Erfolgreiche Klage gegen Polizeieinsatz in Geflüchteten-Unterkunft
Hinweis: Diese Pressemitteilung korrigiert eine frühere Meldung. Inzwischen liegen der GFF neue Informationen zur Begründung des Gerichts vor.
Stuttgart, 19. Februar 2021 – Nach einer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) unterstützten Klage des kamerunischen Geflüchteten Alassa Mfouapon entschied das Verwaltungsgericht Stuttgart heute: Die Groß-Razzia im Mai 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen war rechtswidrig. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass es sich bei den Schlafzimmern in Geflüchteten-Unterkünften nicht um geschützte Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes handelt.
„Das Verwaltungsgericht hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass die Polizei Geflüchteten-Unterkünfte nicht um 5 Uhr morgens stürmen darf. Dennoch greift das Urteil viel zu kurz. Die Zimmer in Geflüchteten-Unterkünften sind private Wohnräume und als solche gilt für sie das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin bei der GFF.
Bei einem massiven Polizeieinsatz am 3. Mai 2018 durchsuchten 500 Polizist*innen sämtliche Zimmer der Geflüchteten-Unterkunft, ohne dass dafür ein Durchsuchungsbeschluss vorlag. Nach ausführlicher Befragung der beteiligten Polizeibeamten gab das Gericht nun dem Kläger Recht. Sowohl die Durchsuchung seines Zimmers als auch die Personenfeststellung und das Anbringen von Handschellen waren unverhältnismäßig. „Viele Polizisten, die in der Verhandlung ausgesagt haben, konnten sich an den Einsatz nicht mehr gut erinnern. Für uns ist es so, als wäre es gestern gewesen“, sagt der Kläger Alassa Mfouapon. „Dieses Urteil ist wichtig für alle Geflüchteten, deren Rechte die Polizei an dem Tag verletzt hat.“
Die Urteilsbegründung steht noch aus. Aus der Pressemitteilung des Gerichts ergibt sich jedoch, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart die Schlafräume in Sammelunterkünften nicht als geschützte Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes betrachtet. Als unverhältnismäßig beurteilt es die Razzia deshalb, weil sie zur Nachtzeit stattfand. Zum Zeitpunkt der Razzia war die Unterkunft nach Auffassung des Gerichts sogar ein gefährlicher Ort im Sinne des Polizeirechts.
Damit verkürzt das Verwaltungsgericht den Schutzgehalt von Artikel 13 des Grundgesetzes. Die in ihm verbriefte Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein Grundrecht, das eng mit der Menschenwürde verbunden ist. Der Schutz der Wohnung schützt auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Das Bundesverfassungsgericht legt den Begriff der Wohnung daher weit aus. Der Schutz erstreckt sich auf alle Räume, in denen sich das Privatleben entfaltet. In Anwendung dieser Vorgaben haben Fachgerichte bereits Zimmer in Studentenwohnheimen, in einer Klinik sowie in Obdachlosenunterkünften als Wohnung anerkannt. Verschiedene Verwaltungsgerichte und zuletzt auch das Oberverwaltungsgericht Hamburg haben den Zimmern in Sammelunterkünften für Geflüchtete den Schutz der Wohnung zugesprochen.
„Indem das Verwaltungsgericht jetzt sagt, diese Zimmer verdienen keinen Schutz, spricht es Geflüchteten den privaten Rückzugsraum ab und fällt hinter die Entwicklungen in der Rechtsprechung zurück“, so Sarah Lincoln.
Zum Hintergrund
Am 3. Mai 2018 fand in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen ein massiver Polizeieinsatz statt. Etwa 500 Polizist*innen durchsuchten sämtliche Bewohner*innen und ihre Zimmer. Anlass war die Abschiebung eines Mannes aus Togo, die einige Tage zuvor am friedlichen Widerstand der Bewohner*innen gescheitert war. Die Polizei handelte ohne einen für die Durchsuchung erforderlichen richterlichen Beschluss.
Alassa Mfouapon, einer der Wortführer des politischen Protests der Geflüchteten, wurde kurz danach, am 20. Juni 2018, in den frühen Morgenstunden aus der Einrichtung abgeholt, gefesselt und abgeschoben. Auch hier fehlte ein Gerichtsbeschluss zum Durchsuchen seines Zimmers.
Im September 2018 klagte Alassa Mfouapan vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart gegen die rechtswidrigen Durchsuchungen seines Zimmers und weitere Polizeimaßnahmen. Die GFF unterstützt den Kläger und seinen Anwalt Roland Meister. Mit der Entscheidung von heute bekam der Kläger fast drei Jahre nach dem Polizeieinsatz Recht. Den zweiten Polizeieinsatz hielt das Gericht hingegen weitestgehend für rechtmäßig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Weitere Informationen zum Verfahren finden Sie hier.
Für weitere Informationen wenden Sie sich an:
Daniela Turß, presse@freiheitsrechte.org,
Tel. 030/549 08 10 55 oder 0175/610 2896