
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagt gemeinsam mit vier Geflüchteten gegen die Hausordnung der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg. Die in Baden-Württemberg landesweit geltende Hausordnung greift unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bewohner*innen ein.
- “Wir sind Menschen und sollten auch so behandelt werden.” Ein Gespräch mit drei Klägern.
Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, müssen viele Monate, teilweise sogar jahrelang in Erstaufnahmeeinrichtungen leben. Ein Mindestmaß an Privatsphäre ist deshalb unabdingbar. In Baden-Württemberg hat die Landesregierung für alle Einrichtungen eine einheitliche Hausordnung verabschiedet, die unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bewohner*innen eingreift. Die Bewohner*innen dürfen keinen Besuch empfangen. Sie erhalten keinen Schlüssel für ihr Zimmer und müssen ständig fürchten, dass andere Bewohner*innen ungefragt ihr Zimmer betreten.
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Der Sicherheitsdienst darf die Zimmer regelmäßig kontrollieren und auch gegen den Willen der Bewohner*innen betreten. Sie müssen es akzeptieren, dass der Sicherheitsdienst täglich Zimmer- und Taschenkontrollen durchführt. Selbst einfache Haushaltsgegenstände wie einen Gebetsteppich oder ein Glas Erdnussbutter dürfen sie nicht mit auf ihr Zimmer nehmen. Sie dürfen keinerlei Foto- oder Videoaufnahmen in ihrem Zimmer machen. Auf dem gesamten Gelände ist es ihnen verboten, sich politisch zu betätigen.
Vier Bewohner aus Ghana und Senegal haben mit Unterstützung der GFF, der Aktion Bleiberecht Freiburg, des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg und Pro Asyl beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Normenkontrollantrag eingereicht. Ziel der Klage ist, dass das Gericht diese restriktiven Vorgaben in der Hausordnung für ungültig erklärt.
Unverhältnismäßigkeit pauschaler Verbote
Die Hausordnung greift in zahlreiche Grundrechte der Bewohner*innen ein, insbesondere in die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungs- und Religionsfreiheit, in den Schutz der Familie und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Diese Grundrechtseingriffe sind weder zum Schutz anderer Bewohner*innen noch aus Sicherheitsgründen erforderlich. Statt pauschaler Verbote, die nicht an eine konkrete Gefahr anknüpfen, sind mildere Regelungen möglich. Das grundsätzliche Besuchsverbot beispielsweise könnte durch Besuchszeiten und maximale Besucherzahlen ersetzt werden. Auch in Gemeinschaftsunterkünften nach § 53 AsylG, in denen ebenfalls zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern in Mehrbettzimmern zusammenleben, sind üblicherweise Zeiten festgelegt, in denen Besuche grundsätzlich erlaubt sind.

Das pauschale Verbot politischer Betätigung ließe sich ohne Weiteres durch eine mildere Regelung ersetzen, die an einer konkreten Gefährdungslage anknüpft. Die Liste der verbotenen Gegenstände ist viel zu weit und unbestimmt und schränkt die Lebensführung der Bewohner*innen unangemessen ein. Auch die anlasslosen Zimmerkontrollen der Mitarbeiter*innen sind unverhältnismäßig. Die Schlafzimmer in der Unterkunft sind der einzige Ort, an dem sich die Geflüchteten zurückziehen können. Als private Wohnräume gilt für diese Zimmer das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.
Gesetzliche Grundlage fehlt
Für diese weitreichenden Grundrechtseingriffe fehlt die erforderliche Gesetzesgrundlage. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere für das Schulwesen sowie den Strafvollzug in zahlreichen Entscheidungen bekräftigt.
Alle Regelungen, die wesentlich in die Grundrechte von Schüler*innen und Gefangenen eingreifen, dürfen keinesfalls auf eine einfache Haus- oder Anstaltsordnung gestützt werden. Geflüchtete sind, ebenso wie Schüler*innen oder Gefangene, zum Aufenthalt in staatlichen Einrichtungen verpflichtet. Eingriffe in ihre Grundrechte müssen auf eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage gestützt werden. Diesen Anforderungen wird die gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Hausordnung in § 6 Abs. 3 Satz 2 FlüAG nicht gerecht. Danach erlässt das Regierungspräsidium Freiburg „die Nutzungsordnung und trifft die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen“. Diese unbestimmte und generalklauselartige Ermächtigung berechtigt den Antragsgegner nicht zu so gewichtigen Grundrechtseingriffen.
Die LEA Freiburg ist kein Einzelfall
Freiburg ist nur ein Beispiel für unzählige Einrichtungen in Deutschland. In allen Erstaufnahmeeinrichtungen in Baden-Württemberg gilt die gleiche Hausordnung; die Hausordnungen in vielen anderen Bundesländern sind ähnlich unverhältnismäßig.
Die GFF möchte vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein Grundsatzurteil für den Schutz der Grundrechte in Geflüchteten-Unterkünften erstreiten. Denn es darf in Deutschland keine grundrechtsfreien Räume geben.
Pressemitteilungen
Hintergrundinformation
- “Wir sind Menschen und sollten auch so behandelt werden.” Ein Gespräch mit drei Klägern
- Antrag gem. § 47. Abs. 1 Nr. ! VwGO: Normenkontrolle der Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg
- Vertiefung der Antragsbegründung
- Eilantrag: Antrag gem. §47 Abs. 6 VwGO
- Deutsches Institut für Menschenrechte: Hausordnungen menschenrechtskonform gestalten – Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete
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