Einsatz von Schmerzgriffen bei friedlichen Demonstrationen rechtswidrig
Bei einer Klimademonstration in Berlin setzte die Polizei sogenannte Schmerzgriffe ein, um einen Demonstranten von der Straße zu ziehen. Der Aktivist nahm zuvor an einer Sitzblockade Teil, er verhielt sich völlig friedlich. Wir gehen gemeinsam mit dem Aktivisten gegen die gezielte und unnötige Zufügung von Schmerzen durch die Polizei vor Gericht.
„Wenn ich Ihnen Schmerzen zufüge, wenn Sie mich zwingen, dann werden Sie in den nächsten Tagen – nicht nur heute – Schmerzen beim Kauen und Schlucken haben.“ Diesen Worten eines Polizisten bei einer Demonstration in Berlin folgten Szenen, die nur schwer anzusehen sind. Gerichtet war die Drohung an den Aktivisten Lars Ritter, der an einer friedlichen Straßenblockade der „Letzten Generation“ teilnahm. Die Aktivist*innen setzen sich für eine bessere Klimapolitik ein.
Anstatt Lars Ritter von der Fahrbahn wegzutragen – wie es bei der Auflösung von Sitzblockaden üblich ist und worauf der Aktivist den Beamten sogar hinwies – wandte der Polizist Schmerzgriffe an: Er zog Lars Ritter am Kiefer in den Stand, verdrehte ihm den Arm und zerrte ihn anschließend mit Unterstützung eines Kollegen an den umgeklappten Handgelenken von der Straße.
Schmerzgriffe sind Techniken aus dem Kampfsport, die durch körperliche Einwirkung auf schmerzempfindliche Stellen des Körpers oder einer Hebelwirkung Schmerzen hervorrufen. Techniken, die nur im Ausnahmefall zur Überwindung von Widerstand Anwendung finden dürfen. Mit unserem Fall wollen wir gerichtlich die Rechtswidrigkeit des Schmerzgriff-Einsatzes feststellen lassen und dieser Polizeipraxis damit klare Grenzen setzen
Die Polizei muss friedlichen Protest schützen
In den vergangenen Monaten häuften sich die Berichte über Polizist*innen, die Schmerzgriffe im Kontext von Klimademonstrationen einsetzen. Das Video von Ritters Vorfall erlangte besondere Aufmerksamkeit. Denn das Bild ist in einem Rechtsstaat erschreckend: Die Polizei geht gewalttätig gegen die Bürger*innen vor, die sie eigentlich schützen soll. Das Vorgehen der Einsatzkräfte gegen Klimademonstrant*innen hat eine Diskussion entfacht: Ist die gezielte Zufügung von Schmerzen ein legitimes Mittel bei der Auflösung friedlicher Demonstration? Die klare Antwort: nein.
Der Einsatz körperlicher Gewalt um gezielt Schmerzen zu verursachen ist ein massiver Grundrechtseingriff, der nur in absoluten Ausnahmesituationen zulässig sein kann. Bei der Auflösung friedlicher Demonstrationen ist das nicht der Fall, weil in aller Regel mildere Mittel zur Verfügung stehen. Die Androhung und die Zufügung von Schmerzen greifen in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein. Sie können als erniedrigende und unmenschliche Behandlung auch das menschenrechtliche Folterverbot verletzen.
Setzt die Polizei Schmerzgriffe im Kontext von friedlichen Demonstrationen ein, gefährdet das zusätzlich die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit. Aufgabe des Staates ist es, das Grundrecht auf friedlichen Protest zu schützen und zu ermöglichen, dass Menschen von diesem Recht angstfrei Gebrauch machen können.
Recht auf Versammlungsfreiheit zunehmend unter Druck
Das brutale Vorgehen der Polizei bei der Auflösung friedlicher Klimaproteste ist ein weiterer Beleg dafür, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit zunehmend unter Druck gerät. Immer wieder wird friedlicher Protest wie eine Gefahr behandelt – nicht zuletzt im neuen Landes-Versammlungsgesetz NRW, gegen das die GFF Verfassungsbeschwerde erhoben hat.
Der Einsatz von Schmerzgriffen kann nachhaltig davon abschrecken, auf die Straße zu gehen und die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit auszuüben. Dieses Verstummen der Stimmen aus der Zivilgesellschaft, nennt man „Chilling Effects“. Auch Kläger und Aktivist Lars Ritter ist durch den Vorfall stark angegriffen und weiß nicht, ob er in Zukunft protestieren kann: „Das brutale Vorgehen der Polizei hat mich zutiefst verstört. Schon beim Anblick eines Polizisten fange ich an zu zittern."
Der Einsatz von Schmerzgriffen hat zuletzt vor allem bei Klimademonstrationen zugenommen. So wurden beispielsweise auch bei einer Aktion der Gruppe „Ende Gelände“ in Hamburg Schmerzgriffe angewendet.
Einsatz von Schmerzgriffen potenzieller Verstoß gegen das „Folterverbot“
Die Liste der Verstöße bei diesem ungerechtfertigten Einsatz von Gewalt gegen Lars Ritter ist lang: Neben einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und die Versammlungsfreiheit, kommt ein Verstoß gegen die Menschenwürde und gegen das Folterverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Frage.
Nach Artikel 3 EMRK ist es verboten, Menschen einer „unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung“ zu unterziehen. Da die Polizei dem Kläger Lars Ritter in der Öffentlichkeit extreme Schmerzen zugefügt hat und der Kläger diese unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch sein Verhalten dazu keinen Anlass gab, liegt darin nicht nur ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch gegen Artikel 3 EMRK.
Obgleich die hat, läuft gegen den Polizisten aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gemäß § 340 StGB.