Pressefreiheit Studie
Eine finanziell kriselnde Presselandschaft steht einer erstarkenden Gruppe von Medienanwält*innen gegenüber. Unsere Studie untersucht mögliche Auswirkungen auf die Pressefreiheit.
Eine von der GFF gemeinsam mit der Otto Brenner Stiftung veröffentlichte Studie untersucht präventive Anwaltsstrategien gegenüber Medien. Die Studie „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie!“ (PDF) wurde von Dr. Tobias Gostomzyk, TU Dortmund, und Daniel Moßbrucker, Doktorand und freier Journalist, verfasst. Für die multiperspektivische Studie wurden unter anderem über 40 Journalist*innen, 20 führende Presserechtler*innen, Justitiare von über 20 Medienunternehmen sowie zahlreiche Fachanwält*innen für Urheber- und Medienrecht befragt.
Die Ergebnisse der Studie im Kurzüberblick:
Präventive Anwaltsstrategien
Das Presserecht ist im Wesentlichen repressiv konzipiert: gegen eine Berichterstattung kann erst im Nachhinein vorgegangen werden. Trotzdem versuchen Anwält*innen immer häufiger mit präventiven Maßnahmen bevorstehende Berichterstattung zu verhindern oder inhaltlich zu beeinflussen. Das liegt einerseits daran, dass die zunehmend digitalisierten Medieninhalte online schnell verbreitet werden und im Nachhinein nur schwer einzufangen sind. Zudem gibt es wirtschaftliche Gründe, denn Presserechtsanwält*innen erschließen mit präventiven Instrumenten einen neuen Markt für presserechtliche Beratung.
Präventive Instrumente können dabei in „harte“ und „weiche“ Maßnahmen eingeteilt werden. Unter erstere fallen presserechtliche Informationsschreiben, die vor der Übernahme einer Berichterstattung aus anderen Medien warnen. Solche Schreiben werden vor allem gegenüber Boulevard-Medien eingesetzt. Auch Warnschreiben werden eingesetzt, um Journalist*innen erstmalig vor einer noch bevorstehenden Berichterstattung zu warnen. Im investigativen Bereich setzen Anwält*innen dagegen eher auf kommunikativ-kooperative Maßnahmen. Hier werden beispielsweise alternative Informationen zum Tausch angeboten oder Geschichten mit einem anderen, für die Betroffenen positiveren Spin an andere Medien weitergegeben.
Journalistischer Umgang mit präventiven Anwaltsstrategien
Für Redaktionen ist es längst Alltag, vor und nach Veröffentlichung mit Presserechtsanwält*innen in Kontakt zu kommen. Informations- und Warnschreiben bleiben insbesondere gegenüber investigativ arbeitenden Journalist*innen in vielen Fällen wirkungslos oder führen zu einer intensiveren Recherche und juristischen Absicherung. Dies hat die Rolle von Hausanwält*innen innerhalb der Medien gestärkt. Die Studie zeigt, dass investigativ recherchierende Journalist*innen eher bereit sind, inhaltliche Änderungen vorzunehmen, wenn Betroffene das Gespräch suchen, also kommunikativ-kooperative Maßnahmen gewählt werden.
Zudem sind Medien eher gewillt als früher, eine Unterlassungserklärung abzugeben und den Artikel zu korrigieren oder aus dem Netz zu nehmen, insbesondere wenn die Gegenseite auf die Kostenerstattung verzichtet.
Fehlende Streitlust gefährdet Pressefreiheit
Während anwaltliche Informations- und Warnschreiben nicht zwangsläufig zur Einschüchterung einzelner Journalist*innen führen, sind die dahinter stehenden Verlage heute tendenziell seltener bereit, Streitfälle vor Gericht auszufechten. Die Korrektur oder Entfernung eines Online-Artikels nach Erhalt einer Abmahnung ist ebenso üblich wie die schnelle Einigung vor Gericht.
Dies mag angesichts der ökonomischen Situation vieler Presseverlage im Einzelfall sinnvoll erscheinen, langfristig ist dies jedoch für die Pressefreiheit eine bedenkliche Entwicklung. Wenn Medien in Grenzfällen nicht für ihre Rechtsposition streiten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nach und nach die Betroffenenrechte gegenüber der Meinungs- und Pressefreiheit einseitig gestärkt werden.
Lösungsansatz: Selbstverpflichtung von Medien
Die Autoren sprechen Handlungsempfehlungen aus, wie mit dem juristischen Druck wirksam umgegangen werden kann. Dazu gehören eine Selbstverpflichtung insbesondere öffentlich-rechtlicher Auftraggeber*innen, das Kostenrisiko von Rechtsstreitigkeiten gerade für investigativ arbeitende Journalist*innen zu übernehmen. Auch raten die Autoren zu einer verbesserten journalistischen Aus- und Weiterbildung im Umgang mit neuen Anwaltsstrategien.
Um dem Problem der mangelnden Rechtspflege zu begegnen, empfehlen die Autoren eine Selbstverpflichtung der Medien: Rechtskonflikte von grundsätzlicher Bedeutung sollten an ein Gremium gemeldet werden, welches Einzelfälle dann auf ihre Bedeutung für die Fortschreibung der Meinungs- und Pressefreiheit hin prüft. So könnten Musterfälle identifiziert und gegebenenfalls eine rechtsberatende sowie finanzielle Unterstützung gewährt werden, sodass diese höchstrichterlich geklärt würden. Für die Kostenübernahme ließe sich beispielsweise ein Fond gründen. Der Weg einer schnellen und kostengünstigen Einigung in Fällen von nicht grundsätzlicher Bedeutung bliebe daneben bestehen.
Wir bedanken uns bei der Otto Brenner Stiftung für die Zusammenarbeit und Förderung dieser Studie.
Die vollständige Studie finden Sie am Ende dieser Seite unter Publikationen.