GFF und akj Freiburg unterstützen Teilnehmer an friedlicher Sitzblockade gegen Piusbruderschaft
Anklage erhoben wegen „grober Störung“ einer Versammlung / Grundrechte des Angeklagten vernachlässigt
Berlin, 4. September 2019 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt gemeinsam mit dem Arbeitskreis kritischer Jurist*innen (akj) Freiburg die Strafverteidigung eines Mannes, der sich an einer friedlichen Sitzblockade gegen einen Versammlungszug der fundamentalistischen Piusbruderschaft St. Pius X beteiligte. Ihm wird die „grobe Störung“ der Versammlung vorgeworfen, weil der Zug, der durch die Freiburger Innenstadt führte, etwa 30 Minuten aufgehalten wurde. „Wie sich an den hochgehaltenen Schildern und Transparenten zeigt, war die Sitzblockade auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet und damit ihrerseits von der Versammlungsfreiheit geschützt“, sagt David Werdermann, ehemaliger Mitarbeiter der GFF und einer der Verteidiger des Angeklagten. „Legitimer politischer Protest darf aber nicht mit der Keule des Strafrechts erschlagen werden.“ Die Strafverhandlung findet am Donnerstag, den 5. September, um 8.30 Uhr in Saal III des Freiburger Amtsgerichts statt (Az. 24 Cs 281 Js 40842/17).
Anlass der Sitzblockade war ein Aufruf der Piusbruderschaft für den 10. April 2015 zu einem „Marsch für das Leben“. Die Gruppierung steht seit vielen Jahren in der Kritik, insbesondere wegen ihrer radikal ablehnenden Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen und ihrer feindlichen Einstellung gegenüber Homosexuellen. Verschiedene Gruppen und Personen riefen zum Protest gegen die Piusbruderschaft auf, der schließlich in einer Sitzblockade auf der Kaiser-Joseph-Straße mündete. Personen in der Sitzblockade hielten verschiedene Plakate mit Botschaften, die sich gegen das Gedankengut der Piusbruderschaft richteten. Die Gehwege neben der Straße blieben während des durchweg friedlichen Gegenprotests frei.
Trotzdem sieht die Staatsanwaltschaft Freiburg in der Sitzblockade eine grobe Störung der Versammlung der Piusbruderschaft und hat Anklage wegen einer Verletzung von Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes erhoben. „Das ist nicht nachvollziehbar, weil von den Blockierenden keinerlei Gefahr ausging und die Piusbruderschaft hätte ausweichen können“, erläutert Jakob Bach, weiterer Verteidiger des Angeklagten. „Dass die Polizei, statt die Piusbruderschaft auf die Gehwege zu leiten, die Sitzblockade auflöste, mag sie für notwendig gehalten haben. Diese Fehleinschätzung begründet aber keine ‚grobe Störung‘ durch die Sitzblockade, also auch nicht die Strafbarkeit des Angeklagten.“
In einem Parallelverfahren vor drei Jahren hatte das Amtsgericht Freiburg den Protest noch als eine sogenannte „Verhinderungsblockade“ behandelt, die keinen Schutz durch die Versammlungsfreiheit genieße. GFF und akj Freiburg wollen mit ihrer Unterstützung des Angeklagten verhindern, dass das Gericht diese Einordnung der Sitzblockade aufrechterhält. „Für das Funktionieren einer Demokratie muss der Staat in solchen Konfliktsituationen die Grundrechte beider Seiten zu einem schonenden Ausgleich bringen“, sagt Ulf Buermeyer, Vorsitzender der GFF. „Um einer kurzzeitigen Erschwernis des Versammlungszugs der Piusbruderschaft zu begegnen, ist das Strafrecht sicher das falsche Schwert.“
Auf Anfrage erhalten Sie die ausführliche Stellungnahme der beiden Juristen Werdermann und Bach. Unterstützt werden sie vom Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. koordiniert und finanziert Gerichtsverfahren, um Grund- und Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen zu verteidigen. Die GFF setzt sich mit ihren ersten Verfahren beispielsweise für die informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit ein. Zudem streitet sie für die Freiheit von Diskriminierung. Sie bringt dafür geeignete Kläger und Klägerinnen mit exzellenten Juristen und Juristinnen zusammen, um gemeinsam gerichtlich gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Zu den aktuellen Projekten zählen Klagen gegen die Massenüberwachung von Flugpassagieren und Verfassungsbeschwerden gegen den massenhaften Einsatz von Staatstrojanern, zuletzt im neuen Polizeigesetz in Hessen, aber auch die Klage einer Journalistin gegen Entgeltdiskriminierung.
Mehr Informationen finden Sie unter freiheitsrechte.org.
Der Arbeitskreis kritischer Jurist*innen Freiburg ist ein Zusammenschluss von jungen Jurist*innen, die sich mit rechtspolitischen Themen kritisch auseinandersetzen. Der akj hatte sich bereits anlässlich des ersten Verfahrens gegen einen Teilnehmer der Sitzblockade ablehnend zur Strafverfolgung geäußert.
Mehr Informationen finden Sie unter akj-freiburg.d.
Für Rückfragen stehen wir Ihnen unter presse@freiheitsrechte.org oder unter 030 549 08 10 55 zur Verfügung.