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Meinungsfreiheit in Sozialen Netzwerken Apps von LoboStudioHamburg, lizensiert unter Pixabay License
Demokratie und Grundrechte
Art. 5

Meinungsfreiheit in Sozialen Netzwerken

Ein Geflüchteter wurde verurteilt, weil er einen legal erschienenen Artikel auf seinem Facebook-Profil teilte. Wir gehen mit ihm in Revision.

Die GFF unterstützt einen Mann, der verurteilt wurde, weil er einen Artikel der Deutschen Welle auf seinem Facebook-Profil verlinkte. Auf einem Foto in dem Beitrag waren Kämpfer des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) mit den verbotenen Symbolen der Organisation zu erkennen. Das Amtsgericht Augsburg sah darin die Verbreitung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins und verhängte eine Geldstrafe. Das Urteil verletzt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und führt zu Rechtsunsicherheit beim Austausch in Sozialen Netzwerken. Diese Rechtsauffassung bestätigte auch das Bayerische Oberste Landesgericht und hob das Urteil mit Beschluss von Februar 2020 auf.

Die Deutsche Welle ist der Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland und berichtet in 30 Sprachen über Ereignisse in Deutschland und weltweit. In einem Artikel vom 28. Februar 2018 stellte der Sender seine Recherchen zu Waffengeschäften des IS vor. Der Beitrag mit dem deutschen Titel „Die Waffen des IS“ ist daher mit einem Foto von bewaffneten IS-Kämpfern bebildert, von denen einige die verbotenen Symbole der Organisation tragen.

Legaler Artikel – illegale Verlinkung?

Das Verbreiten der Symbole verbotener Organisationen ist nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 Vereinsgesetz verboten. Damit soll verhindert werden, dass die Symbole zu Propagandazwecken verbreitet oder verharmlost werden können. Presseerzeugnisse werden nach § 9 Abs. 1 S. 2 Vereinsgesetz von dem Verbot ausgenommen, weil sie das sozial gewünschte Ziel der „staatsbürgerlichen Aufklärung“ verfolgen: Sie vermitteln Wissen und regen damit zur politischen Willensbildung an. Obwohl der IS und dessen Symbole in Deutschland seit 2014 verboten sind, konnte das Foto daher völlig legal auf der Website der Deutschen Welle gezeigt werden.

Anders sah es das Amtsgericht Augsburg, was Mokhmad A. angeht. Er verlinkte die russischsprachige Version des Artikels auf der öffentlich einsehbaren Chronik seines Facebook-Profils. Dort wurden das Beitragsbild sowie die ersten Zeilen des Artikels angezeigt. Das Gericht sah darin die Verbreitung von Kennzeichen eines verbotenen Vereins. In der gleichen Entscheidung verurteilte es ihn in einem weiteren Punkt. Es betrachtet ein auf dem Profil geteiltes Video als rechtswidrige Gewaltdarstellung. Das Video zeigt, wie ein Kind von Hunden gebissen wird, die von israelischen Soldat*innen animiert werden. Es war international Gegenstand politischer Diskussionen. Insgesamt verurteilte das Amtsgericht Mokhmad A. zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen.

Missachtung der Meinungsfreiheit

Nachdem Mokhmad A. mit Unterstützung der GFF Revision eingelgt hatte, hob das Bayerische Oberste Landesgericht mit am 18. Februar 2020 zugestellten Beschluss das erstinstanzliche Urteil auf und verwies den Fall an das Amtsgericht Augsburg zurück. Das Amtsgericht muss nun erneut entscheiden. Es kann das Verfahren einstellen, auch eine neuerliche Verurteilung des Angeklagten ist möglich. Dafür müsste sich das Gericht diesmal aber differenzierter mit der Meinungsäußerung des Angeklagten auseinandersetzen. Verurteilt werden darf der Mann nur, wenn das Gericht zweifelsfrei zu dem Schluss kommt, dass er den DW-Artikel nicht geteilt hat, um sich mit dessen Inhalten auseinander zu setzen – sondern etwa, um Propaganda für den IS zu machen.

Das Amtsgericht hatte bei der ersten Verurteilung von Mokhmad A. die Reichweite und Bedeutung von dessen Meinungsfreiheit verkannt. Die Weiterverbreitung eines legalen Presseberichts darf nicht strafbar sein, selbst wenn er verbotene Symbole beinhaltet. Denn eine Auseinandersetzung mit Presseberichterstattung ist Teil des politischen Diskurses. Hierfür bedarf es Rechtssicherheit. Einschränkungen der Meinungsfreiheit wie etwa das Verbot, die Symbole verbotener Organisationen zu verbreiten, müssen gut begründet sein und engen rechtsstaatlichen Schranken unterliegen. In diesem Fall wurde das Verbot über den verfassungsmäßigen Rahmen hinaus angewandt.

Die GFF unterstützt Mokhmad A., um klarzustellen, dass das Teilen und Diskutieren legaler Presseberichte in Sozialen Netzwerken von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Mokhmad A. wird im Verfahren von der Berliner Rechtsanwältin Johanna Künne vertreten. Wir danken Justus Dill, Jurist und Doktorand, für die inhaltliche Unterstützung in diesem Fall. Die Revision vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht war im Februar 2020 erfolgreich: das Gericht hob das Urteil vom September 2019 auf und verwies den Fall zurück an das Amtsgericht Augsburg. Dieses muss nun erneut entscheiden.

  • Das Aktenzeichen des Verfahrens vor dem Amtsgericht Augsburg ist 11 Cs 101 Js 112076/18 (2). Das Aktenzeichen des Verfahrens vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht ist Az 207 StRR 8/20.
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