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Relevante Person Überwachung Photo by ChristianLue on Unsplash
Freiheit im digitalen Zeitalter
Art. 2, 10, 8

Überwachung und Abschreckung von Aktivist*innen

Die GFF unterstütze die Umweltaktivistin Cécile Lecomte dabei, unverhältnismäßige Überwachungsmaßnahmen gegen sie abzuwehren. Zuletzt erklärte das Verwaltungsgericht Hannover am 6. September 2023 die Fahndungsausschreibung gegen die friedliche Aktivistin für rechtswidrig.

Die Umweltaktivistin Cécile Lecomte wurde in der polizeilichen Datenbank INPOL im Laufe der letzten Jahre zunächst als „relevante Person“ geführt und später zur präventivpolizeilichen Fahndung ausgeschrieben. Sowohl die Einstufung als „relevante Person“ als auch die Fahndungsausschreibung ermöglichen umfangreiche polizeiliche Überwachungsmaßnahmen. Diese Maßnahmen führten zu unzähligen Polizeikontrollen und griffen tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein. Gemeinsam mit Cécile Lecomte und Rechtsanwältin Anna Luczak konnte die GFF einen gerichtlichen Erfolg gegen die Fahndungsausschreibung erreichen. Das Verwaltungsgericht Hannover erklärte am 6. September 2023 gleich zwei bundespolizeiliche Maßnahmen für rechtswidrig.

Bijan Moini

Bijan Moini

Legal Director und Syndikus

„Friedliche Aktivist*innen in der polizeilichen Datenbank INPOL zu erfassen und zu überwachen, ist absolut unverhältnismäßig. Die Polizei darf ihre Befugnisse nicht dazu missbrauchen, Aktivist*innen von ihrem Engagement abzuhalten und sie einzuschüchtern. Das verletzt Grundrechte.“

Fahndungsausschreibung als unverhältnismäßige Reaktion auf friedlichen Protest

Die Umweltaktivistin Cécile Lecomte ist durch spektakuläre Kletteraktionen bekannt geworden, weshalb sie den Spitznamen „das Eichhörnchen“ trägt. Sie engagiert sich auf ihrem Blog und in friedlichen Aktionen gegen Atomkraft, fossile Energien und Gentechnik. Obwohl die Protestaktionen stets friedlich und nicht strafbar waren, schrieb die Bundespolizeidirektion Hannover die Kletteraktivistin zur Fahndung aus. Von Januar 2020 an wurde die Ausschreibung für zwei Jahre im polizeilichen Verbundsystem INPOL festgehalten.

Durch die Fahndungsausschreibung entstand ein umfassender detaillierter Datensatz über das politische Engagement der Aktivistin. Alle Sicherheitsbehörden, die an INPOL angebunden sind, lieferten dafür Informationen zu. Wenn die Personalien von Cécile Lecomte im Rahmen einer Protestaktion festgestellt wurden, wanderten diese Feststellung und die dazugehörigen Begleitumstände in das System. Ein Sondervermerk in INPOL gab den Beamt*innen diesen konkreten Arbeitsauftrag. Dokumentiert werden sollten Zeit der Kontrolle, Ort, Situation und Begleitpersonen.

Am 06. September 2023 erklärte das Verwaltungsgericht Hannover die Ausschreibung zur Fahndung für rechtswidrig. Das Gericht führte aus, dass die bundespolizeiliche Maßnahme der Fahndungsausschreibung den zulässigen rechtlichen Rahmen überschritt. Durch die Fahndungsausschreibung ein Aktions- und Bewegungsprofil der Aktivistin Lecomte zu erstellen und zu speichern, war rechtswidrig. Die Ausschreibung darf die Beamt*innen lediglich sensibilisieren, die eine Kontrolle durchführen und nicht zur umfangreichen Datenerfassung auffordern. Mit dem gleichen Urteil erklärte das Gericht auch noch eine zweiwöchige Observation der Aktivistin für rechtswidrig. Zu keinem Moment sei von ihr eine hierfür notwendige konkrete Gefahr ausgegangen – auch war eine solche Gefahr nie zu befürchten. Das Gericht führte aus, dass es die Rechtsgrundlage für die Observation für verfassungswidrig halte.

Einstufung als „relevante Person“ durch die Polizei

Lecomte erfuhr 2015 vom Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA) im Zuge eines anderen Klageverfahrens von ihrer Einstufung als sogenannte „relevante Person“. Nach einer Überprüfung stellte das LKA fest, dass wesentliche Voraussetzungen für diese Einstufung nicht mehr gegeben seien, und löschte den betreffenden Eintrag. Warum sie nach Ansicht des LKA überhaupt einmal die Voraussetzungen für diese Einstufung erfüllt haben sollte, erfuhr Lecomte nie. Mit unserer Klage konnten wir klären, dass zumindest keine Überwachungsmaßnahmen aufgrund der Einstufung erfolgt waren.

Die Einstufung als „relevante Person“ erfolgt nach einer Definition des Bundeskriminalamtes im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Danach ist eine Person „relevant“, wenn sie „innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt“ und objektive Hinweise „die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung (…) fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt.“ Diese Einstufung kann für die Polizei Anlass sein für verschiedene Formen verdeckter Überwachung. Dazu gehören die langfristige Observation, der Einsatz von Vertrauenspersonen oder die Ausschreibung zur Kontrollmeldung. Letzteres bedeutet, dass dem System automatisch gemeldet wird, wenn eine „relevante Person“ in eine polizeiliche Personenkontrolle gerät.

Verfahren im Kontext verschärfter Polizeigesetze

Die Verfahren von Cécile Lecomte belegen über den Einzelfall hinaus die drastischen Folgen der Verschärfung der Polizeigesetze in den letzten Jahren. Auch das niedersächsische Polizeigesetz wurde 2019 um Überwachungs- und Kontrollbefugnisse mit dem Einsatz von Präventivhaft und Staatstrojanern ausgeweitet.

Die neuen polizeilichen Befugnisse werden immer wieder dafür missbraucht, unerwünschten Aktivismus einzudämmen und Personen einzuschüchtern. Damit werden Grundrechte verletzt.

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