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Marie Munk Initiative Hate Speech Photo by Firmbee.com on Unsplash
Demokratie und Grundrechte
Art. 1

Die Marie-Munk-Initiative

Im Mai 2023 haben wir einen Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz veröffentlicht.

Digitale Gewalt bringt nicht nur großes Leid für die betroffenen Personen – sie ist auch eine Gefahr für unsere Demokratie. Eine lebendige Demokratie braucht Kommunikationsräume, in denen Menschen ihre Meinung (angst-)frei äußern können. Sonst verschwinden relevante Meinungen aus dem Netz – die Meinungsvielfalt, die den digitalen Raum ausmacht, ist in Gefahr. Gemeinsam mit der Alfred Landecker Foundation haben wir die Marie-Munk-Initiative ins Leben gerufen – ein Projekt, das Grundrechte im digitalen Raum verteidigt. Botschafter des Projektes ist der Pianist Igor Levit. Die Initiative ist benannt nach der gleichnamigen Berliner Juristin, die 1930 als eine der ersten Frauen in Deutschland Richterin wurde.

Ziel der Marie-Munk-Initiative ist es, den rechtlichen Schutz vor digitaler Gewalt zu verbessern. Dafür hat die GFF einen Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz vorgelegt. Kernpunkt ist die Schaffung einer Rechtsgrundlage für die gerichtliche Sperrung von Accounts, die bestimmte rechtsverletzende, häufig strafrechtlich verbotene Inhalte verbreiten. Anders als bisher sollen Gerichte Accounts sperren können, ohne die Person dahinter identifizieren zu müssen. Diese Strategie kommt ganz ohne Klarnamenpflicht und Datenspeicherung aus und hat zum Ziel auch die Grundrechte der Nutzer*innen zu bewahren. Das Digitale Gewaltschutzgesetz soll der neuen Bundesregierung als Blaupause dienen – und die Verantwortung weg von privaten Unternehmen zurück zum Rechtsstaat führen. Neben Accountsperren fordert die Marie-Munk-Initiative den Aus- und Aufbau von Beratungs- und Hilfsangeboten für Menschen, die von digitaler Gewalt betroffen sind.

Kantar Studie zu Digitaler Gewalt zeigt: Wir müssen jetzt handeln

Wie dringend das Thema digitaler Gewaltschutz angegangen werden muss, zeigt eine von der GFF 2021 in Auftrag gegebene, mit 1000 repräsentativ ausgewählten Befragten durchgeführte Studie: 67 Prozent der Befragten gaben an, im Netz bereits Hass und Hetze erlebt zu haben. Jede*r Fünfte wurde bereits im Internet beleidigt, bei jungen Frauen war sogar jede Vierte von digitaler Gewalt betroffen. Darüber hinaus hat jede dritte junge Frau Angst davor, dass im Netz intime Bilder von ihr veröffentlicht werden.

Der Bedarf an effektiven Maßnahmen und Strategien ist da – und damit auch ein Auftrag für die Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag ein Gesetz gegen digitale Gewalt angekündigt hat. Unsere Studie zeigt aber auch: Nur wenige der Befragten haben Vertrauen in die Parteien, wenn es darum geht effektive und konsequente Maßnahmen für den Umgang mit digitaler Gewalt zu entwickeln. Mit 13 Prozent trauen die Befragten das der SPD noch am ehesten zu, der Rest der Parteien schafft es nicht über einen einstelligen Wert hinaus.

Die Studie Digitaler Gewaltschutz, durchgeführt von Kantar Public (2021), finden Sie hier:

Social Media Plattformen kommen ihrer Verantwortung nicht nach

Social-Media-Plattformen tragen die Verantwortung dafür, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Die Vergangenheit zeigt aber, dass sie bei digitaler Gewalt nicht konsequent genug durchgreifen. Diese Meinung herrscht auch in der Bevölkerung, wie unsere Studie zeigt: Mehr als 60 Prozent der Befragten sagen, dass die Plattformen nicht ausreichend gegen Hass vorgehen, um Nutzer*innen zu schützen: Insbesondere Twitter (82 Prozent) und Instagram (74 Prozent) schnitten hier schlecht ab – und sind gleichzeitig die Orte, wo insbesondere Frauen digitale Gewalterfahrungen machen. Gleichzeitig zeigt unsere Studie, dass die Befragten sich eine Verlagerung der Verantwortlichkeit wünschen. Mehr als 70 Prozent sind dafür, dass nicht die Plattformen, sondern Gerichte über die Sperrung von Accounts entscheiden sollten. Fast 90 Prozent stimmen außerdem zu, dass Gerichte die Möglichkeit haben sollten, im Falle von Rechtsverstößen einzelne Social-Media-Konten zu sperren –ohne die dahinterstehende Person identifizieren zu müssen. Wichtig ist: Ein Strafverfahren gegen die verantwortlichen Personen können die zuständigen Behörden unabhängig davon aufnehmen. Die Marie-Munk-Initiative zielt darauf ab, dass den Betroffenen selbst schnell geholfen wird.

Gutachten des Instituts für europäisches Medienrecht - Digitales Gewaltschutzgesetz mit Europarecht vereinbar

Der europarechtliche Weg ist frei für ein Digitales Gewaltschutzgesetz. Das belegt ein von der GFF beim Institut für Europäisches Medienrecht (EMR) in Auftrag gegebenes Gutachten von Prof. Dr. Mark Cole und Dr. Jörg Ukrow, LL.M. Eur. Darin leuchten die Gutachter die Spielräume aus, die dem nationalen Gesetzgeber nach dem Digital Services Act (DSA) der EU verbleiben. Der DSA erlaubt es den Mitgliedstaaten, die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Online-Plattformen auszugestalten, und setzt ihnen dafür lediglich einen „formalen Rahmen“. Insbesondere steht das Unionsrecht einem Vorhaben des nationalen Gesetzgebers nicht entgegen, richterlich angeordnete Accountsperren zu ermöglichen. Solche neuen Maßnahmen lassen sich mit legitimen Allgemeinwohlinteressen rechtfertigen. Auch eine flankierende Regelung zu nationalen Zustellungsbevollmächtigten ist möglich. Eine solche Regelung würde sowohl Betroffenen von digitaler Gewalt helfen wie auch Nutzer*innen, die von willkürlichen Moderationsentscheidungen der Plattformen betroffen sind. Die GFF veröffentlicht zeitgleich ein Positionspapier, in dem sie auf Basis der Ergebnisse des Gutachtens Forderungen an den Gesetzgeber formuliert. Das Gutachten des EMR und das Positionspapier der GFF finden Sie hier:

Das Digitale Gewaltschutzgesetz der GFF

Im Mai 2023 haben wir unseren Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz vorgelegt. Es braucht:

  1. zukunftsoffene Anspruchsgrundlagen, die die Probleme gezielt adressieren,
  2. vereinfachte Verfahren, in denen Gerichte rechtsstaatlich effektiv entscheiden, und
  3. die Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, Betroffene in den Verfahren zu unterstützen oder auch Verfahren eigeninitiativ zu führen.

Kernstück des Entwurfs ist eine Rechtsgrundlage, die Richter*innen ermächtigt, die erforderlichen und im Einzelfall verhältnismäßigen Maßnahmen zu treffen, um digitale Gewalt zu beenden und weitere Verletzungen abzuwenden. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere zeitweilige oder auch dauerhafte Accountsperren. Das ist gerade für die Fälle nötig, in denen die Plattformen aufgrund ihrer Nutzungsbedingungen Accounts nicht sperren, obwohl deren Handlungen gegen nationales Recht verstoßen, und/oder in denen sie die eigenen (wirtschaftlichen) Interessen über die Grundrechte der Betroffenen stellen.

Neben Betroffenen selbst können nach dem Entwurf auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die Betroffene beraten und digitale Gewalt bekämpfen, entsprechende Anträge bei Gericht stellen und die Verfahren für die Betroffenen, aber auch im eigenen Namen führen.

Uns ist wichtig, dass diese Schutzmaßnahmen wie Accountsperren ohne eine Identifizierung der Accountinhaber*innen auskommen, wie sie für Ansprüche gegen die einzelnen Verletzer*innen notwendig ist. So beenden wir schnell digitale Gewalt statt wertvolle Zeit zu verlieren, um die Identität von Verantwortlichen festzustellen. Es braucht also weder eine Klarnamenpflicht für die Nutzung sozialer Netzwerke noch übertriebene Auskunftspflichten, die schnell die Anonymität im Internet untergraben und häufig mit dem Ruf nach neuen Speicherpflichten einhergehen. Der wichtige Kampf gegen digitale Gewalt wird sonst schnell zur Hintertür für eine neue Debatte um die Vorratsdatenspeicherung.

Unseren Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz und FAQ dazu finden Sie hier:

ECKPUNKTE FÜR EIN DIGITALES GEWALTSCHUTZGESETZ

Die Eckpunkte für ein Digitales Gewaltschutzgesetz, die das Bundesjustizministerium im April vorgelegt hat, setzen aus unserer Sicht einen unnötigen Fokus auf erweiterte Auskunftsansprüche. Es geht also vorrangig darum, die Identität einzelner Verletzer*innen aufzudecken. Das ermöglicht zwar die Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen wie dem auf Unterlassung und Schadensersatz gegen diese Personen – trotzdem werden diese Verfahren immer länger dauern und keinen schnellen Schutz für Betroffene bieten. Die Möglichkeit von Accountsperren, die das Ministerium erfreulicherweise auch einräumt, ist wiederum viel zu eng gefasst. Gravierende Tatbestände digitaler Gewalt wie Volksverhetzung fallen aus dem Anwendungsbereich heraus, weil keine einzelne Person betroffen ist.

Unsere Kommentierung und Stellungnahme zu den Eckpunkten der Bundesregierung finden Sie hier:

Ausbau der Beratungsstrukturen zum Schutz vor digitaler Gewalt

Ein weiteres zentrales Anliegen der Marie-Munk-Initiative ist der Auf- und Ausbau von Beratungsstrukturen für Betroffene digitaler Gewalt. Dieses Vorhaben wurde auch im Koalitionsvertrag als Baustein des Gesetzes gegen digitale Gewalt angekündigt, findet sich in den Eckpunkten des BMJ aber bislang gar nicht wieder. Die Stärkung von Beratungsangeboten ist nicht nur für Betroffene relevant. Sie ist auch wichtig, damit Beratungsstrukturen Betroffene in Verfahren unterstützen oder auch eigeninitiativ führen können, wie in unserem Gesetzentwurf vorgesehen. Um den Ausbau der Beratungsstrukturen für Betroffene digitaler Gewalt möglichst umfassend und frühzeitig zu realisieren, haben wir uns – gemeinsam mit unseren Partner-Organisationen aus dem Bündnis F5 (Algorithmwatch, Gesellschaft für Freiheitsrechte, Open Knowledge Foundation Deutschland, Reporter ohne Grenzen, Wikimedia Deutschland) – in das aktuell laufende Gesetzgebungsverfahren zum sog. Demokratiefördergesetz (Gesetz zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung Extremismusprävention und politischen Bildung) eingebracht. Wir haben bislang zwei Stellungnahmen bei den zuständigen Ministerien eingereicht. Darin fordern wir u.a., den Einsatz gegen digitale Gewalt und entsprechende Beratungsangebote für betroffene Personen als eigenständigen förderungswürdigen Gegenstand in das Gesetz aufzunehmen. Auch personenbezogene digitale Gewalt hat unmittelbare Auswirkungen auf die demokratische Teilhabe. Hassrede, Desinformation und digitale Gewalt sind Gefahren für unsere Grundrechte. Ein Demokratiefördergesetz muss daher die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements in diesen Bereichen und die Förderung von Beratungsangeboten gemeinsam adressieren.

Unsere Stellungnahmen zum Demokratiefördergesetz finden Sie hier:

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