Muster für eine Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit der Grundleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz
Seit September 2019 erhalten alleinstehende Schutzsuchende, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, nur noch die Regelbedarfsstufe 2 (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz). Zahlreiche Sozialgerichte haben erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung geäußert und im Eilverfahren höhere Leistungen zugesprochen (zur Rechtsprechungsübersicht).
Unser Muster für eine Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit des § 3a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG und des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sind eine Anregung an die Sozialgerichte, diese Regelungen nun zügig im Hauptsacheverfahren dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Auch Anwält*innen sind eingeladen, in ihren Verfahren die Mustervorlagen zu nutzen, um eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht anzuregen. Die Karlsruher Richter*innen haben Richtervorlagen, die auf öffentlichen Mustern beruhen, in ihrer Entscheidung zu den Hartz-IV-Sanktionen ausdrücklich akzeptiert.
Wir stellen Sozialrichter*innen und Anwält*innen ein Muster in drei Varianten sowie umfangreiches Begleitmaterial zur Verfügung:
- Muster für Richtervorlage Variante 1 (Verfahren, in denen Leistungen entsprechend dem Sozialgesetzbuch XII beantragt werden)
- Muster für Richtervorlage Variante 2 (Verfahren, in denen die Regelbedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG beantragt wird)
- Muster für Richtervorlage Variante 3 (Verfahren, in denen Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG empfangen werden und die Regelbedarfsstufe 1 beantragt wird)
- Zusammenfassung der Mustervorlage Variante 1
- Zusammenfassung der Mustervorlage Variante 2
- Merkblatt zu den passenden Fallkonstellationen für die Mustervorlage
- Historie der Grundleistungen im AsylbLG
- Literaturübersicht
- Rechtsprechungsübersicht
- Tabelle 1 zum fehlenden Spielraum für den internen Ausgleich
- Tabelle 2, 3 und 4 zum fehlenden Einsparpotenzial
Weitere Erläuterungen zu den Dokumenten finden Sie unten.
Kontaktieren Sie uns – wir unterstützen Sie bei der Vorlage!
Wenn Sie die Vorlage nutzen möchten, kontaktieren Sie bitte unsere Juristin Sarah Lincoln: sarah.lincoln@freiheitsrechte.org, PGP Key ID EEE13AE6. Nur so erfahren wir, ob und in welcher Form unsere Vorlage verwendet wird und können gemeinsam mit Ihnen unsere Kommunikation zu dem Fall abstimmen.
Wir freuen uns auch über inhaltliches Feedback und Verbesserungsvorschläge. Die Mustervorlage ist ein lebendes Dokument. Zudem bieten wir an, die Vorlage bei Bedarf auf Ihren spezifischen Fall anzupassen.
Die Mustervorlage: Argumentation, Varianten, Fallkonstellationen
Die Mustervorlagen 1 und 2 begründet ausführlich, dass § 3a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums verfehlt. Die Mustervorlage 3 begründet die Verfassungswidrigkeit der Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG.
Variante 1 betrifft sowohl die Kürzung der Grundleistungen nach dem AsylbLG um bestimmte Ausgabenpositionen im Bereich Bildung, Kultur und Freizeit und als auch die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 (90 % der Regelbedarfsstufe 1) für Alleinstehende, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind. Die Variante 1 kann in Verfahren verwendet werden, in denen Leistungen entsprechend dem Sozialgesetzbuch XII beantragt werden.
Variante 2 beschränkt sich auf die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 für Alleinstehende in Sammelunterkünften und kann in Verfahren verwendet werden, in denen die Regelbedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG beantragt wird.
Variante 3 betrifft die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 auf leistungsberechtigte in Sammelunterkünften, die Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG erhalten.
Die Mustervorlagen erläutern vorweg, warum die Verfassungswidrigkeit der Norm entscheidungserheblich ist und die höheren Leistungen nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung zugesprochen werden können.
Den Mustervorlagen liegen bestimmte Fallkonstellationen zugrunde, die wir als optimal für eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht erachten und im Merkblatt zur Richtervorlage ausführlich erläutern. Wir bieten bei Bedarf auch auf individuelle Fallkonstellationen angepasste Textvarianten an.
Damit sich Nutzer*innen der Mustervorlage selbst einen Überblick über Rechtsprechung und Literatur zu dem Thema verschaffen können, haben wir eine Literaturübersicht und eine Rechtsprechungsübersicht erstellt. Beide Dokumente sind work in progress und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert Richtervorlagen, die auf einem Muster beruhen
Das Instrument der Mustervorlage ist bereits erprobt. Die Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha, die im November 2019 zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-Sanktionen führte, beruhte auf einer Mustervorlage der Bürgerinitiative Grundeinkommen. Das Bundesverfassungsgericht wies in dieser Entscheidung explizit darauf hin, dass es kein Problem sei, dass sich „das Gericht offensichtlich an einem öffentlich verfügbaren Muster orientierte […], da die Vorlage zeigt, dass sich das Gericht eventuell andernorts formulierte Argumente jedenfalls zu eigen gemacht hat“ (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 112, juris).