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Gefaehrliches Werkzeug Taschenmesser von byrev, lizensziert unter Pixabay License
Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 2, 1

Verbot “gefährlicher Werkzeuge” in Berliner Bahnhöfen und Zügen

Eine Verfügung der Bundespolizeidirektion Berlin ermöglichte anlasslose Massendurchsuchungen. Unser Eilantrag gegen die Verfügung hatte Erfolg.

GFF hat einen erfolgreichen Eilantrag gegen ein zu weit gefasstes Verbot “gefährlicher” Werkzeuge und anlasslose Massendurchsuchungen unterstützt.

Bijan Moini

Leiter des Legal Teams und Syndikus

„Es ist zwar zu begrüßen, dass die Polizei die Sicherheit in Bahnhöfen und Zügen erhöhen will. Allerdings ist die gewählte Form dafür die falsche, denn das Verbot hat keine ausreichende Rechtsgrundlage, ist zu unbestimmt und sieht zu wenige Ausnahmen vor.“

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) hat in Kooperation mit der Humanistischen Union (HU) Widersprüche von fünf Personen gegen eine Verfügung der Bundespolizeidirektion Berlin sowie einen erfolgreichen Eilantrag gegen die Verfügung unterstützt.

Die Allgemeinverfügung verbot zwischen dem 1. November 2018 und den 31. Januar 2019 an Wochenenden zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens das Mitführen von, wie es wörtlich hieß, „gefährlichen Werkzeugen“, in allen S-Bahnen sowie Regional- und Fernverkehrszügen und an allen Berliner Bahnhöfen zwischen Zoologischer Garten im Westen und Lichtenberg im Osten. Die Polizei konnte zur Durchsetzung des Verbots jede Person anlasslos und ohne besonderen Grund durchsuchen und bei Verstößen bis zu 250 Euro Zwangsgeld verhängen. Nach Ansicht der GFF schoss die Allgemeinverfügung weit über das Ziel hinaus, da sie sich sich auch gegen alltägliches und ungefährliches Verhalten richtete, und war daher rechtswidrig.

Ein unverhältnismäßig weit formuliertes Verbot

Mit dem Verbot “gefährlicher Werkzeuge” griff die Allgemeinverfügung einen Begriff aus dem Strafrecht auf, der zum Beispiel in § 224 StGB auftaucht. Strafrechtlich gilt eine Sache als “gefährliches Werkzeug”, wenn sie nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer konkreten Verwendung geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen hervorzurufen. Ein angespitzter Bleistift oder ein Gürtel können also zum “gefährlichen Werkzeug” werden, wenn sie zu einer Körperverletzung benutzt werden. Dieser Begriff wirft Probleme auf, wenn schon das “Mitführen” eines solchen Gegenstands bei einer Tat die Strafe erhöht, wie in § 244 StGB. Die Rechtswissenschaft verlangt daher einschränkend, dass nur mitgeführte Gegenstände erfasst sein sollen, die wie Waffen “objektiv gefährlich” sind, z.B. Schlagringe. Nicht straferhöhend soll es dagegen wirken, wenn der Täter z.B. einen spitzen Bleistift dabei hatte.

Diese Probleme ignorierte die Allgemeinverfügung, die keine solche Einschränkung kennt. Sie enthielt folgende Passage: “Gefährlich ist ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art […] seiner konkreten Anwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.” (Hervorhebungen nur hier.) Entsprechend erfasste das Verbot neben objektiv gefährlichen Gegenständen wie Schlagringen auch fast jeden denkbaren Alltagsgegenstand wie etwa Laptops, Korkenzieher oder Spazierstöcke, denn auch sie können theoretisch zum Schaden anderer eingesetzt werden. Schon dies allein machte das Verbot unverhältnismäßig.

Keine ausreichende Rechtsgrundlage

Für die Allgemeinverfügung fehlte es außerdem an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Die Bundespolizei berief sich auf die sogenannte Generalklausel (§ 14 Bundespolizeigesetz, BPolG). Allerdings müssen polizeiliche Maßnahmen, die weitreichende Grundrechtseingriffe ermöglichen, auf spezielle gesetzliche Grundlagen gestützt werden.

Zur Durchsetzung des Verbots “gefährlicher Werkzeuge” erlaubte es die Allgemeinverfügung der Bundespolizei, jede Person anlasslos und ohne besonderen Grund zu durchsuchen. Indem sie damit massenweise Durchsuchungen von Personen ohne konkreten Anlass ermöglicht, wirkte sie ähnlich intensiv wie Raster- oder Schleierfahndungen. Anlasslose Durchsuchungen sind auch deswegen besorgniserregend, weil sie ein Einfallstor für “racial profiling” sind, also die Anwendung polizeilicher Maßnahmen nach Kriterien wie Hautfarbe oder (zugeschriebener) ethnischer Zugehörigkeit.

Wie eine Schleierfahndung hätte die Allgemeinverfügung der Bundespolizeidirektion Berlin daher einer speziellen Rechtsgrundlage bedurft – diese gab und gibt es im BPolG aber nicht.

Die Entscheidung über massenweise Durchsuchungen von Personen ohne konkreten Anlass darf die Polizei nicht auf die sogenannte Generalklausel stützen, wonach sie zur Abwehr einer Gefahr ‚Maßnahmen‘ nicht näher bestimmter Art treffen kann.
Bijan Moini, Leiter des Legal Teams und Syndikus

Unklare Ausnahmen

Alle fünf unterstützten Widerspruchsführer*innen tragen regelmäßig vermeintlich „gefährliche“ Werkzeuge bei sich. Susanne Schuster hat auf der betroffenen Berliner S-Bahn-Strecke zu den Verbotszeiten für private Zwecke regelmäßig einen Korkenzieher, Stifte und häufig ein Schweizer Taschenmesser dabei. Auch Andreas Bogk trägt ein Swiss Multitool bei sich und verwendet es regelmäßig für private und berufliche Zwecke. Ähnliches gilt für Igor D.

Zwar nahm die Allgemeinverfügung Personen aus, die verbotene Gegenstände “erkennbar ausschließlich zum häuslichen Gebrauch mitführen”, oder die die berufliche Erforderlichkeit der Gegenstände “glaubhaft” machen können. Doch war unklar, ob die Bundespolizei z.B. das Swiss Multitool durchgehen lassen würde.

Daher beantragte die Rechtsanwältin Anja Heinrich für Schuster und Bogk am 21. Dezember 2018 beim Verwaltungsgericht Berlin vorläufigen Rechtsschutz. Die GFF und die Humanistische Union unterstützten sie dabei. Sie unterstützten auch die Widerspruchsverfahren von zwei weiteren Betroffenen sowie ein Eilverfahren von Igor D. Am 18. Januar 2019 gab das Verwaltungsgericht Berlin dem Eilantrag von Igor D. statt. Es teilte dabei die Argumentation der GFF in weiten Teilen und kam nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Allgemeinverfügung rechtswidrig ist und die Widersprüche dagegen aufschiebende Wirkung haben.

Die Bundespolizei legte dagegen Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein. Nachdem die Allgemeinverfügung Ende Januar außer Kraft trat, erledigte sich der Rechtsstreit. Daraufhin war nur noch eine Kostenentscheidung zu treffen, in der sich am 28. Februar 2019 das Oberverwaltungsgericht der Argumentation des Verwaltungsgerichts anschloss. Die Bundespolizei musste die Kosten des Verfahrens tragen.

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