Bundesverfassungsgericht soll selbstbestimmten Geschlechtseintrag ermöglichen
Berlin/Karlsruhe, 16. Juni 2020 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat gemeinsam mit Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, Friederike Boll und Katrin Niedenthal Verfassungsbeschwerde gegen einen diskriminierenden Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) eingelegt. Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt will die Streichung eines unzutreffenden Geschlechtseintrag ohne ärztliche oder psychologische Begutachtung erreichen. Nach Auffassung des BGH haben nur intergeschlechtliche Menschen diese Möglichkeit. „Das Recht auf Anerkennung seiner Identität steht jedem Menschen zu“, sagt Lea Beckmann, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF. „Deshalb muss jeder Mensch einen falschen Geschlechtseintrag korrigieren können – und zwar selbstbestimmt und unabhängig davon, wie sein Körper beschaffen ist.“
BGH-Beschluss verstößt gegen das Verbot der Geschlechterdiskriminierung
Mit Beschluss vom 22. April 2020 versagte es der BGH Lann Hornscheidt, den Geschlechtseintrag nach den Regelungen im Personenstandsgesetz nachträglich streichen zu lassen. Hornscheidt identifiziert sich weder als männlich noch als weiblich. Nach Auffassung des BGH können Personen, die wie Hornscheidt nicht mit ärztlichem Attest oder durch eidesstattliche Versicherung belegen, dass sie intergeschlechtlich sind, nach dem Personenstandsgesetz keine Änderung oder Streichung der Geschlechtsangabe erreichen.
Stattdessen müssten sie, so der BGH, vor den Amtsgerichten einen Antrag nach dem Transsexuellengesetz (TSG) stellen. Das TSG sieht aber nur eine Änderung von „weiblich“ zu „männlich“ und umgekehrt vor, keine Streichung des Eintrags. Zudem verlangt es in einem demütigenden Verfahren von den Betroffenen zwei psychologische Gutachten. „Der BGH will, dass nicht ich selbst, sondern nur Ärzt*innen und Psycholog*innen entscheiden dürfen, was ich bin oder nicht bin. Das Gericht ignoriert nicht nur den Kern meines Antrags, nämlich die Anerkennung meiner genderlosen Identität. Es ignoriert auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Konstruktion von Geschlecht“, sagt Lann Hornscheidt.
Der BGH-Beschluss verstößt gegen das Verbot der Geschlechterdiskriminierung: Menschen, die einen falschen Geschlechtseintrag korrigieren lassen wollen, dürfen nicht auf Grund ihres Körpers auf ein deutlich nachteiliges Verfahren verwiesen werden. „Der Beschluss darf aus grund- und menschenrechtlicher Sicht keinen Bestand haben“, sagt Beckmann.
Vorlage eines ärztlichen Attests zur Korrektur des Geschlechtseintrags obsolet
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass jede Person das Recht auf einen Geschlechtseintrag hat, der ihrer Identität entspricht. Das Personenstandsrecht ermöglicht die Streichung eines fehlerhaften Geschlechtseintrags und, seit der Einführung der so genannten „Dritten Option“ im Jahr 2018, den Eintrag „divers“. Das Gesetz sieht das für Personen mit einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vor.
Dieser Passus muss im Lichte des Stands der medizinischen Forschung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit verstanden werden: Alle Menschen haben eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“. Das macht die Vorlage eines ärztlichen Attests zur Korrektur eines falschen Eintrags obsolet: Nicht der Körper, sondern die Geschlechtsidentität ist dafür entscheidend. „Wir wollen in Karlsruhe abschließend klären, dass niemand sich von Expert*innen begutachten lassen muss, um einen Geschlechtseintrag zu erhalten, der der eigenen Identität entspricht“, sagt Beckmann.
Die GFF-Verfahrenskoordinatorin Lea Beckmann, Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt und die Verfahrensbevollmächtigten Prof. Dr. Anna Katharina Mangold und Friederike Boll stehen für Interviews und Hintergrundgespräche zur Verfügung.
Die gemeinsame Presseerklärung von GFF, Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti), Bundesverband Trans* (BVT*) u.a. zum Fall finden Sie hier.
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