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GFF klagt gegen Massenüberwachung im Flugverkehr

Bundeskriminalamt wertet ohne Anlass zahlreiche Daten von Fluggästen aus / Europäischer Gerichtshof soll vorab über zugrundeliegende EU-Richtlinie entscheiden

Berlin, 14. Mai 2019 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Klagen zum Verwaltungsgericht Wiesbaden und zu verschiedenen Amtsgerichten gegen die automatisierte Übermittlung von Fluggastdaten durch Fluglinien an das Bundeskriminalamt (BKA) erhoben. „Die anlasslose, massenweise Speicherung und Auswertung der Flüge aller internationalen Fluggäste verstößt gegen die Europäische Grundrechtecharta“, sagt Malte Spitz, Generalsekretär der GFF. „Die Rasterfahndung am Himmel muss beendet werden. Wir wollen einen verantwortungsvollen Einsatz von Algorithmen in der Gefahrenabwehr und keine anlasslose Massenüberwachung.“ Spitz ist einer von sechs Klägern verschiedener EU-Staaten, deren Verfahren die GFF koordiniert. Ziel der Verfahren ist, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Gültigkeit der sogenannten PNR-Richtlinie (Passenger Name Records) überprüft. Die GFF kooperiert mit ihrer österreichischen Partnerorganisation, epicenter.works. Diese geht in Österreich parallel den Weg über ein datenschutzrechtliches Beschwerdeverfahren.

Seit Mai 2018 müssen alle EU-Mitgliedstaaten sämtliche Fluggesellschaften dazu verpflichten, Daten zu internationalen Fluggästen in knapp zwanzig Kategorien an staatliche Stellen weiterzuleiten. Diese PNR-Datensätze enthalten eine Vielzahl sensibler Informationen – vom Geburtsdatum über die Namen der Begleitpersonen und die zum Kauf des Fluges verwendeten Zahlungsmittel bis hin zu einem nicht näher definierten Freitextfeld, das die Airline selbstständig füllt. In Deutschland speichert und verarbeitet das BKA die Daten auf Grundlage des Fluggastdatengesetzes (FlugDaG). Neben einem Datenbank-Abgleich will das BKA auch mittels automatisierter Mustererkennung verdächtige Flugbewegungen ermitteln. Die Daten bleiben fünf Jahre gespeichert.

„Diese neue Form der Überwachung verletzt die Fluggäste in ihren europarechtlich garantierten Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie auf Schutz personenbezogener Daten“, sagt Rechtsanwalt Bijan Moini, Verfahrenskoordinator der GFF, mit Blick auf Artikel 7 und 8 der Grundrechtecharta der Europäischen Union. „Die Richtlinie ist deshalb insoweit ungültig.“ Das ergibt sich aus einer Übertragung der Maßstäbe, die der EuGH in seinem Gutachten 1/15 vom 26. Juli 2017 zum PNR-Abkommen zwischen der EU und Kanada entwickelt hat und mit denen er jenes Abkommen stoppte. „Laut Europäischem Gerichtshof dürfen Daten nicht schlicht zu jedermann und auch nicht ohne triftigen Grund über Jahre hinweg gespeichert werden“, erläutert Moini weiter. „Das ist aber der Fall, denn die Datenverarbeitung betrifft jeden Fluggast. Durch den Einsatz intransparenter Algorithmen zur Ermittlung neuer Verdachtsmomente könnten viele Fluggäste falschen Verdächtigungen ausgesetzt werden.“

Indem das FlugDaG nicht nur die Daten zu Fluggästen aus dem außereuropäischen Ausland erfasst, sondern auch die auf innereuropäischen Flügen, geht das deutsche Gesetz zudem weit über die europäische Richtlinie hinaus und verstößt gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

In Deutschland klagen neben Malte Spitz (GFF) die niederländische Parlamentsabgeordnete Kathalijne Buitenweg, der italienische ehemalige EU-Beamte Emilio De Capitani, die Netzaktivistin Kübra Gümüşay, die Rechtsanwältin Franziska Nedelmann und der Anti-PNR-Aktivist Alexander Sander. Die Klagen sind teils gegen die Fluggesellschaften, teils gegen das BKA gerichtet und werden vom Berliner Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger vertreten. In der Klage Emilio de Capitanis ist auch ein Eilantrag gestellt. Ziel aller Verfahren ist es, die europäische Fluggastdatenrichtlinie schnellstmöglich vor den EuGH zu bringen. Die Verfahren werden unter anderem durch den Digital Freedom Fund (DFF) gefördert.

Weitere Informationen zum Thema PNR und die Klageschrift sind auf der Internetseite nopnr.eu zu finden.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. koordiniert und finanziert gerichtliche Verfahren, um Grund- und Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen zu verteidigen. Die GFF setzt sich mit ihren ersten Verfahren beispielsweise für die informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit ein. Zudem streitet sie für die Freiheit von Diskriminierung. Sie bringt dafür geeignete Kläger und Klägerinnen mit exzellenten Juristen und Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zu den aktuellen Projekten zählen Verfassungsbeschwerden gegen die automatisierte Passbildabfrage und gegen den massenhaften Einsatz von Staatstrojanern, zuletzt gegen das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg.

Mehr Informationen finden Sie unter freiheitsrechte.org.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen unter oder unter 030 549 08 10 55 zur Verfügung.

epicenter.works ist die führende österreichische NGO für die Stärkung von Grund- und Freiheitsrechten im digitalen Zeitalter. Der spendenfinanzierte Verein engagiert sich gegen die Ausweitung staatlicher Überwachung, für das Grundrecht auf Datenschutz und für ein freies, offenes Internet. Schon in der Gründungszeit mobilisierte der Verein (damals noch als AKVorrat – Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich) über 100.000 Menschen, und erreichte 2014 die Aufhebung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung durch den Europäischen Gerichtshof. Seitdem ist epicenter.works ein kritischer Begleiter aller Vorhaben zur Ausweitung behördlicher Überwachungsbefugnisse. Seine Expertinnen und Experten zeigen die Auswirkungen von netzpolitischen Gesetzen auf, und erarbeiten konkrete grundrechtskonforme Lösungsansätze.

Mehr Informationen zum Verfahren in Österreich finden Sie unter https://epicenter.works/.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen unter oder unter +43 1 890 70 71 zur Verfügung.

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