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Sitzblockade Freiburg Freiburg von Couleur, lizensiert unter Pixabay License
Demokratie und Grundrechte
Art. 8

Sitzblockade Freiburg

Der Teilnehmer einer friedlichen Sitzblockade in Freiburg wird strafrechtlich verfolgt. Wir sahen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt.

Die GFF unterstützte den Teilnehmer einer friedlichen Sitzblockade in Freiburg gegen strafrechtliche Verfolgung. Die Blockade sollte ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gegen den Aufzug der fundamentalistischen Piusbruderschaft setzen. Das Amtsgericht Freiburg und das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigten die Rechtsauffassung der GFF, nach der Sitzblockaden von der Versammlungsfreiheit geschützt sind, wenn sie der öffentlichen Meinungsbildung dienen. Dennoch verurteilten sie den Demonstranten wegen grober Störung einer Versammlung.
Portrait von David Werdermann, Verfahrenskoordinator

David Werdermann

Rechtsanwalt und Projektkoordinator

"Es ist unverständlich, wie das Gericht in einer auf Meinungsbildung gerichteten, friedlichen Sitzblockade die grobe Störung einer anderen Versammlung erkennen kann."

Der Angeklagte wurde trotzdem verurteilt. Gegen die Verurteilung ist noch eine Verfassungsbeschwerde anhängig. Für die GFF ist der Fall abgeschlossen, da die Gerichte die grundsätzliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit anerkannt haben. Die strafrechtliche Verfolgung von Sitzblockaden ist daher nur unter strengen Voraussetzungen zulässig.

In der Freiburger Innenstadt versammelt sich jährlich die fundamentalistische Piusbruderschaft St. Pius X. zu einem Aufzug zum Thema „Schutz des ungeborenen Lebens.“ Dieser wird oft von Gegenprotesten begleitet. Auch 2015 riefen verschiedene Gruppen und Personen zu Protesten auf, um ihre Abneigung gegen die Positionen der Piusbruderschaft zu zeigen. Ziel der Proteste war es unter anderem, mit einer Sitzblockade Bilder zu generieren, die von den Medien aufgegriffen werden und so in den öffentlichen Diskurs gelangen konnten.

Sitzblockade von Versammlungsfreiheit geschützt

Am 10. April 2015 setzten sich friedliche Protestierende daher auf die Kaiser-Joseph-Straße, die der Aufzug passieren sollte. Sie hielten Schilder und Transparente mit Botschaften hoch, die sich gegen die Positionen der Piusbruderschaft richteten. Nachdem sich der Aufzug der Piusbruderschaft gegen 18 Uhr in Bewegung gesetzt hatte, wurden die Protestierenden gegen 18:20 Uhr durch die Polizei informiert, dass die Sitzblockade aufgelöst würde. Dies dauerte eine knappe Viertelstunde, sodass der Aufzug die Straße gegen 18:35 Uhr passieren konnte.

Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den Angeklagten wegen grober Störung einer Versammlung gemäß § 21 Versammlungsgesetz. Die dagegen gerichtete Revision blieb erfolglos. Anders als das Amtsgericht Freiburg in einem Parallelverfahren 2016 geurteilt hatte, stellten die Gerichte jedoch fest, dass die Sitzblockade von der Versammlungsfreiheit geschützt war. Es handelte sich nicht um eine sogenannte „Verhinderungsblockade“, der der Schutz der Versammlungsfreiheit abgesprochen wird. Eine reine Verhinderungsblockade ist ausschließlich darauf gerichtet, eine andere Versammlung zu stören. Verfolgt aber eine Sitzblockade gleichzeitig ein Ziel, das auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist, so unterfällt sie dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Die Sitzblockade mag zwar in ihrem sog. „Nahziel“ darauf gerichtet gewesen sein, die Durchführung des Aufzugs der Piusbrüderschaft zu stoppen. Sie ist aber jedenfalls in ihrem „Fernziel“ auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet, nämlich die Äußerung von Kritik an den Ansichten der Piusbrüder einschließlich dem Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.

Immerhin hat aber das Gericht anerkannt, dass die Versammlungsfreiheit des Angeklagten bei der Auslegung des Straftatbestands zu berücksichtigen ist. Das wollten wir erreichen und auf dieser Grundlage werden wir nun in die nächste Instanz gehen.
Jakob Bach, weiterer Verteidiger der Angeklagten

„Grobe Störung“ nur bei besonders intensiver Beeinträchtigung der Versammlung

Aus der Versammlungsfreiheit folgt, dass eine Sitzblockade nur bei besonders intensiven Störungen strafbar sein können. Nach § 21 Versammlungsgesetz ist nur eine „grobe“ Störung strafbar. Eine „einfache“, polizeirechtlich relevante Störung der Versammlung, die mitunter eine Auflösung der Sitzblockade nach dem Versammlungsrecht legitimiert hätte, genügt dafür nicht. Denn das Strafrecht wird erst als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes eingesetzt und erfordert daher eine gesteigerte Intensität der Beeinträchtigung (BVerfGE 96, 10 <25>; 120, 224 <240>). Eine solche Intensität sahen Amtsgericht und Oberlandesgericht bei der etwa 30 Minuten dauernden Blockade als gegeben an. Damit stellen die Gerichte leider zu niedrige Anforderungen an die Strafbarkeit.

Unbefriedigend sind auch die Ausführungen zum rechtsstaatlichen Grundsatzes der Bestimmtheit. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss für jedermann vorhersehbar sein, welche Handlung mit welcher Strafe bedroht ist, damit er sein Verhalten entsprechend ausrichten kann. Für den Teilnehmer an einer Sitzblockade ist aber nicht erkennbar, zu welchem Zeitpunkt seine geschützte Grundrechtsausübung die Grenze zur Strafbarkeit überschreitet. Dazu müssten im Gesetz klare Regeln für den Umgang mit von Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Gegendemonstrationen existieren, wie es beispielsweise nach dem. Es ist weiterhin zweifelhaft, ob § 21 Versammlungsgesetz diesen Anforderungen genügt.

Erfreulicherweise setzt jedoch bei den (Landes-)Gesetzgebern teilweise ein Umdenken ein. So verlangt für eine Strafbarkeit, dass eine vorherige Anordnung ignoriert wird. Auch das neue Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz soll eine entsprechende Einschränkung der Strafbarkeit enthalten.

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