Mit der Bezahlkarte unter das Existenzminimum
Bundesweit führen Kommunen die Bezahlkarte für Asylsuchende ein. Die Bezahlkarten unterliegen weitreichenden Beschränkungen, etwa im Bereich Bargeldabhebungen, Onlineeinkäufen und Überweisungen. Das gefährdet das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum schutzsuchender Menschen. Gemeinsam mit PRO ASYL gehen wir im Eilverfahren gegen die ersten Bezahlkartenregelungen vor und verzeichnen wegweisende Erfolge
Die GFF und PRO ASYL zielt derzeit mit mehreren Klagen darauf ab, die Einführung von restriktiv ausgestalteten Bezahlkarten zu stoppen, weil sie Grundrechte von Geflüchteten verletzen. Mit der Bezahlkarte sind Überweisungen überhaupt nicht oder nur an freigeschaltete Empfänger*innen möglich. Auch Online-Einkäufe sind nicht möglich. Bargeld kann nur sehr beschränkt abgehoben werden – 50 Euro pro erwachsener Person und 10 Euro pro Kind. Die Bezahlkarte ist je nach Bundesland eine Visa- oder Mastercard-Debitkarte. Damit kann man insbesondere in kleineren Läden und Restaurants nicht zahlen. Gebrauchte Waren wie Fahrräder, Handys oder Kinderkleidung von Privatpersonen, kostengünstige Online-Einkäufe, Beiträge für Schulausflüge oder Klassenreisen, Handyverträge, Mitgliedsbeiträge für Sportvereine oder Anwaltskosten – all das kann mit der Bezahlkarte nicht oder nur im Rahmen des äußerst knappen Barbetrags gezahlt werden. Teilweise ist der Einsatz der Bezahlkarte geografisch beschränkt. Das kann dazu führen, dass Betroffene bestimmte Produkte in ihrer Region überhaupt nicht erwerben können, etwa wenn der nächste Halal-Supermarkt nicht mehr im erlaubten PLZ-Gebiet liegt. Auch Besuche von Freund*innen oder Verwandten in anderen Regionen sind bei einer räumlichen Beschränkung erschwert. Ohne erkennbaren Nutzen hindert die Bezahlkarte damit Asylsuchende an vielen Stellen, ihr Alltagsleben günstig und einfach zu gestalten.
Die Bezahlkarte verletzt das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das Grundgesetz (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) gewährt allen Menschen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Aufenthaltsstatus. Politisch begründete Leistungskürzungen, beispielsweise um Schutzsuchende abzuschrecken, sind nicht zulässig, denn migrationspolitische Ziele ändern nichts an den Bedarfen der Menschen, die sich hier aufhalten. Zwar dürfen die Leistungen auch in anderer Form als Geldzahlungen erbracht werden, zum Beispiel als Sachleistungen oder eben in Form einer Bezahlkarte. Es muss aber stets sichergestellt werden, dass der individuelle Bedarf darüber auch tatsächlich gedeckt werden kann. Dies ist bei der restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte nicht der Fall: Sie führt dazu, dass Betroffene viele Sachen und Dienstleistungen, die zum Existenzminimum gehören, nicht mehr oder nur zu erhöhten Preisen einkaufen können.
Erste Entscheidungen erteilten restriktiver Bezahlkarteregelungen eine Absage
In Hamburg unterstützen wir unter anderem die Klage einer dreiköpfigen Familie, die in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Hamburg wohnt. Ihnen stehen seit Einführung der Bezahlkarte pauschal 110 Euro zur Verfügung, die sie bisher von der Bezahlkarte abheben konnte. Mit diesem Betrag können die schwangere Antragstellerin, ihr Kleinkind und ihr Mann nicht die nötigen lebensnotwendigen Einkäufe tätigen, die Bargeld erfordern. Das Sozialgericht Hamburg erklärte diese Festsetzung für rechtswidrig und spricht der Familie zunächst einen Bargeldbetrag von knapp 270 Euro zu. Die Hamburger Amt für Migration darf den Bargeldbetrag nicht pauschal auf 50 Euro begrenzen, ohne die persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen zu berücksichtigen. Das bedeutet, das Amt darf sich nicht auf die Beschlussempfehlung der Ministerpräsident*innenkonferenz berufen, die im Juni dieses Jahres eine Bargeldbeschränkung von 50 Euro pro Person vereinbart hatte.
Auch in mehreren Eilverfahren in Nürnberg, die wir gemeinsam mit Rechtsanwalt Volker Gerloff führen, erzielten wir im Juli 2024 Erfolge. Die 11. Kammer des Sozialgerichts Nürnberg stellte in zwei Verfahren fest, dass die Antragsteller*innen durch die Bezahlkarte erheblich in ihrer Dispositionsfreiheit eingeschränkt sind und ihr Existenzminimum bedroht ist. Das Sozialgericht kritisierte außerdem, dass die Behörde keinerlei Ermessen ausgeübt hat und auch die Bargeldbeschränkung auf 50 Euro nicht begründet hat. Dieser Auffassung schloss sich die 17. Kammer in einem weiteren von uns unterstützten Verfahren an.
Im Fall eines alleinstehenden Geflüchteten konnten wir im Eilverfahren kein Ergebnis zu den Bezahlkartenregelungen erzielen. Nachdem das Sozialgericht Hamburg unseren Antrag im Juni 2024 abgelehnt hat, sah auch das Landessozialgericht der Hansestadt im Juli 2024 keine Eilbedürftigkeit und verwies uns auf ein langwieriges Hauptsacheverfahren. Eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte trifft das Landessozialgericht Hamburg somit nicht.
Voller Grundrechtsschutz für Geflüchtete
Die Verfahren reihen sich in unseren Einsatz für menschenwürdige Lebensbedingungen für Geflüchtete ein. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist unverfügbar und gilt auch für Asylsuchende.