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gleiche Rechte und soziale Teilhabe
Art. 1, 20

Mit der Bezahlkarte unter das Existenzminimum

Bundesweit führen Kommunen die Bezahlkarte für Schutzsuchende ein. Die Bezahlkarten unterliegen weitreichenden Beschränkungen, etwa im Bereich der Bargeldabhebungen, Onlineeinkäufe und Überweisungen. Das gefährdet das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Gemeinsam mit PRO ASYL gehen wir gerichtlich gegen die Bezahlkartenregelungen vor und verzeichnen erste wegweisende Erfolge.

Die GFF und PRO ASYL zielen mit mehreren Klagen darauf ab, die Einführung von restriktiven Bezahlkarten zu stoppen und Grundrechtsverletzungen zu beenden. Bisher liefen Eilverfahren in Nürnberg, Hamburg und Chemnitz. Mit ersten Erfolgen: Im Juli 2024 entschied das Sozialgericht Nürnberg, dass die zahlreichen Beschränkungen der Bezahlkarte der Stadt Schwabach das Existenzminimum bedrohen.
Das Hamburger Sozialgericht erklärte im Eilverfahren die pauschale Obergrenze für Bargeldabhebungen von monatlich 50 Euro ohne Berücksichtigung individueller Umstände im Juli 2024 für rechtswidrig. Daraufhin legte die Sozialbehörde Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Das Landessozialgericht Hamburg verwies auf das Hauptsacheverfahren. Die GFF und PRO ASYL haben daher gemeinsam mit der betroffenen Familie im Dezember 2024 die Klage eingereicht.
Zusätzlich zu den Verfahren klärt das Bündnis über die Bezahlkarte mit einem ausführlichen FAQ auf.
Lena Frerichs

Lena Frerichs

Verfahrenskoordinatorin und Juristin

Auf eine Bezahlkarte gebuchte existenzsichernde Leistungen müssen den konkreten Bedürfnissen und Umständen des Einzelfalls gerecht werden. Das ist zur Wahrung der Grundrechte unabdingbar. Das Hauptsacheverfahren in Hamburg ist ein wichtiger Schritt, um grundlegende Rechtsfragen zu klären und die rechtswidrig ausgestaltete Bezahlkarte zu stoppen.

Eingriff in die Grundrechte

Die Bezahlkarte verletzt in ihrer aktuellen Ausgestaltung das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Das menschenwürdige Existenzminimum steht allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Aufenthaltsstatus zu.

Politisch begründete Leistungskürzungen, beispielsweise um Schutzsuchende abzuschrecken, sind nicht erlaubt. Denn migrationspolitische Ziele ändern nichts an den Bedarfen der Menschen, die sich in Deutschland aufhalten. Zwar dürfen die Leistungen auch in anderer Form als Geldzahlungen erbracht werden – zum Beispiel als Sachleistungen oder in Form einer Bezahlkarte. Es muss aber sichergestellt sein, dass der individuelle Bedarf der Menschen tatsächlich gedeckt werden kann. Das ist bei der restriktiv ausgestalteten Bezahlkarte nicht der Fall: Betroffene können viele Sachen und Dienstleistungen, die zum Existenzminimum gehören, nicht mehr bezahlen.

Außerdem führt die Bezahlkarte in ihrer jetzigen Form zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung. Das Grundgesetz garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz. Ungerechtfertigte Diskriminierung soll hiermit verhindert werden. Es gibt keinen Grund, warum Schutzsuchende eine Bezahlkarte bekommen, andere Sozialleistungsempfänger*innen jedoch nicht (mehr dazu in unserem FAQ zur Bezahlkarte).

Der Gesetzgeber rechtfertigt die Bezahlkarte bisher ausschließlich mit einer Erleichterung für die Verwaltung. Das ist ein sinnvolles und legitimes Ziel. Doch die Bezahlkarte mit ihren restriktiven Beschränkungen bedeutet nachweislich einen erheblichen Mehraufwand für die Verwaltung.

Unsere Verfahren gegen die restriktive Bezahlkarte im Überblick

Etappensieg in Hamburg und Übergang ins Hauptsacheverfahren

Im Juli 2024 ist uns ein Etappensieg vor dem Hamburger Sozialgericht gelungen. Gemeinsam mit einer schutzsuchenden Familie aus einer Erstaufnahmeeinrichtung haben wir dagegen geklagt, dass der Familie seit Einführung der Bezahlkarte monatlich nur pauschal 110 Euro an Bargeld zur Verfügung standen. Damit konnten die schwangere Antragstellerin und ihr Mann nicht die nötigen lebensnotwendigen Einkäufe für ihr Kleinkind und sich stemmen.

Das Sozialgericht Hamburg erklärte (SG Hamburg, S 7 AY 410/24 ER) diese Festsetzung für rechtswidrig und spricht der Familie zunächst einen Bargeldbetrag von knapp 270 Euro zu. Das Gericht stellte klar, dass das Hamburger Amt für Migration nicht pauschal den Bargeldbetrag begrenzen darf, ohne die persönlichen und örtlichen Umstände der Betroffenen zu berücksichtigen. Das Amt durfte sich nicht auf die Beschlussempfehlung der Ministerpräsident*innenkonferenz berufen, die im Juni 2024 eine Bargeldbeschränkung von 50 Euro pro Person vereinbart hatte.

Das Landessozialgericht Hamburg hob die Entscheidung nach einer Beschwerde der Behörde auf (LSG Hamburg, L 4 AY 11/24 B ER). Das Gericht entschied im September 2024 nicht mehr über die Leistungen der Antragstellerin für ihren besonderen Bedarf als schwangere Frau, da ihr Kind mittlerweile geboren ist. Auch entschied das Gericht nicht über die auf eine Bezahlkarte gebuchten Leistungen für das Kleinkind, da es eine Eilbedürftigkeit – anders als das Sozialgericht – nicht erkennen konnte. Es ging dabei allerdings irrtümlich davon aus, dass es sich bei der Bezahlkarte um eine Kreditkarte handeln würde, obwohl im Verfahren klargestellt wurde, dass es sich bei der Hamburger SocialCard um eine Debitkarte handelt. Das Gericht verweist uns damit auf das Hauptsacheverfahren.

Im Dezember 2024 haben wir mit der Familie Klage erhoben, um die rechtswidrige Ausgestaltung der Bezahlkarte zu stoppen. Ziel ist die gerichtliche Klarstellung, dass das menschenwürdige Existenzminimum durch die restriktiven Bezahlkartenregelungen nicht verletzt werden darf. Die Sozialbehörde ist verpflichtet über die Funktionen der Karte, also etwa die Möglichkeit damit online einzukaufen, zu entscheiden: Dabei ist es ihre Pflicht sich zu überlegen, wie ohne kostengünstige Online-Einkäufe von der geringen Sozialleistung menschenwürdig gelebt werden kann. Das hat sie bisher nicht getan und das ist rechtswidrig. Weiter bringen wir in das Verfahren ein, dass die Bezahlkarte in ihrer jetzigen Form das Diskriminierungsverbot verletzt und drängen auf die Klärung dringender datenschutzrechtlicher Fragen. Bislang erhalten Bezahlkartenempfänger*innen keine Informationen darüber, wie die Daten verarbeitet werden und wer diese bekommt.

Im Fall eines alleinstehenden Geflüchteten konnten wir im Eilverfahren vor dem Sozialgericht Hamburg bisher kein Ergebnis zu den Bezahlkartenregelungen erzielen. Das Sozialgericht Hamburg sowie in nächster Instanz das Landessozialgericht Hamburg (LSG Hamburg, L 4 AY 8/24 ER) sahen keine Eilbedürftigkeit. Damit ist für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bezahlkarte ein langwieriges Hauptsacheverfahren notwendig.

Erfolgreiche Eilverfahren in Nürnberg

Auch in mehreren Eilverfahren in Nürnberg, die wir gemeinsam mit Rechtsanwalt Volker Gerloff führen, erzielten wir im Juli 2024 Erfolge. Die 11. Kammer des Sozialgerichts Nürnberg stellte in zwei Verfahren fest (S 11 AY 15/24 ER und S 11 AY 18/24 ER), dass die Antragsteller*innen durch die Bezahlkarte erheblich in ihrer Dispositionsfreiheit eingeschränkt sind und ihr Existenzminimum bedroht ist. Das Sozialgericht kritisierte außerdem, dass die Behörde keinerlei Ermessen ausgeübt hat und auch die Bargeldbeschränkung auf 50 Euro nicht begründet hat. Dieser Auffassung schloss sich die 17. Kammer des Sozialgerichts in einem weiteren von uns unterstützten Verfahren an.

Gerichtsverfahren in Chemnitz

In zwei weiteren Verfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz haben wir unsere zunächst gestellten Eilanträge (S 20 AY 35/24 ER und S 19 AY 30/24 ER) zurückgenommen. Grund ist, dass die zuständigen Behörden die Ausgestaltung der Bezahlkarte zwischenzeitlich verbessert haben. Wir unterstützen die Kläger*innen nun in Hauptsacheverfahren.

Antragsteller des ersten Verfahrens ist ein alleinstehender Mann, der seit sieben Jahren in Deutschland lebt. Gemeinsam mit unserem Kläger gingen wir vor allem gegen ein Überweisungsverbot vor, das es ihm unmöglich machte, mit der Bezahlkarte den Stromabschlag und den Internetanschluss für seine Mietwohnung zu bezahlen.

Im zweiten Verfahren unterstützen wir eine Familie, die seit fünf Jahren in Deutschland lebt. Die Familie konnte nur einen viel zu niedrigen Bargeldbetrag mit nur einer einzigen Bezahlkarte abheben und kein Geld überweisen. Wir haben bereits ein erstes Einlenken der Behörden erreicht: Der Bargeldbetrag für die Kinder wurde deutlich erhöht und die Familie erhielt mehr als eine Bezahlkarte. Zudem können Nutzer*innen der Karte in den Landkreisen nun für jede Überweisung, erforderliche Bargelderhöhungen oder örtliche Erweiterungen der Bezahlkarte Einzelanträge bei der Behörde stellen.

Enormer Verwaltungsaufwand für den Staat

Die Verfahren zeigen: Auf die Behörden kommt durch die Bezahlkarte eine enormer Verwaltungsaufwand zu. Für jede Person, die eine Bezahlkarte erhält, müssen die Behörden für jede Überweisung, jeden Flohmarkteinkauf, jeden für die Schule erforderlichen Barbetrag und jede Fahrt in ein anderes Bundesland zeitnah Einzelanträge bearbeiten sowie Bargeld- und regionale Beschränkungen anpassen, Überweisungsempfänger freischalten oder die Überweisung selbst durchführen. Ob die erforderliche rasche Bearbeitung der Einzelanträge in der Praxis umgesetzt wird, werden wir genau beobachten.

Die Ausgestaltung der Karte ist dennoch weiterhin grundrechtswidrig, denn die nach wie vor eingeschränkte Dispositionsfreiheit verletzt den Anspruch der Kläger*innen auf Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums und das Recht auf Gleichheit. Insbesondere Personen, die schon viele Jahre in Deutschland wohnen, haben einen Anspruch auf eine Geldleistung – wie andere Sozialleistungsempfänger*innen auch.

Voller Grundrechtsschutz für Geflüchtete

Die Verfahren reihen sich in unseren Einsatz für menschenwürdige Lebensbedingungen für Geflüchtete ein. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist unverfügbar und gilt auch für Asylsuchende.

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