Die Nachrichtendienste müssen zurück auf den Boden des Grundgesetzes – GFF erhebt Verfassungsbeschwerde gegen G10-Staatstrojaner für Geheimdienste
Berlin/Karlsruhe, 8. Juli 2022 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) erhebt heute vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen den im Artikel 10-Gesetz (G10) geregelten Einsatz von Staatstrojanern durch deutsche Nachrichtendienste. Die angegriffene Neuregelung aus dem Juli 2021 erlaubt allen 19 Nachrichtendiensten das Auslesen verschlüsselter Kommunikation. Die zehn Beschwerdeführer*innen, darunter Rechtsanwält*innen und Journalist*innen, befürchten eine Überwachung ihrer verschlüsselten Kommunikation – z.B. aus Messengern wie WhatsApp. Schwere Grundrechtseingriffe sind vorprogrammiert: Die Nachrichtendienste müssen keine nennenswerten Voraussetzungen erfüllen, um Staatstrojaner einzusetzen - die Betroffenen haben keinerlei Möglichkeit sich gerichtlich zu wehren.
„Die G10-Anpassung setzt den gefährlichen Trend der letzten Jahre fort: Neue technische Überwachungsmöglichkeiten für alle Behörden – ohne Notwendigkeit, ohne Rücksicht auf gefährdete Grundrechte, ohne ausreichende Kontrolle“, sagt Jürgen Bering, zuständiger Jurist bei der GFF. „Eine Abwägung des tatsächlichen Nutzens von Staatstrojanern mit den grundrechtlichen Risiken findet gar nicht erst statt. Das wäre aber gerade für den Einsatz durch Geheimdienste zentral, deren Befugnisse im Vorfeld von Straftaten sehr vage definiert und kaum kontrollierbar sind.“
Dabei greifen die einschlägigen G10-Regelungen tief in verschiedene Grundrechte ein: Allen voran ist der Schutz des sogenannten Fernmeldegeheimnisses gefährdet. Weil der Zugriff heimlich stattfindet und in der Regel auch später nicht offengelegt wird, können sich Betroffene nicht wehren. Da die Geräte nicht nur auf laufende Unterhaltungen, sondern auch auf bereits gespeicherte Kommunikationsdateien zugreifen können, ist zudem das sogenannte IT-Grundrecht verletzt: Es schützt Menschen vor einer Veränderung ihrer technischen Geräte und deren Programmen.
Die Nutzung von Staatstrojanern gefährdet dieses Grundrecht auch noch aus einem weiteren Grund: Der Staat setzt mit dem Mittel der Staatstrojaner selbst Anreize dafür, dass IT-Sicherheitslücken offenbleiben – anders kann die Software oft nicht installiert werden. Ihn trifft aber gleichzeitig eine Schutzpflicht: Er muss derartige Sicherheitslücken eigentlich aufdecken und sie schließen lassen.
„Der Staat muss vor IT-Sicherheitslücken schützen und darf sie nicht für eigene Spähsoftware offenhalten, sonst spielt er Kriminellen in die Hände. Muss Deutschland erst selbst im Zentrum eines desaströsen Cyberangriffs wie WannaCry 2017 stehen, damit die Zuständigen aufwachen?“ fragt Ulf Buermeyer, Vorsitzender der GFF und freier Journalist. Er gehört zu den Beschwerdeführer*innen der Verfassungsbeschwerde, genau wie die vom NSU2.0 betroffene Anwältin Seda Başay-Yıldız und Jean Peters, Journalist und Aktionskünstler des Kollektivs Peng!.
Daneben greift die Beschwerde das erweiterte Informationssystem der Nachrichtendienste an. Alle Verfassungsschutzbehörden und nun auch der militärische Abschirmdienst speisen Informationen in die Verbunddatei ein und stellen sie damit den anderen Diensten zur Verfügung. Das Risiko ist groß, dass es bei dieser enormen Datensammlung zu Missbrauch kommt.
Bereits im April konnte die GFF mit dem Grundsatzurteil zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz einen großen Sieg gegen ausufernde Überwachungspraktiken der Nachrichtendienste erringen. An diesen Erfolg knüpft nun die Verfassungsbeschwerde zu G10 an. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen müssen auch auf das weitere Nachrichtendienstrecht erstreckt werden.
Weitere Informationen zur Klage finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/g-10
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