GFF-Rechtsgutachten: Europäische Menschenrechte garantieren die politische Teilhabe zivilgesellschaftlicher Organisationen
Achtung: Informationen zur Vorstellung des Gutachtens am Dienstag, 26. Oktober 2021, 9:00 Uhr, mit Prof. Dr. Dr. Wiater (FAU Erlangen-Nürnberg, Mitglied des Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg, CHREN), Gesellschaft für Freiheitsrechte, Open Society Foundations, Maecenata Institut und Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung finden Sie weiter unten.
Berlin, 19. Oktober 2021 – Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) veröffentlicht heute das von Frau Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater angefertigte Rechtsgutachten „Politische Teilhabe der Zivilgesellschaft. Menschenrechtliche Rahmenbedingungen für die Behandlung gemeinnütziger Organisationen“. Dieses hat ergeben, dass das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht europäische Freiheitsrechte beschneidet – und bringt damit eine neue Dringlichkeit in die Reformdebatte.
Nachdem der Bundesfinanzhof dem Verein Attac 2019 wegen „allgemeinpolitischer Tätigkeit“ die Gemeinnützigkeit entzog, diskutierten die regierenden Parteien CDU und SPD darüber, in welchem Umfang sich gemeinnützige Organisationen wie NGOs und Vereine überhaupt in politische Debatten einmischen dürfen. Zu der von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) versprochenen Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist es nie gekommen. Viele Vereine sind seit der Attac-Rechtsprechung verunsichert und fürchten, ihren Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie beispielsweise dazu aufrufen, an einer Demonstration gegen Antisemitismus teilzunehmen.
Gegner*innen der politischen Betätigung von gemeinnützigen Organisationen betonen, dass Parteien für die Politik verantwortlich seien und zivilgesellschaftliche Organisationen keine grund- oder menschenrechtlich verbürgten Rechte auf politische Teilhabe hätten.
Das Gutachten von Frau Prof. Dr. Dr. Wiater stellt jetzt klar, dass das Gegenteil der Fall ist. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen politischen Parteien und der Presse aufgrund ihrer Bedeutung für den demokratischen Diskurs funktional gleichgestellt. Sie haben daher ein Recht darauf, sich politisch zu betätigen und mit rechtmäßigen und demokratischen Mitteln politische Ziele zu verfolgen.
Für das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht heißt das konkret: Verschlechtert sich die finanzielle Situation einer NGO infolge staatlicher Maßnahmen, etwa durch eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit, so begründet dies einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in politische Freiheitsrechte.
„Das Gutachten zeigt, dass es im Gemeinnützigkeitsrecht nicht nur um steuerrechtliche Vorteile geht, die der Staat gemeinnützigen Organisationen auch jederzeit wieder entziehen kann“, sagt Dr. Vivian Kube, Juristin und Projektkoordinatorin bei der GFF. „Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit infolge einer politischen Betätigung stellt vielmehr einen Eingriff in europäisch garantierte Freiheitsrechte dar.“ Damit ist klar, dass Deutschland die politischen Betätigungsmöglichkeiten von NGOs und Vereinen rechtlich anerkennen und gesetzlich absichern muss, um nicht Gefahr zu laufen, europäische Menschenrechte zu verletzen.
Am Dienstag, 26. Oktober 2021, von 9:00 bis 10:00 Uhr, stellt Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater nach einer Einleitung von Selmin Çalışkan das Gutachten der Öffentlichkeit vor. Anschließend erläutern Dr. Vivian Kube und Stefan Diefenbach-Trommer, was das Gutachten für die deutsche Reformdebatte bedeutet und welche Schritte zur Wahrung europäischer Menschenrechte nun geboten sind. Dr. Siri Hummel zeigt auf, wie es Demokratien gefährdet, wenn die Zivilgesellschaft in ihrer politischen Handlungsfähigkeit beschnitten wird. Zudem wirft sie einen Blick darauf, wie es sich die neue Rechte und autoritäre Staaten zur Strategie machen, die zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Diskurs zu verdrängen.
Hier geht’s zur Veranstaltungsanmeldung.
Teilnehmer*innen:
- Prof. Dr. Dr. Patricia Wiater, FAU Erlangen-Nürnberg, Autorin des Gutachtens
- Selmin Çalışkan, Direktorin für Institutionelle Beziehungen im Berliner Büro der Open Society Foundations
- Dr. Vivian Kube, Projektkoordinatorin und Juristin bei der GFF
- Dr. Siri Hummel, Stv. Direktorin des Maecenata Instituts
- Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand der Allianz “Rechtssicherheit für politische Willensbildung”
Das Rechtsgutachten „Politische Teilhabe der
Zivilgesellschaft – Menschenrechtliche Rahmenbedingungen für die
Behandlung gemeinnütziger Organisationen” finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org/gemeinnuetzigkeit
Weitere Informationen über die GFF finden Sie unter:
https://freiheitsrechte.org
Bei Rückfragen wenden Sie sich an:
Janina Zillekens, presse@freiheitsrechte.org,
Tel. 030/549 08 10-55