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Gutachten Wissenschaft Hörsaal von jarmoluk, lizensiert unter Pixabay License
Demokratie und Grundrechte
Art. 5

Gutachten Wissenschafts­freiheit

Wie eng dürfen Hochschulen mit der Industrie kooperieren, ohne die Wissenschaftsfreiheit zu gefährden? Unser Gutachten untersucht dies anhand einer Fallstudie.

Die Kooperationsvereinbarungen der Universität Mainz mit der Boehringer Ingelheim Stiftung aus den Jahren 2009 und 2012 haben das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit verletzt. Die Hochschule hätte sich nicht auf die entsprechenden Kooperationsvereinbarungen einlassen dürfen. Vereinbarungen im untersuchten Fall sowie in vergleichbaren Fällen unterliegen der Informationsfreiheit.

Malte Spitz

Generalsekretär

"Sowohl die Öffentlichkeit als auch Journalist*innen und Mitarbeiter*innen haben ein Recht darauf, Einzelheiten von Kooperationsvereinbarungen zu erfahren, um eine Nachprüfung zu erleichtern und mögliche Interessenkonflikte transparent zu machen."

Zu diesem Ergebnis kommt das aktuelle Gutachten „Universitäre Industriekooperation, Informationszugang und Freiheit der Wissenschaft“ (E-Book), das Prof. Dr. Klaus F. Gärditz, Lehrstuhlinhaber Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Auftrag der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstellt hat.

Die Ergebnisse der Studie im Kurzüberblick:

Freie Wissenschaft lässt sich nicht outsourcen

Die Fallstudie zeigt deutlich, dass Kooperationsvereinbarungen einer Universität mit privaten Fördergebern in das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) eingreifen, wenn dem privaten Kooperationspartner realer Einfluss auf wissenschaftliche Tätigkeiten an einer universitären Forschungseinrichtung eingeräumt wird.

Dies ist schon dann der Fall, wenn eine konkrete Gefährdung besteht, dass der Kooperationspartner seinen vertraglichen Einfluss zur Steuerung der Wissenschaft nutzen könnte. Beispielsweise greifen Einflussrechte privater Geldgeber auf die Beschäftigungsbedingungen des wissenschaftlichen Personals, auf die Finanzsteuerung oder auf wissenschaftliche Veröffentlichungen durch Zustimmungsvorbehalte in die Wissenschaftsfreiheit ein. Solche weitreichenden Eingriffe können nicht gerechtfertigt werden. Namentlich die ebenfalls von der Wissenschaftsfreiheit geschützte Autonomie der Hochschule, Forschungskooperationen mit Privaten einzugehen, erlaubt es nicht, in die Wissenschaftsfreiheit der eigenen Beschäftigten einzugreifen.

Gute wissenschaftliche Praxis ist Dienstpflicht

Auf die Einhaltung von Standards guter wissenschaftlicher Praxis, die auch eine hinreichende Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung von den Interessen des Geldgebers einschließt, kann nicht verzichten werden. Wer sich in Abhängigkeit von privaten Fördermitteln begibt und im Rahmen akademischer Dienstaufgaben interessengeleitet bzw. ergebnisorientiert forscht, verletzt Dienstpflichten.

Staat und Hochschule haben durch geeignete organisatorische, verfahrensrechtliche und materielle Regelungen sicherzustellen, dass unverzichtbare Mindestanforderungen an eine Wissenschaft, die auf Erkenntnis von Wahrheit gerichtet ist, nicht preisgegeben werden. Eine staatliche Hochschule darf daher keine Strukturen fördern, unter denen interessengeleiteten Dritten die Macht eingeräumt wird, Berufungspolitik, Forschungsschwerpunkte oder Publikationspraktiken zu kontrollieren oder mitzubestimmen.

Schutzverantwortung staatlicher Hochschulen

Die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält nicht nur ein individuelles Abwehrrecht, sondern zugleich eine positive Schutzverantwortung staatlicher Hochschulen, Vorkehrungen zu treffen, dass in der Hochschule freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet nach ihren „Eigengesetzlichkeiten“ betrieben werden kann. Die Forschung ist gegen eine Vereinnahmung durch Drittinteressen zu schützen, die Neutralität, Distanz und Fachlichkeit der Forschung beeinträchtigt. Eine Hochschule, die mit Privaten kooperiert, trägt eine qualifizierte Verantwortung, diese Prinzipien gegenüber ihrem Personal sowie gerade auch zum Schutz des im Rahmen einer Kooperation tätigen wissenschaftlichen Nachwuchses (Promovierende, Habilitierende) sicherzustellen.

Wissenschaftsrelevante Kooperationsentscheidungen müssen einer hinreichenden Kontrolle durch Hochschulkollegialorgane unterliegen, die von den Hochschulmitgliedern durch Wahl legitimiert werden. Durch eine binnenpluralistische Zusammensetzung muss hinreichende Gewähr gegen wissenschaftsinadäquate Entscheidungen geboten sein. Werden Forschungseinrichtungen rechtlich verselbstständig, muss eine wirksame Kontrolle durch die Hochschulorgane sichergestellt sein. Insbesondere Berufungsentscheidungen müssen autonom von den Hochschulorganen mit einer strukturellen Mehrheit der Hochschullehrenden verantwortet werden. Ein Outsourcing oder die Einräumung von Vetorechten an private Förderer ist unzulässig.

Eine staatliche Hochschule darf keine Strukturen fördern, unter denen interessengeleiteten Dritten die Macht eingeräumt wird, Berufungspolitik, Forschungsschwerpunkte oder Publikationspraktiken zu kontrollieren. Unverzichtbare Mindestanforderungen an eine Wissenschaft, die auf Erkenntnis von Wahrheit gerichtet ist, dürfen nicht zugunsten wirtschaftlicher Interessen preisgegeben werden.
Prof. Dr. Klaus F. Gärditz, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn über die Universität Mainz im Umgang mit Beschäftigten.

Wo freie Wissenschaft drauf steht, muss auch freie Wissenschaft drin sein

Staatliche Hochschulen dürfen das ‚Gütesiegel‘ freier Wissenschaft nicht Kooperationen zur Verfügung stellen, die die damit einhergehenden Anforderungen an eine freie – unabhängige, nicht interessengeleitete und verlässliche – Forschung und Lehre nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterlaufen und damit zugleich die Erwartungen enttäuschen, die einer unabhängigen Wissenschaft zu recht entgegengebracht werden.

Informationsfreiheit als Instrument der Öffentlichkeitskontrolle dient wissenschaftlicher Lauterkeit

Die allgemeinen Informationsfreiheitsansprüche vermitteln Jedermann-Rechte auf Informationszugang, die im Lichte der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) und des objektiven Schutzauftrags für eine freie und unabhängige Wissenschaft (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) auszulegen sind. Information kann hier wissenschaftsadäquate Transparenz herstellen und versteckten Abhängigkeiten entgegenwirken.

Kommerzielle Interessen im Rahmen eines Forschungsprojektes, das im Rahmen einer Industriekooperation durchgeführt wird, kann nämlich Forschung anfällig dafür machen, die Neutralitäts- und Distanzerwartungen an eine unabhängige Wissenschaft zu unterlaufen. Daher bedarf es als Gegengewicht in besonderem Maße der Transparenz der Kooperationsbedingungen, auch, um der Öffentlichkeit eine gezielte kritische Nachprüfung zu erleichtern und mögliche Interessenkonflikte transparent zu halten. Insoweit gefährdet die Informationsfreiheit nicht freie Wissenschaft, sondern schützt – im Gegenteil – die Lauterkeit wissenschaftlicher Forschung im Interesse aller, die unabhängige Wissenschaft entweder selbst betreiben oder sich auf deren Ergebnisse verlassen müssen.

Die formalen Rahmenbedingungen von Forschungskooperationen unterliegen daher grundsätzlich der Informationspflicht und genießen keinen Geheimnisschutz. Private Kooperationspartner lassen sich auf die öffentlich-rechtlichen Sonderbindungen ein, denen eine staatliche Hochschule unterliegt und müssen daher diese notwendige Transparenz akzeptieren. Etwaige unternehmerische Vertraulichkeitsinteressen treten daher im Falle einer Forschungskooperation mit einer staatlichen Hochschule hinter die objektiv-grundrechtlichen Transparenzanforderungen in der Regel zurück. Dies gilt erst recht bei presserechtlich Auskunftsansprüchen von Journalistinnen und Journalisten.

Hochschulorgane und Hochschulbeschäftigte haben ein Recht auf Information über die Kooperationsbedingungen

Um die zuständigen Hochschulkollegialorgane (Fakultäts-/Fachbereichsräte, Senat) in die Lage zu versetzen, ihre verfassungsrechtlichen Kontrollaufgaben angemessen zu erfüllen, steht deren Mitgliedern die Kompetenz zu, vom Präsidium/Rektorat Einsicht in die wesentlichen Unterlagen über eine Kooperation mit Privaten zu verlangen.

Von einer Kooperation unmittelbar betroffene Beschäftigte einer Hochschule haben kraft der Fürsorgepflicht des Dienstherrn/Arbeitgebers ein Recht, über die ihre Tätigkeit in Forschung und Lehre betreffenden wesentlichen Koordinaten einer Kooperation informiert zu werden.

Nützlichkeitsorientierte Wissenschaftspolitik überdenken

Abhängigkeiten der Hochschulen von privaten Finanzierungsquellen und die damit einhergehenden Risiken für eine freie und unabhängige Wissenschaft sind auch Folge einer verfehlten Wissenschaftspolitik. Diese hat nicht nur die Grundfinanzierung ausgetrocknet und damit den Wettbewerb um Drittmittel verschärft. Dominant ist seit geraumer Zeit auch eine Wissenschaftspolitik, die den Wert von Forschung und Lehre vornehmlich an (vermeintlicher) gesellschaftlicher Nützlichkeit misst.

Wer den Hauptzweck von Forschung und Lehre darin sieht, gesellschaftlich oder kommerziell verwertbare Ergebnisse zu produzieren, treibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Abhängigkeiten, die mittelfristig gerade diejenigen Leistungen untergraben, die eine staatlich finanzierte Wissenschaft erbringen kann: durch neutrale, unabhängige und nicht interessengeleitete Erkenntnis die Verlässlichkeit des verfügbaren Wissens zu sichern und der Gesellschaft als kritische Gegenöffentlichkeit zu dienen.

Die Erstellung des Gutachtens wurde durch die MONNETA gGmbH finanziell unterstützt.

Das vollständige Gutachten können Sie hier oder unter "Publikationen" herunterladen .

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