§ 219a StGB
Die Ärztin Kristina Hänel wurde strafrechtlich verurteilt, weil sie Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch bereitstellt. Im Juli 2022 wurde § 219a StGB aufgehoben. Die Verfassungsbeschwerde von Kristina Hänel hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2023 nicht zur Entscheidung angenommen. Wir hatten Die Ärztin im Laufe des Verfahrens unterstützt.
Die Ärztin Kristina Hänel ist nach § 219a StGB verurteilt worden, weil sie auf der Webseite ihrer Arztpraxis Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch bereitstellt.
Das Urteil führte zu einer breiten gesellschaftlichen und politischen Debatte um das Verbot der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche in § 219a des Strafgesetzbuchs (StGB).
Der Bundestag hatte zwischenzeitlich eine Gesetzesänderung beschlossen. Seit dem 22. März 2019 galt, dass Ärzt*innen straffrei angeben können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Seit der Reform des § 219a StGB war es also nicht mehr strafbar, wenn Ärzt*innen auf ihrer Internetseite angeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Strafrechtliche Verfolgung drohte Ärzt*innen aber nach wie vor, wenn sie wie Kristina Hänel, zusätzliche Informationen zu diesem Gesundheitsangebot machen, etwa die angewandte Methode des Schwangerschaftsabbruchs benennen oder erläutern.
Damit machten sich Ärzt*innen weiterhin strafbar, wenn sie dringend notwendige Informationen zu Methoden, Kosten und Ablauf der angebotenen Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Internetseite angeben. Mit der Gesetzesänderung vom 24. Juni 2022 hat der Bundestag nun die Aufhebung auch dieser strafrechtlichen Verfolgung beschlossen.
Kristina Hänel ist gegen die Verurteilung durch die Instanzen und hat am 19. Februar 2021 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Zuvor hatte bereits die Berliner Ärztin Bettina Gaber, die ebenfalls nach § 219a StGB verurteilt ist, sich per Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Sie machten beide geltend, dass diese strafrechtliche Verurteilung sie in Grundrechten verletzt und die Regelung in § 219a StGB verfassungswidrig ist. Weil die Frage große Bedeutung für Schwangere und Ärzt*innen hat, unterstützte die GFF Kristina Hänel.
GFF-Amicus Curiae Brief ans Bundesverfassungsgericht
Im Verfahren von Kristina Hänel hat das Bundesverfassungsgericht von Beteiligten und sachkundigen Dritten Stellungnahmen eingeholt (§ 27a BVerfGG). Die GFF hat am 12. April 2022 als Verfahrensunbeteiligte und sog. „Freundin des Gerichts“ einen Amicus Curiae Brief, also eine externe Stellungnahme eigeninitiativ in das Verfahren eingebracht. Die Stellungnahme kam zu dem Schluss, dass § 219a StGB auch in seiner reformierten Fassung gegen Grundrechte der Ärzt*innen und der Patient*innen verstieß.
KEINE ANNAHME ZUR ENTSCHEIDUNG
Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. Juni 2023 mitgeteilt, dass es die Verfassungsbeschwerde von Kristina Hänel nicht zur Entscheidung angenommen hat.
Die Begründung der Kammer: Die Beschwerde habe sich mit der Aufhebung der strafrechtlichen Verurteilung erledigt. Es gebe auch kein besonderes Bedürfnis, trotzdem noch zu prüfen, ob die aufgehobene Verurteilung verfassungswidrig war. Denn eine Rehabilitierung bekomme die Ärztin bereits durch die ausführliche Begründung der Gesetzesänderung im Regierungsentwurf.
Aus der Begründung der Gesetzesänderung ergibt sich allerdings gerade nicht, dass § 219a StGB und die darauf basierenden Strafurteile grundrechtswidrig waren. Damit ist nicht klargestellt, dass Kristina Hänel zu Unrecht verurteilt wurde. Dieser Umstand hätte eine Entscheidung trotz Erledigung ebenso erwarten lassen wie die erheblichen Auswirkungen der Regelung auf Schwangere.
Kristina Hänel kann ihre Geldstrafe nun zurückfordern.
GFF-ANLAUFSTELLE FÜR NACH § 219A STGB VERFOLGTE
Seit Jahren stellten Abtreibungsgegner*innen und auf Grundlage des § 219a StGB immer wieder Strafanzeigen gegen Ärzt*innen sowie Einzelpersonen und Beratungsstellen. Aus Angst vor einem Prozess und einer Verurteilung löschten viele der von Anzeigen Betroffenen die Informationen von ihren Webseiten und Internetauftritten. Auf diese Weise wirkte § 219a StGB auch ohne eine Verurteilung wie ein Maulkorb für Ärzt*innen. Zugleich wurde es dadurch für betroffene Schwangere immer schwerer, sich über Möglichkeiten eines legalen Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. Zwar sah § 219a StGB inzwischen von einer Strafbarkeit ab, wenn Ärztekammern oder staatliche Stellen Listen mit Ärzt*innen veröffentlichten, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Vermutlich auch, weil Ärzt*innen dadurch besonders in das Radar von radikalen Lebensschützer*innen geraten, ist die Zahl der dort tatsächlich gelisteten Ärzt*innen gering (Stand November 2021 waren dies weniger als 300 von schätzungsweise 1.000 Ärzt*innen).
Um nach § 219a StGB angezeigte Ärzt*innen zu unterstützen, bot die GFF längere Zeit eine Kontaktstelle an. Dort konnten erste Fragen nach einer Anzeige geklärt werden.
DAS GUTACHTEN
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat anlässlich der Expert*innen-Anhörung im Bundestag zu § 219a StGB am 27. Juni 2018 ein Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit dieses Straftatbestands veröffentlicht.
HINTERGRÜNDE ZUM FALL
Ein unterstützenswertes Anliegen
Der Fall der Ärztin Kristina Hänel war kein Einzelfall. In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch zwar nach § 218 StGB grundsätzlich verboten, er bleibt aber nach § 218a StGB unter bestimmten Bedingungen straffrei.
Auch über solche straffreien Schwangerschaftsabbrüche jedoch durften Ärzt*innen nicht hinreichend informieren. Auch nach einer Gesetzesreform im Jahr 2019 machten sich Ärzt*innen weiterhin nach § 219a StGB strafbar, wenn sie auf ihrer Webseite Angaben dazu machen, welche Methoden des Schwangerschaftsabbruch sie anbieten, welche Kosten oder Fristen auf Patient*innen zukommen oder dass der Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre vorgenommen wird (so im Fall der Berliner Frauenärztin Bettina Gaber). Abtreibungsgegner*innen stellten daher auf Grundlage dieses Paragrafen immer wieder Strafanzeigen gegen Ärzt*innen – so auch gegen Kristina Hänel.
Die Wirkung dieses Informationsverbotes war für die Praxis weitreichend. Betroffen sind hiervon nicht nur Ärzt*innen, die das Spektrum ihrer medizinischen Dienstleistungen offenlegen möchten. Auch Schwangere, die sich mit dem Gedanken tragen, einen straffreien Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, konnten sich hierzu nicht anhand sachlicher und aktueller Informationen direkt vom medizinischen Fachpersonal informieren. Stattdessen waren sie dazu gezwungen, möglicherweise unzuverlässige oder veraltete, oft auch bewusst nicht sachlich gehaltene Quellen zu nutzen. Eine informierte Entscheidung hinsichtlich des medizinischen Verfahrens und der Methode des Schwangerschaftsabbruchs sowie hinsichtlich der Wahl einer Ärzt*in war so nicht möglich.
Das Informationsverbot verletzt Grundrechte
Aus Sicht der GFF verletzte § 219a StGB gleich mehrere Grundrechte. Das Informationsverbot griff insbesondere in das Grundrecht auf Berufsfreiheit von praktizierenden Ärzt*innen ein (Artikel 12 Abs. 1 GG), das auch die Außendarstellung umfasst. Eng damit verknüpft war auch die Verletzung der Glaubens- und weltanschaulichen Bekenntnisfreiheit (Artikel 4 Abs. 1 GG) und der Meinungsfreiheit (Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG), wenn Ärzt*innen anführen, dass ihre moralisch-ethischen Grundhaltung sie beruflich dazu verpflichtet ihre Patient*innen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu beraten.
Zudem verletzte das in § 219a StGB normierte Informationsverbot auf Seiten der Schwangeren ihr Recht auf informierte Entscheidung über Gesundheitsleistungen, das sich aus der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 und Artikel 1 Abs. 1 GG) ableitet (Recht auf Patient*innen-Selbstbestimmung) sowie ihr Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen über Schwangerschaftsabbrüchen, das sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Abs. 1 iVm Artikel 1 Abs. 1 GG) ableitet. Schließlich verletzte es auch ihre Informationsfreiheit und Gleichheitsgrundrechte (Artikel 3 Abs. 3, 2 GG) Diese Eingriffe waren aus Sicht der GFF ebenso wenig gerechtfertigt, wie die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Artikel 3 Abs. 3) durch die Etablierung von Sonderrechten für Frauen und anderen Gebärfähigen.
Das Informationsverbot des § 219a StGB war nämlich schon nicht geeignet, tatsächlich dem Schutz des ungeborenen Lebens zu dienen. Tatsächliches Anliegen des Gesetzgebers schien vielmehr eine Normalisierung und Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verhindern. Ziel des § 219a StGB war es also, die gesellschaftliche Haltung zu Abtreibungen zu beeinflussen – ein Zweck, der nur mittelbar mit dem Schutz des ungeborenen Lebens in Verbindung steht. Dieses gesetzgeberische Interesse ist deutlich niedriger als der Lebensschutz anzusetzen; hinter den zentralen Grundrechtspositionen der Ärzt*innen sowie der Schwangeren hat es zurückzutreten.
Zudem ergaben sich Wertungswidersprüche mit der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a StGB. Diese konnten nur aufgelöst werden, indem es zumindest straffrei bleibt, wenn Ärzt*innen nüchtern gehaltene Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch bereitstellen.
Schließlich sind strafrechtliche Sanktionen für sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auch nicht mit dem Recht auf Gesundheit vereinbar, wie dies etwa der UN-Ausschuss zur UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) oder der UN-Ausschuss über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Ausschuss) festgestellt haben.
Unklarheiten der Reform verstoßen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz
Trotz einer vermeintlich schützenden Reform blieb es nicht nur bei einer Verletzung von Grundrechten: Die neueren Regelungen waren derart missverständlich, unklar und widersprüchlich, dass sie zudem gegen das im Rechtsstaatprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG.) wurzelnde und insbesondere für das Strafrecht relevante Bestimmtheitsgebot (Artikel 103 Abs. 2 GG und § StGB) verstoßen.
Dieses Gebot sagt aus, dass grundrechtsrelevante Vorschriften in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt klar, nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu formuliert sein müssen, sodass die Rechtslage für die Betroffenen erkennbar ist und ihr Verhalten danach ausgerichtet werden kann. Der neuere Absatz 4 des 219a StGB sorgte für Verwirrung darüber, worin und wann die Grenze zwischen „anbieten“ und „hinweisen“ lag bzw. begann. Zudem lag ein eklatanter Wertungswiderspruch vor: Wenn Ärzt*innen auf die Informationen der Ärztekammer zu Schwangerschaftsabbrüchen hinwiesen, blieben sie straflos, wenn sie die Informationen dagegen kopieren und in identischer Form auf ihrer eigenen Webseite bereitstellen, machten sie sich strafbar.
Mit dieser Unklarheit und Widersprüchlichkeit konnten Ärzt*innen nicht zweifelsfrei erkennen welche Handlung nun strafbar ist und welche nicht.
Das Strafrecht – ein zu scharfes Schwert
Unverhältnismäßig war das Informationsverbot auch deswegen, weil es die schärfste Waffe des Rechtsstaats einsetzt: das Strafrecht. Denn ein reißerisches Anpreisen medizinischer Leistungen oder das Herunterspielen ihrer Risiken ist bereits nach ärztlichem Standesrecht verboten. Nach § 7 Abs. 1 der (Muster-)Berufsordnung der deutschen Ärzte sowie nach dem Gesetz über unlauteren Wettbewerb (UWG) ist nur die sachlich berufsbezogene Information erlaubt. Berufswidrig ist anpreisende oder irreführende Werbung; darunter fällt auch reißerische Werbung. Es bedarf daher nicht des § 219a StGB, um problematische Werbung im engeren Sinne zu verhindern. Wir begrüßen daher die Abschaffung des § 219a StGB und feiern diesen Erfolg.