Versammlungsgesetz NRW: Bedrohung für Versammlungsfreiheit und Zivilgesellschaft
Wir legen Verfassungsbeschwerde ein gegen die massive Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit in Nordrhein-Westfalen.
Wir wollen diese illiberale Gesetzgebung für nichtig erklären lassen und erheben deshalb Verfassungsbeschwerde am Landesverfassungsgericht NRW. Der Eilantrag, mit dem einige Regelungen bereits vorläufig außer Kraft gesetzt werden sollten, wurde im Dezember 2023 abgelehnt.
In Nordrhein-Westfalen trat zum 7. Januar 2022 ein neues Versammlungsgesetz in Kraft (VersG NRW). Versammlungen werden darin nicht mehr als gesellschaftliche Meinungsäußerung und demokratisches Grundrecht, sondern als Gefahrenquelle verstanden. Um diese vermeintliche Gefahr zu kontrollieren, schränkt das VersG NRW gleich an mehreren Punkten die Grundrechte massiv ein. Diese versammlungsfeindliche Grundhaltung stellt eine beispiellose Abkehr von der seit Jahrzehnten etablierten versammlungsfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dar.
Kriminalisierung, Videoüberwachung und pauschale Versammlungsverbote
Unsere Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zahlreiche Regelungen des Versammlungsgesetzes, die aus unserer Sicht verfassungswidrig sind:
- Kriminalisierung von Demonstrierenden: Das VersG NRW enthält eine Reihe von strafbewehrten Verboten, die friedliches Verhalten kriminalisieren. Verboten wird die Störung anderer Versammlungen, auch bereits durch kommunikativen Gegenprotest oder friedliche Blockaden. Ebenso kriminalisiert werden reine Vorfeldaktionen wie Blockadetrainings (§ 7 VersG NRW). Das Gesetz enthält zudem ein Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot (§§ 17, 27 Abs. 7 VersG NRW) sowie ein Uniformierungs- und Militanzverbot (§ 27 Abs. 8 VersG NRW). Besonders problematisch ist dabei, dass die Verbote äußerst weitreichend, unbestimmt formuliert und Verstöße gegen diese Normen zugleich unmittelbar straf- oder bußgeldbewehrt sind. Für Demonstrierende ist bei derart unklaren Regelungen nicht erkennbar, durch welches Verhalten sie sich möglicherweise strafbar machen.
- Ausweitung von Videoüberwachung: Ein erheblicher Abschreckungseffekt ergibt sich aus der Befugnis zum Anfertigen von offenen und verdeckten Videoaufnahmen von Versammlungen (§ 16 VersG NRW). Nahezu alle Versammlungen dürfen künftig videoüberwacht werden, ausdrücklich auch heimlich und mit technischen Hilfsmitteln wie zum Beispiel Drohnen. Die Aufnahmen dürfen zudem nachträglich zur Verfolgung von Straftaten ohne Zusammenhang zu der Versammlung gespeichert und verwendet werden. Wenn Menschen davon ausgehen müssen, dass ihr politisches Engagement derart polizeilich überwacht wird, nehmen sie unter Umständen gar nicht mehr an Demonstrationen teil.
- Pauschales Verbot von Versammlungen auf Autobahnen: Das ausnahmslose Verbot von Versammlungen auf Bundesautobahnen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 VersG NRW) ist im bundesweiten Vergleich ohne Vorbild. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es ein solches Totalverbot, das einen bestimmten Teil des öffentlichen Raumes prinzipiell von der Versammlungsfreiheit ausnimmt. Bundesautobahnen in NRW stehen damit sogar unter stärkerem Schutz als der NRW-Landtag oder NS-Gedenkstätten wie etwa ein früheres Konzentrationslager. Die freie Wahl des Versammlungsortes zählt aber zum grundrechtlichen Kern der Versammlungsfreiheit.
Zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume verteidigen
Diese Verschärfungen durch die Schaffung neuer Straftatbestände und weitreichende staatliche Überwachung schaffen enorme Unsicherheit für Demonstrierende. Die einzelnen Regelungen verletzen bereits an sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Zudem sind Demonstrierende oft mit mehreren dieser Eingriffe gleichzeitig konfrontiert. In der Kombination ergibt sich insgesamt eine enorme Abschreckungs- und Einschüchterungswirkung.
Kein anderes Bundesland hat ein derart restriktives Versammlungsgesetz verabschiedet. Die Regelungen in NRW betreffen nicht nur Einzelne: Sie schüchtern die Menschen ein und verdrängen damit Teile der Gesellschaft aus dem demokratischen Diskurs. Solche Entwicklungen wollen wir mit unserer Verfassungsbeschwerde verhindern.
Klimagerechtigkeit statt Repression gegenüber der Klimabewegung
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit entwickelt sich ständig weiter – genauso wie zivilgesellschaftliche Protestformen. Besonders die Klimabewegung versucht mit neuen und vielfältigen Aktionsideen die Politik zu entschlossenem Handeln zu bewegen. Doch immer wieder werden friedliche Klimaproteste von staatlicher Seite eingeschränkt und kriminalisiert, sei es durch Präventivhaft für Klima-Aktivist*innen in Bayern, das Framing als „Klima-RAF“ durch führende Politiker*innen oder behördliche Verbote von Klimacamps.
Auch das VersG NRW richtet sich ausdrücklich gegen die Klimabewegung. Die Verschärfung des Militanzverbots wird in der Gesetzesbegründung mit den Protesten der Klimabewegung gegen den Tagebau Garzweiler begründet und zielt insbesondere auf Klimaproteste ab. Auch das bundesweit einzigartige Versammlungsverbot auf Autobahnen richtet sich eindeutig gegen Aktivist*innen, die den Autoverkehr unterbrechen, um auf die sich zuspitzende Klimakrise aufmerksam zu machen. Besonders angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Engagements ist es nicht hinnehmbar, dass der Gesetzgeber in NRW die Grundrechte der Aktivist*innen verfassungswidrig einschränkt.
Bei unserer Verfassungsbeschwerde arbeiten wir mit dem Aktionsbündnis Versammlungsgesetz NRW Stoppen! zusammen, das vom RAV über Klimaorganisationen und Gewerkschaften ein großes Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen in NRW einschließt. Die acht Beschwerdeführenden gehören zivilgesellschaftlichen Organisationen aus NRW an, die ihr Engagement durch das VersG NRW gefährdet sind. Sie werden vertreten von Prof. Dr. Tristan Barczak, LL.M.