Abhörmaßnahme bei der Letzten Generation verletzt Pressefreiheit
Wir gehen mit Reporter ohne Grenzen und zwei Journalisten gegen das Abhören des Pressetelefons der Letzten Generation vor Gericht. Die Strafverfolgungsbehörden nahmen bewusst in Kauf, vertrauliche journalistische Gespräche abzuhören – ein Verstoß gegen die Pressefreiheit.
Pressefreiheit vor dem Bundesverfassungsgericht
Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen und zwei Journalisten hat die GFF im September 2024 Verfassungsbeschwerde gegen das heimliche Abhören des Pressetelefons der Protestgruppe Letzte Generation erhoben. Beschwerdeführer sind die beiden von der Abhörmaßnahme betroffenen Journalisten Jörg Poppendieck (rbb) und Jan Heidtmann (SZ). Die Verfassungsbeschwerde zielt darauf ab, die grundrechtlichen Grenzen für das Abhören von Pressetelefonen durch das Bundesverfassungsgericht klären zu lassen und Rechtssicherheit für Journalist*innen zu schaffen. Es geht außerdem um die Frage, ob Ermittlungsrichter*innen grundrechtliche Abwägungen bereits bei der Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich in den Beschluss aufnehmen müssen oder die Gründe erst nachträglich nennen können.
„Wenn der Staat systematisch Gespräche der Presse mit politischen Gruppen abhört, greift das empfindlich in die Pressefreiheit ein. Steht die Gruppe mit ihren Aktionen so stark in der Öffentlichkeit wie die Letzte Generation, ist dieser Eingriff unnötig und unverhältnismäßig: Es gibt nichts, was nicht sowieso bekannt wäre“, betont Benjamin Lück, Jurist und Verfahrenskoordinator bei der GFF. „Auch über kontroverse Protestformen an der Grenze der Legalität müssen Journalist*innen frei recherchieren und berichten können.“ Die Verfassungsbeschwerde kritisiert, dass das Amtsgericht München in der Überwachungsanordnung keinerlei grundrechtliche Abwägung festgehalten und die Pressefreiheit mit keinem Wort erwähnt hatte, obwohl absehbar war, dass auf dem abgehörten Anschluss eine Vielzahl von Journalist*innen anrufen würde. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Amtsgericht München: Maßnahme ist rechtmäßig
Gemeinsam mit drei Journalisten Ronen Steinke (SZ), Henrik Rampe (frei) und Jörg Poppendieck (rbb) sind wir vor das Amtsgericht München gezogen. Sie alle hatten sich über das Pressetelefon mit der Letzten Generation ausgetauscht und waren von der Abhörmaßnahme betroffen.
Ronen Steinke, rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, betont: „Journalistengespräche abhören, ununterbrochen, monatelang, und die Abgehörten auch hinterher darüber im Dunkeln lassen - ein solcher Übergriff des Staates höhlt die Pressefreiheit aus. Vertrauliche Gespräche sind für unabhängigen Journalismus essenziell.“
„Diese drei Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Angesichts der medialen Präsenz der Letzten Generation im Überwachungszeitraum ist die Zahl der potenziell betroffenen Medienschaffenden unüberschaubar groß“, bekräftigt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Nach Einsicht in die Akten zur Abhörmaßnahme haben wir für die zwei Antragsteller Ronen Steinke und Henrik Rampe den Antrag zurückgenommen und dafür im Namen von Jan Heidtmann, ebenfalls Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, einen weiteren Antrag auf Überprüfung der Maßnahme gestellt. Diese hat das Amtsgericht im November 2023 abgewiesen.
Beschwerde am Landesgericht München I
Gemeinsam mit RSF und den zwei Journalisten Jörg Poppendieck (rbb) und Jan Heidtmann (SZ) haben wir Beschwerde gegen Beschlüsse des Amtsgerichts München eingelegt. Das Gericht erkannte die Abhörmaßnahmen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen das Pressetelefon der 'Letzten Generation' als rechtmäßig an.
Dieser Eingriff in die Pressefreiheit sei ausreichend begründet gewesen, sagt das Amtsgericht München. Die GFF und RSF sehen in den Beschlüssen einen klaren Verstoß gegen die Pressefreiheit, da das Gericht das Grundrecht in der ursprünglichen Anordnung der Überwachung noch nicht einmal erwähnt hat.
Das Landgericht München I hat in seinem Urteil vom August 2024 zwar die Maßnahme als "tiefgreifenden Eingriff" in die Pressefreiheit bezeichnet. Trotzdem sieht es die Überwachung als verhältnismäßig ein und verwarf damit die Beschwerde. Gegen diese Entscheidungen prüfen GFF und RSF nun weitere rechtliche Schritte.
Vorwurf der Bildung einer "kriminellen Vereinigung"
Hinter dem Abhören des Pressetelefons steht das Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen des Vorwurfs der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“. Laut Süddeutscher Zeitung hörten die Ermittler*innen von Oktober 2022 bis April 2023 Gespräche von insgesamt 13 Telefonanschlüssen ab, darunter das Pressetelefon der Organisation. Darauf gingen auch tatsächlich weit überwiegend Anrufe von Medienschaffenden ein. Trotzdem ergriffen die Behörden diese weitreichende, heimliche Ermittlungsmaßnahme und gefährdeten damit die Pressefreiheit. Das zeigt, welche weitreichenden gesellschaftlichen Folgen allein schon die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Vorwurfs der „kriminellen Vereinigung“ hat.
Das Abhören des Pressetelefons ist ein weiterer Beleg für das repressive Vorgehen der Sicherheitsbehörden im Kontext von Klimaprotesten. Rechtsstaatliche und grundrechtliche Grenzen werden dabei immer wieder bewusst überschritten. Das Verfahren von RSF und der GFF zielt darauf ab, die grundrechtlichen Grenzen für das Abhören von Pressetelefonen solcher Organisationen gerichtlich klären zu lassen und Rechtssicherheit für Journalist*innen zu schaffen. Die Antragsteller werden vertreten von der Rechtsanwältin Nicola Bier.