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GFF koordiniert Klage beim Bundesverfassungsgericht gegen uferlose Befugnisse des Bayerischen Inlandsgeheimdienstes

3. August 2017 - Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) geht beim Bundesverfassungsgericht gegen eine Vielzahl von Regelungen des neuen Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) vor. Finanziell unterstützt wird das Vorgehen der GFF in diesem Verfahren durch die Stiftung Erneuerbare Freiheit.

Die am 1. August 2016 in Kraft getretene Novelle des BayVSG gibt dem bayerischen Inlandsgeheimdienst erweiterte Überwachungsbefugnisse, die im Dienste der „Inneren Sicherheit“ noch breiter und tiefer in die Grundrechte der Bevölkerung eingreifen, als dies in den übrigen Verfassungsschutzgesetzen der Länder und des Bundes der Fall ist.

Zur Pressemitteilung der GFF

Pressestimmen

Wer klagt?

Die Beschwerdeführer sind mehrere Personen, die als Funktionsträger bzw. Mitglieder von im Bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnten Organisationen glaubhaft machen können, Gegenstand der geheimdienstlichen Überwachung zu sein. Zu diesen Organisationen gehört insbesondere der Landesverband Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA).

Einer der Beschwerdeführer ist der Augsburger Oberarzt Dr. Harald Munding, Landessprecher der VVN-BdA. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung bezeichnete er seine langjährige Beobachtung durch den Bayerischen VS als “Stigmatisierung” und die Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht als “Einschüchterungspolitik, die wirkt”.

Die Verfassungsbeschwerde wurde verfasst von Prof. Dr. Matthias Bäcker (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und ist seit Ende Juli 2017 beim Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängig (Aktenzeichen: 1 BvR 1619/17). Der Experte im Informationsrecht und Datenschutzrecht arbeitet bereits im “G 10”-Verfahren als Prozessvertreter mit der GFF zusammen.

Wogegen wendet sich die Verfassungsbeschwerde?

Zu den Befugnissen im Bayrischen Verfassungsschutzgesetz (BayVSG), die aus Sicht der GFF unverhältnismäßig und damit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sind, gehören:

Diese und weitere Maßnahmen greifen unzulässig in mehrere Grundrechte ein, insbesondere in die Menschenwürdegarantie, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme (das sogenannte “Computer-Grundrecht”), das Fernmeldegeheimnis, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf effektiven Rechtsschutz.

Verfassungsrechtliche Angriffspunkte

Aus Sicht der GFF sind die angegriffenen gesetzlichen Befugnisnormen aus mehreren Gründen verfassungsrechtlich unhaltbar. Der in Deutschland präzedenzlose Zugriff eines Geheimdienstes auf die bei den Providern gespeicherten Telekommunikations-Vorratsdaten verstößt bereits gegen Bundesrecht. Denn nach § 113c Abs. 1 Nr. 2 Telekommunikationsgesetz (TKG) dürfen die „Vorratsdaten“ nur an eine „Gefahrenabwehrbehörde“ eines Landes übermittelt werden. Ein Inlandsgeheimdienst ist aber gerade getrennt von der Polizei und eben keine Gefahrenabwehrbehörde. Die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist eine Lehre aus dem Nationalsozialismus.

Das Gesetz stellt außerdem vielfach keine Voraussetzungen für den Datenzugriff auf. Damit fehlt es an einer Garantie dafür, dass die Überwachungsmaßnahmen nicht schon aus viel zu geringem Anlass selbst gegen selbst unbeteiligte Kontaktpersonen eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht verlangt für personengerichtete Überwachungsbefugnisse, dass die gesetzliche Grundlage einen hinreichend gewichtigen Anlass für die jeweilige Maßnahme klar regelt und dass die betroffene Zielperson in einem hinreichenden Näheverhältnis zu dem Anlass der Maßnahme steht. Verfassungsrechtlich unzulässig sind damit geheimdienstliche Überwachungsmaßnahmen, die schon vor jeder konkretisierten Gefahrenlage und / oder gegenüber Nichtverantwortlichen tief in Freiheitsrechte eingreifen. Diesen Anforderungen genügen viele der neuen Befugnisse im BayVSG nicht: Sie ermöglichen stattdessen schon bei diffuser Bedrohungslage eine breit gestreute Überwachung, die auch völlig Unverdächtige betrifft.

Hinzu kommt, dass etwa beim „Großen Lauschangriff“ eine automatisierte Dauerüberwachung ermöglicht wird. Das Bundesverfassungsgericht fordert hier aber eine hinreichende Sicherung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – diese fehlt hier völlig. Auch die verfassungsrechtlich gebotenen Schutzregeln zugunsten von Berufsgeheimnisträgern wie Ärztinnen oder Rechtsanwälten fehlen im BayVSG für die meisten Überwachungsmaßnahmen. Teils unterscheiden sie unzulässig zwischen Strafverteidigern und sonstigen Rechtsanwälten und Rechtswanwältinnen.

Bei verdeckten Überwachungsmaßnahmen wie dem Einsatz von V-Leuten sieht das BayVSG keine Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle vor. Auch werden die von der geheimdienstlichen Überwachung betroffenen Personen nachträglich nicht ausreichend benachrichtigt, ihr eigener Auskunftsanspruch ist übermäßig stark beschränkt. Ohne Transparenz wird aber ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz unmöglich gemacht; damit können Grundrechte im Einzelfall nicht wirksam durchgesetzt werden. Viel zu weit geht schließlich die Befugnis des Bayerischen Verfassungsschutzes, erhobene Daten an in- und ausländische öffentliche Stellen oder an nicht-öffentliche Stellen weiterzugeben.

Konsequenzen des Verfahrens

Dieses Verfahren um das BayVSG hat aus Sicht der GFF Signalwirkung: Zum Schutz der Grundrechte gilt zu verhindern, dass sich die übrigen Verfassungsschutzämter ein Beispiel am „Vorreiter“ Bayern nehmen.

Auch über den geheimdienstlichen Bereich hinaus ist es der GFF wichtig, gegen verfassungsrechtlich zweifelhafte Freiheitseingriffe nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern vorzugehen.

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