Das Ausländerzentralregister – Eine Datensammlung außer Kontrolle
Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine außer Kontrolle geratene Datensammlung, die Grundrechte und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz verletzt. Gemeinsam im Bündnis erhebt die GFF mit elf Geflüchteten Verfassungsbeschwerde gegen das novellierte AZR-Gesetz. Parallel unterstützt das Bündnis Klagen von zwei Geflüchteten gegen die Weitergabe ihrer Daten an Polizei und Geheimdienste.
Die Gesetzesnovelle ermöglicht, dass Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen im Ausländerzentralregister im Volltext gespeichert werden. Darin enthalten sind teils hochpersönliche Informationen zur Fluchtgeschichte, politischer Verfolgung, psychischer Gesundheit oder sexueller Orientierung. Auf diese Informationen haben sowohl Geheimdienste als auch Polizei uneingeschränkt Zugriff. Zusätzlich kann die Polizei Gruppenauskünfte durch das Ausländerzentralregister einholen, wobei das Register alle Personen mit den jeweils gesuchten Merkmalen ausgibt.
Mit etwa 26 Millionen personenbezogenen Datensätzen ist das Ausländerzentralregister eines der umfangreichsten automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung. Registriert wird jede Person, die ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland lebt. Auf das Ausländerzentralregister haben mehr als 16.000 öffentliche Stellen und Organisationen mit mehr als 150.000 Einzelnutzer*innen Zugriff, darunter neben den Ausländerbehörden auch Polizei- und Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendienste, Jobcenter, Jugendämter und Gerichte. Allein im Jahr 2020 führten Behörden im Schnitt etwa 260.000 Datenabfragen pro Arbeitstag im Ausländerzentralregister durch. Besonders betroffen sind Geflüchtete, von denen neben Grundpersonalien und aufenthaltsrechtlichen Angaben auch biometrische Daten sowie Angaben zu Gesundheit, Bildung und Familie gespeichert sind.
Das Ausländerzentralregister verletzt grundlegende verfassungsrechtliche und europarechtliche Datenschutzstandards. Und das bei einer besonders vulnerablen Personengruppe, die hier Schutz vor Krieg und Verfolgung sucht. Wir brauchen dringend eine Entscheidung aus Karlsruhe, die die grundrechtlichen Grenzen für die Speicherung von Daten geflüchteter Menschen klarzieht.
Die Verfassungsbeschwerde wurde von Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht und Informationsrecht mit dem Schwerpunkt Datenschutzrecht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, verfasst. Rechtsanwalt Matthias Lehnert vertritt die Kläger*innen vor dem Verwaltungsgericht.
GFF-Studie: Das Ausländerzentralregister – Eine Datensammlung außer Kontrolle
Die GFF-Studie „Das Ausländerzentralregister – Eine Datensammlung ausser Kontrolle“ zeigt, dass sich das Ausländerzentralregister in den letzten Jahren zu einem ausufernden und nahezu unkontrollierten Datenmonster entwickelt hat. Die Rechte der Betroffenen sind dabei auf der Strecke geblieben. Mechanismen zum Schutz besonders sensibler Daten existieren kaum. Das Missbrauchspotenzial ist enorm, wenn hunderttausende Behördenmitarbeiter*innen Zugriff auf so viele, teils hochsensible Daten haben. Nicht nur besteht die Gefahr, dass Behörden viel zu ausufernd vom Datenabruf Gebrauch machen. Im schlimmsten Fall können Daten wie Adresse, sexuelle Orientierung oder politische Überzeugung in die Hände von rassistisch motivierten Straftäter*innen oder Verfolgerstaaten gelangen und Betroffene so in Lebensgefahr bringen. Einblicke in die über sie gespeicherten Daten bekommen Betroffene nur sehr schwer: Bereits das Antragsverfahren ist mit hohen Hürden verbunden, die Antworten lassen sehr lange auf sich warten und der Umfang der Auskunft entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben.
GFF-Rechtsgutachten und Verfassungsbeschwerde: Ausländerzentralregistergesetz verletzt verfassungs- und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz
In einem im Januar 2022 für die GFF erarbeiteten Gutachten sowie in der im Oktober 2023 für die GFF eingereichten Verfassungsbeschwerde kommt Prof. Dr. Matthias Bäcker zum Ergebnis, dass weite Teile des Ausländerzentralregistergesetzes gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das Diskriminierungsverbot und europarechtliche Vorgaben zum Datenschutz verstoßen. Insbesondere ist die Datensammlung nicht auf ein erforderliches und verhältnismäßiges Maß beschränkt. Die Speicherung von Asylbescheiden im Volltext verletzt in besonders krasser Weise das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Entscheidungen im Wortlaut sind in aller Regel nicht erforderlich und enthalten regelmäßig Daten von hoher Sensibilität: Sie beschreiben die psychische Verfassung, die sexuelle Orientierung oder die weltanschaulichen und politischen Überzeugungen der betroffenen Person.
Auch der Grundsatz, dass Daten nur unter engen Voraussetzungen
zweckentfremdet werden dürfen, wird verletzt: Auf die Datensammlung
greifen staatliche Behörden nicht nur für die Migrationsverwaltung,
sondern auch für zahlreiche weitere Zwecke zu: Sicherheitsbehörden
nutzen sie für die Gefahrenabwehr, die Leistungsverwaltung zur Prüfung
von Ansprüchen. Der Datenaustausch mit den Sicherheitsbehörden bedeutet,
dass Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Geheimdienste auf
sämtliche Daten im Ausländerzentralregister zugreifen können. Einzige
Voraussetzung ist, dass der Datenzugriff zur Erfüllung ihrer Aufgaben
erforderlich ist. Der Datenabruf ist nicht auf besonders hochrangige
Rechtsgüter beschränkt, sondern kann auch zur Verfolgung oder Abwehr von
Bagatelldelikten erfolgen. Dafür muss die Polizei keinen konkreten
Ermittlungsansatz und keine konkrete Gefahr nachweisen. Es reichen also
vage Verdachtsmomente, um umfangreiche personenbezogene Daten über eine
Person und ihr familiäres und soziales Umfeld abzurufen.
Die Nutzung einer zentralen Datensammlung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung ist zudem eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Einen sachlichen Grund dafür gibt es nicht. Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenabwehr stehen – anders als die Migrationsverwaltung – nicht generell in einem Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit. Durch die weitgehenden Übermittlungsbefugnisse verstärkt der Gesetzgeber das weitverbreitete rassistische Vorurteil, wonach ein Zusammenhang zwischen Kriminalität und Herkunft besteht. Tatsächlich ist die Kriminalitätsrate – bei Deutschen und Ausländer*innen – eng verbunden mit wirtschaftlichen und sozialen Ausgangsbedingungen.
Kein Datenschutz und Grundrechtsschutz zweiter Klasse
Die Bundesregierung baut das Ausländerzentralregister weiterhin massiv aus und lässt dabei insbesondere gegenüber Geflüchteten die grundlegenden Anforderungen des Datenschutzes völlig außer Acht. Die nächste Registerausweitung steht bereits bevor, die die Bundesregierung beschließen will.
Der laxe Umgang mit Daten geflüchteter Menschen sowie das zunehmende Beschneiden ihrer Grundrechte, ist verfassungswidrig. Es darf in Deutschland keinen Datenschutz und keinen Grundrechtsschutz zweiter Klasse geben!