskunft erteilt wird. Zwar darf der Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 der JI-Richtlinie in bestimmten Konstellationen eingeschränkt werden, wenn die Einschränkung verhältnismäßig ist und den Grundrechten der betroffenen Person Rechnung getragen wird. Davon kann jedoch nicht die Rede sein, wenn von dem Auskunftsanspruch – wie im Fall des Klägers – nichts übrigbleibt. Durch die Unterstützung des Falls – dem ersten dieser Art – wollen wir zu einer Klärung dieser Rechtslage und Anwendungspraxis im Sinne der Grundrechte beitragen.