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O-Töne Sarah Lincoln und Bijan Moini zum Sicherheitspaket: Nicht nur unbestimmt, sondern in Teilen verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig

Berlin, 17. Oktober 2024 – Am morgigen Freitag wird der Bundestag über das sogenannte Sicherheitspaket abstimmen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht nicht nur den übereilten Prozess äußerst kritisch, mit dem die Gesetzesänderungen verabschiedet werden. Viele der neuen Regelungen sind zudem zu unbestimmt und in Teilen auch verfassungs-, unions- und völkerrechtswidrig.

Bewertung und Kritik der Änderungen im Migrations- und Leistungsrecht

Mit den Änderungen des Gesetzes zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems werden die Grundrechte geflüchteter Menschen verletzt. So wird der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum mit den geplanten Verschärfungen beim Leistungsausschluss ausgehöhlt. Künftig sollen Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, für deren Asylverfahren aber ein anderer EU-Staat zuständig ist, keine Sozialleistungen mehr erhalten, sobald ihre Abschiebung angeordnet wurde.

Sarah Lincoln, Asyl- und Migrationsrechtsexpertin bei der GFF, äußert sich zum Leistungsausschluss wie folgt:

„Der Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Mit einem völligen Leistungsausschluss geraten Betroffene in die Obdachlosigkeit, ohne Geld oder medizinische Versorgung. Zu einer solchen Verelendung darf es in unserem Land nicht kommen. Doch genau dazu kann es kommen: Abschiebungen dauern aufgrund langwieriger Absprachen mit dem Zielland meist viele Monate. Damit Menschen auf eigene Faust ausreisen können, müssten die Zielländer zustimmen, was sie in der Praxis nicht tun. Damit werden Situationen eintreten, in denen der komplette Leistungsausschluss erfolgt, obwohl die Menschen faktisch der Ausreise nicht nachkommen können. Wir werden die Umsetzung genau begleiten und notfalls umgehend aktiv werden, wenn dieser Leistungsausschluss soziale und rechtliche Mindeststandards untergräbt.“

Eine weitere Neuerung betrifft den Widerruf des Schutzstatus bei Heimreisen. Der Änderungsantrag hat den Anwendungsbereich nochmal erheblich ausgeweitet. Neben Asylberechtigten gilt die Regelung nun auch für subsidiär Schutzberechtigte und Menschen, bei denen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festgestellt wurde.

Sarah Lincoln äußert sich zum Widerruf des Schutzstatus bei Heimreisen wie folgt:

„Der Widerruf des Schutzstatus bei Heimreisen ist nicht nur unmenschliche Schikane, sondern verstößt auch gegen die Vorgaben der UN-Flüchtlingskonvention und der EU-Qualifikationsrichtlinie. Kehrt jemand für einen kurzen Besuch in sein Heimatland zurück, etwa um nach vielen Jahren zumindest noch einmal seine Eltern wiederzusehen, bedeutet das noch lange nicht, dass er in Deutschland keinen Schutz mehr braucht. So sieht es aber die Neuregelung der Bundesregierung vor. Die Ausnahme für sittlich gebotene Reisen hilft den Betroffenen kaum – denn ob eine Reise sittlich geboten war, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erst nach Rückkehr. In der Praxis wird diese Regelung dazu führen, dass Geflüchtete, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, sich auch in dringenden Fällen wie Krankheit oder Tod von Familienangehörigen nicht trauen werden, für einen kurzen Besuch in ihr Heimatland zu reisen."

Bewertung und Kritik der Änderungen im Sicherheitsrecht

Mit den geplanten Änderungen im Sicherheitsrecht werden Menschen im öffentlichen Raum unter Generalverdacht gestellt und Diskriminierung Tür und Tor geöffnet. So sehen die Verschärfungen vor, dass der Anwendungsbereich von anlasslosen Kontrollen zur Durchsetzung von Waffen- und Messerverboten massiv ausgeweitet wird. Die Polizei hat damit z.B. die Befugnis, ohne ersichtlichen Anlass im öffentlichen Nahverkehr oder auf Märkten, Festen oder Sportveranstaltungen Identitäten zu überprüfen und Menschen zu durchsuchen.

Bijan Moini, Legal Director der GFF und Experte für Sicherheitsrecht, äußert sich zu anlasslosen Kontrollen wie folgt:

„Es zeugt von tiefem Misstrauen gegenüber der Bevölkerung, alle Menschen zu verdächtigen und sie in weiten Teilen des öffentlichen Raums dem Risiko auszusetzen, von der Polizei angehalten, befragt und durchsucht zu werden. Eine Befugnis zu anlasslosen Kontrollen leistet auch Missbrauch und Racial Profiling Vorschub."

Bei den vorgesehenen digitalen Überwachungsbefugnissen für Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab es im parlamentarischen Prozess einige Verbesserungen, die Teile der Kritik der GFF aufgegriffen haben. Der Gesetzgeber hat zum Beispiel klargestellt, dass ein biometrischer Abgleich mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet nicht durch die Einrichtung einer Vorratsdatenbank mit den Gesichtern und Stimmen aller Menschen im Netz ermöglicht werden darf. Die – allerdings hochproblematische – Nutzung privater Dienstleister soll nur möglich sein, wenn diese ihren Sitz in der EU oder einem Schengen-assoziierten Staat haben. Außerdem wurde das Verbot des Echtzeitabgleichs im Internet auf Stimmen erstreckt. Sämtliche Details überlässt das Gesetz jedoch einer Rechtsverordnung, die die Bundesregierung erst noch erarbeiten muss.

Bei der automatisierten Datenanalyse, die es der Polizei ermöglichen soll, mit KI-Anwendungen privater Anbieter wie Palantir eigene Datenbanken zusammenzuführen und zu durchsuchen, wurde wie von der GFF vorgeschlagen immerhin in bestimmen Fällen die Einsatzschwelle angehoben.

Bijan Moini äußert sich zum biometrischen Abgleich und zur automatisierten Datenanalyse wie folgt:

„Diese Koalition ist vor drei Jahren angetreten, um die Freiheit zu stärken. Nun schafft sie im Eilverfahren neue Befugnisse zum Abgleich von Gesichtern und Stimmen mit dem Internet und zur KI-gestützten Verknüpfung polizeilicher Datenbanken, von denen sie teilweise selbst weiß, dass sie derzeit noch nicht umsetzbar sind. Das riecht nach Aktionismus und nicht nach kluger, freiheitsschonender Sicherheitspolitik."

Sarah Lincoln und Bijan Moini stehen Ihnen für O-Töne gerne zur Verfügung.

Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Janina Zillekens-McFadden
presse@freiheitsrechte.org

Tel. 030/549 08 10 55

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