Zum Inhalt springen

Nach gemeinsamer Strafanzeige von GFF, RSF, ECCHR und netzpolitik.org: Staatsanwaltschaft klagt FinFisher-Verantwortliche an

Berlin, 22. Mai 2023 - Wie die Staatsanwaltschaft München I heute mitteilte, erhob sie am 3. Mai gegen vier Verantwortliche der FinFisher-Unternehmensgruppe Anklage. Ihnen wird vorgeworfen, als damalige Geschäftsführer von GmbHs der FinFisher-Gruppe durch den Verkauf von Überwachungssoftware an Nicht-EU-Länder vorsätzlich gegen Genehmigungspflichten für Dual-Use-Güter verstoßen und sich damit strafbar gemacht zu haben.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V (GFF), Reporter ohne Grenzen (RSF), das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und netzpolitik.org hatten am 5. Juli 2019 Strafanzeige gegen mehrere Geschäftsführer der FinFisher GmbH erstattet. Grund dafür war, dass das Münchner Firmenkonglomerat die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die Türkei verkauft haben soll. Die vier zivilgesellschaftlichen Organisationen begrüßen die Anklageerhebung außerordentlich.

„FinFisher hat offenbar jahrelang Überwachungssoftware illegal an autoritäre Regierungen verkauft, und damit weltweit zur Überwachung und Unterdrückung von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Oppositionellen beigetragen”, erklärt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der GFF. „Dass die Verantwortlichen nun endlich belangt werden, ist ein längst überfälliges Signal, dass solche Verstöße nicht ungestraft bleiben dürfen.”

„Das ist der zweite direkte Erfolg unserer Strafanzeige“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. Im Frühjahr 2022 musste die Unternehmensgruppe FinFisher den Geschäftsbetrieb einstellen. „Verletzungen der Pressefreiheit gehen heute in vielen Fällen mit dem Einsatz von Überwachungssoftware einher. Für die Betroffenen bedeutet jeder einzelne Fall einen massiven Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. In autoritären Staaten kann das für Journalisten und ihre Quellen, für Aktivistinnen und Oppositionelle dramatische Folgen haben.“

FinSpy war im Sommer 2017 auf einer türkischen Webseite aufgetaucht, die als Mobilisierungswebseite der türkischen Oppositionsbewegung des aktuellen Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu getarnt war. Damit ermöglichte das Unternehmen wahrscheinlich die Überwachung einer großen Zahl politischer Aktivistinnen und Aktivisten und Medienschaffender. Mit dem Programm kann der türkische Inlands-Geheimdienst MIT Menschen lokalisieren, ihre Telefongespräche und Chats mitschneiden und alle Handy- und Computerdaten auslesen.

Der Export solcher Überwachungssoftware in Länder außerhalb der EU ist seit 2015 europaweit genehmigungspflichtig, Verstöße sind strafbar. Seitdem hat die Bundesregierung keine Exportgenehmigungen für Überwachungssoftware erteilt. Dennoch tauchen aktuelle Versionen des FinSpy-Trojaners immer wieder in Ländern mit repressiven Regimen auf, etwa in Ägypten, in Myanmar oder eben in der Türkei.

„Bislang konnten Firmen wie FinFisher trotz europäischer Exportregulierung fast ungehindert weltweit exportieren”, sagte Miriam Saage-Maaß, Legal Director des ECCHR. „Die heutige Anklageerhebung ist längst überfällig und führt hoffentlich zeitnah zur Verurteilung der verantwortlichen Geschäftsführer. Aber auch darüber hinaus müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten viel entschiedener gegen den massiven Missbrauch von Überwachungstechnologie vorgehen.”

Die GFF setzt sich in einer Reihe von Fällen für den Datenschutz und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Häufig geht es dabei um Gesetze, die deutschen Behörden ausufernde Überwachungsbefugnisse an die Hand geben, etwa die neuen Polizeigesetze. Doch auch außerhalb Deutschlands dürfen deutsche Unternehmen nicht zu den Handlangern von Regimen werden, die ihre Bevölkerung überwachen. Wo Exporte – von Waffen wie von Überwachungssoftware – vom Empfängerland mit großer Sicherheit zur Verletzung von Menschenrechten genutzt werden, darf der Staat nicht wegschauen.

Weitere Informationen zum Verfahren gegen FinFisher finden Sie hier:
https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/export-von-uberwachungssoftware

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Dr. Maria Scharlau, presse@freiheitsrechte.org
Tel. 030/549 08 10 55

Grundrechte verteidigen.
Fördermitglied werden!