linksunten.
indymedia
Die Internetplattform linksunten.indymedia wurde auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. Wir hatten in dem Verfahren einen Amicus Curiae Brief an das Bundesverwaltungsgericht eingereicht.
Die GFF schaltete sich mit einer Stellungnahme in das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zum Verbot von linksunten.indymedia ein. Die Internetplattform wurde im August 2017 vom Bundesinnenministerium (BMI) auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klagen gegen das Verbot aus formalen Gründen ab. Eine Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht im März 2023 nicht zur Entscheidung angenommen.
Die GFF äußerte sich als Amicus Curiae („Freund des Gerichts“) wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens für die Freiheit der Medien. In der Stellungnahme wurde herausgestellt, dass das Vereinsrecht nicht für Medienverbote missbraucht werden darf. Zudem wurden die hohen Hürden für ein behördliches Vorgehen gegen Medien hervorgehoben. Die Intervention war damit auch für etwaige zukünftige Verbotsverfahren relevant.
Missbrauch des Vereinsrechts
linksunten.indymedia galt als wichtige Internetplattform der linken und linksradikalen Szene in Deutschland. Das BMI verbot linksunten.indymedia auf Grundlage von § 3 Vereinsgesetz und Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz. Es argumentierte, dass hinter der Internetplattform ein Personenzusammenschluss stehe, der die Voraussetzungen des weiten Vereinsbegriffs (§ 2 Vereinsgesetz) erfülle. Der Verein sei verboten, weil „seine Zwecke und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet“.
In den Augen der GFF ist das Vereinsrecht nicht anwendbar, unabhängig davon, ob hinter der Internetplattform ein Verein steht oder nicht. Weil das Verbot ausschließlich mit den auf der Internetseite veröffentlichten Beiträgen begründet wurde, handelte es sich der Sache nach um eine medienrechtliche Aufsichtsmaßnahme, die in die Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesländer fällt. Einschlägig ist hier der zwischen den Ländern geschlossene Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der auch die Aufsicht über Online-Medien regelt.
Dass das Vereinsrecht nicht anwendbar ist, zeigt auch ein gescheiterter Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 1952, der ein Zeitungsverbot vorsah. Der Entwurf wurde auf die damalige Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für das Presserecht gestützt. Ein Verbot von Presseorganen unter Anwendung des Vereinsrechts zog das Innenministerium damals nicht einmal in Erwägung.
Verletzung der Medienfreiheit
Das pauschale Verbot der gesamten Internetplattform erweist sich bei der gebotenen Berücksichtigung der Medienfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG als unverhältnismäßig, da der Staat zunächst weniger einschneidende Maßnahmen hätte ergreifen müssen. Die zuständigen Behörden hätten insbesondere mit Unterlassungs- und Sperrverfügungen nach Maßgabe des Rundfunkstaatsvertrags (RStV) gegen konkrete rechtswidrige Inhalte vorgehen können. Die behaupteten strafrechtswidrigen und verfassungsfeindlichen Inhalte waren nicht derart prägend, dass sie das Verbot rechtfertigen können, zumal nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die von den Nutzer*innen erstellten Beiträge den Betreiber*innen nicht ohne Weiteres zuzurechnen sind.
Das Verbot verstößt darüber hinaus gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat zu mehreren türkischen Zeitungen entschieden, dass das vollständige Verbot einer gesamten Zeitung die in Art. 10 EMRK garantierte Freiheit der Medien verletzt, unabhängig davon, was ihr im Einzelnen vorgeworfen wird. Nichts anderes kann für Online-Medien gelten.
Die GFF als Amicus Curiae
Die GFF äußerte sich zum Verbot von linksunten.indymedia wegen der zentralen Bedeutung des Verfahrens für die Freiheit der Medien und für die Rechtsstaatlichkeit insgesamt. Das Vorgehen des BMI ist ein Prüfstein für den Umgang des Staates mit Medienangeboten einer Szene, die den gegenwärtigen politischen und ökonomischen Verhältnissen kritisch bis ablehnend gegenübersteht und mitunter auch Straftaten begeht. Die Freiheitlichkeit einer Rechtsordnung erweist sich gerade im Umgang mit solchen unbequemen Mitgliedern der Gesellschaft.
Für ihre Stellungnahme wählte die GFF die Form des „amicus curiae brief“. Dieses Instrument stammt aus dem US-amerikanischen Rechtssystem (brief bedeutet dort Schriftsatz). Der Amicus Curiae, also der Freund des Gerichts, erlangt zwar keine eigenständigen Verfahrensrechte, wirft aber durch eine externe Stellungnahme neue Perspektiven auf den Rechtsstreit sowie weitere juristische Fragen auf. Der Amicus Curiae Brief ist in Deutschland und weiten Teilen Europas noch nicht verbreitet, während er in den USA seit langem zu einer grund- und menschenrechtsfreundlicheren Rechtsprechung beiträgt. Die GFF hat sich zum Ziel gesetzt, dieses Mittel der Verfahrensbeteiligung im Interesse der Grund- und Menschenrechte auch hier zu etablieren.