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Demokratie und Grundrechte
Art. 20

Kostenfreie Petitionen auf dem Prüfstand: demokratische Teilhabe in Gefahr

Der Petitionsplattform innn.it wurde die Gemeinnützigkeit entzogen. Nach der Wiederanerkennung vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg legte das Finanzamt Revision ein. Gemeinsam mit Campact und als Teil der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ unterstützen wir innn.it vor dem Bundesfinanzhof.

Der Verein innn.it (ehemals change.org) stellt eine Plattform bereit, auf der Bürger*innen Petitionen erstellen und durchführen können, die sich nicht nur gegen staatliche Stellen richten, sondern auch Unternehmen adressieren. Das Berliner Finanzamt nimmt das 2021 zum Anlass, um der Plattform ihre Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die Behörde sieht einen Verstoß gegen den Satzungszweck zur „allgemeinen Förderung des demokratischen Staatswesens“ als gegeben. Nach viereinhalb Jahren gewinnt innn.it mit Unterstützung von der GFF in der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung und Campact im November 2023 die Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg in Cottbus und bekommt die Gemeinnützigkeit zurück. Dagegen legte das Berliner Finanzamt Revision ein, die am 12. Dezember 2024 vor dem Bundesfinanzhof in München verhandelt wurde. Die Entscheidung steht noch aus.
Davy Wang

Davy Wang

Jurist und Verfahrenskoordinator

„Petitionen sind Ausdruck demokratischer Teilhabe – auch wenn sie sich gegen Unternehmen richten. Indem Vereine die Durchführung von Petitionen unterstützen, leisten sie einen bedeutenden Beitrag zum Gemeinwesen, der als gemeinnützig anzuerkennen ist.“

Demokratische Teilhabe in Gefahr

Im Februar 2021 erkannte das Berliner Finanzamt innn.it (ehemals change.org) die Gemeinnützigkeit ab. Laut Behörde dürfte sich die Online-Plattform mit Petitionen nur an staatliche Akteur*innen richten, um dem gemeinnützigen Zweck „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ aus der Abgabenordnung zu dienen. Diese Auslegung geht auf eine länderübergreifende Einigung der Finanzverwaltung zurück, die nach unserer Auffassung weder durch das Gemeinnützigkeitsrecht noch das Grundgesetz gestützt werden kann. Petitionen an nicht staatliche Akteur*innen wie Großkonzerne von Nestlé oder VW seien damit nur gegen Gebühren erlaubt oder müssten gelöscht werden. Durch die Aufspaltung in staatliche und nicht staatliche Akteur*innen wird ein gefährliches Demokratieverständnis gefördert, dass gemeinnützige Petitionsplattformen in ihren Grundfesten angreift. Ihre Aufgabe ist es die demokratische Wahrnehmungsfähigkeit und die politische Wirksamkeit der Bürger*innen zu stärken. Das ist mit dieser restriktiven Vorgehensweise des Finanzamts nicht möglich. Als Teil der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung gehen wir mit innn.it dagegen vor, um die Gemeinnützigkeit der Petitionsplattformen zu schützen.

Im März 2021 haben wir bereits in einer umfangreichen Stellungnahme dargelegt, warum die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von politisch agierenden Akteur*innen der Zivilgesellschaft eine große Gefahr für die Demokratie darstellt.

Revision vor dem Bundesfinanzhof

Im Dezember 2023 legte das Finanzamt Revision gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg ein. Das Gericht hatte im November 2023 innn.it Recht gegeben: Es braucht ein weites Verständnis der Norm, das auch Kritik an Konzernen umfasst. Der Entscheidung zufolge seien Vereine als gemeinnützig anzuerkennen, wenn sie die Ausübung von Grundrechten und die allgemeine demokratische Teilhabe fördern.
Mit der Revision hält das Berliner Finanzamt an seiner restriktiven Auslegung des Petitionsbegriffs fest und verkennt dabei weiterhin den wertvollen Beitrag, den an Unternehmen gerichtete Petitionen für unser Gemeinwesen haben. Infolgedessen müssen wir in der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung mit innn.it, vertreten durch die Kanzlei Schomerus, dafür kämpfen, dass die Unterstützung der Online-Petitionsplattform für Millionen Bürger*innen bei ihrer demokratischen Teilhabe als gemeinnützig anerkannt wird. Nun verhandelte der Bundesfinanzhof am 12. Dezember 2024 in letzter Instanz über die Gemeinnützigkeit von innn.it. Eine Entscheidung steht noch aus. Das Gericht steht vor der Aufgabe, zu klären, welche Art von demokratischem Engagement unter die Gemeinnützigkeit fällt.

Attac-Urteil sorgt für Unsicherheit im Gemeinnützigkeitsrecht

Der Bundesfinanzhof (BFH) sprach 2019 der globalisierungskritischen Organisation Attac die Gemeinnützigkeit ab. Der BFH hat dies damit gründet, dass Attac sich zu allgemeinpolitisch betätigen und damit politische Zwecke verfolgen würde, die nicht vom Gemeinnützigkeitsrecht gedeckt seien. Damit hat das Gericht insbesondere die politischen Handlungsmöglichkeiten von Vereinen stark eingeengt, die politische Bildung betreiben. Mit der Anforderung, dass politische Bildungsarbeit „geistig offen“ sein muss, gibt der BFH den Finanzämtern einen sehr unbestimmten Maßstab an die Hand. Das wiederum führt zu teilweise sehr restriktiven Auslegungen, wie unser Verfahren mit dem Demokratischen Zentrum Ludwigsburg (DemoZ) zeigt. Die Entscheidung des BFH hat die Unsicherheiten in der Zivilgesellschaft verstärkt, in welchem Ausmaß Vereine sich politisch betätigen dürfen, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren.

Für eine handlungsfähige Zivilgesellschaft

Unsere Unterstützung im Fall innn.it reiht sich in die Arbeit zur Stärkung der Handlungsspielräume von gemeinnützigen Vereinen ein. Wir wollen bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigen und setzen uns für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht ein, das dem zivilgesellschaftlichen Engagement für Demokratie ausreichend Rechnung trägt. Bereits im August 2021 haben wir einen Gesetzentwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz vorgelegt, damit die Bundesregierung das veraltete Gemeinnützigkeitsrecht modernisiert. Während eine Reform auf sich warten lässt, stehen wir mit einem umfassenden Informationsangebot aus „How to Zivilgesellschaft“ politisch engagierten Vereinen zur Seite, um ihre Gemeinnützigkeit zu schützen.

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