Lauschangriff, Staatstrojaner, heimliche Wohnungsdurchsuchungen
Im Juni 2020 haben wir gemeinsam mit dem Bündnis "SOGenannte Sicherheit“ Verfassungsbeschwerde gegen das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern eingelegt. Im Februar 2023 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in weiten Teilen für verfassungswidrig.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unter anderem gegen längerfristige Observationen durch Polizeibeamt*innen, den Einsatz verdeckter Ermittler*innen, Abhörmaßnahmen in und außerhalb der Wohnung, den Einsatz von Staatstrojanern und gezielte polizeiliche Kontrollen. All diese Maßnahmen sollen schon im Vorfeld einer konkretisierten Gefahr zulässig sein. Damit kann praktisch jede Person umfassend überwacht werden, wenn die Polizei der Auffassung ist, sie könnte eines Tages „gefährlich“ werden.
Intensive Grundrechtseingriffe ohne konkretisierte Gefahr sind verfassungswidrig
Nach dem neuen Gesetz sollen verdeckter Ermittler eingesetzt und längerfristige Observationen durchgeführt werden können, wenn irgendwann in Zukunft eine Straftat droht (§ 33 SOG M-V). Derartige Überwachungsmaßnahmen greifen intensiv in die Grundrechte der betroffenen Personen ein und sind daher grundsätzlich nur erlaubt, wenn der Polizei stichhaltige Beweise dafür vorliegen, dass aktuell eine „konkretisierte Gefahr“ besteht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil zum BKA-Gesetz klargestellt. Auch das Abhören von Wohnungen soll nach dem neuen Gesetz im Vorfeld einer konkretisierte Gefahr zulässig sein (§ 33b SOG M-V), obwohl das Grundgesetz vorsieht, dass bei solchen Abhörmaßnahmen sogar eine „dringende Gefahr“ vorliegen muss (Art. 13 Abs. 4 GG).
Polizei soll in Wohnungen eindringen dürfen, um Staatstrojaner zu installieren
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich auch gegen den Einsatz von Staatstrojanern, also staatlicher Späh-Software, auf Smartphones und Computer. Staatstrojaner ermöglichen es der Polizei, Computer auszulesen und verschlüsselte Kommunikation, etwa aus Messenger-Chats, mitzulesen (sogenannte Online-Durchsuchung, § 33c SOG M-V, und Quellen-Telekommunikationsüberwachung, § 33d Abs. 3 SOG M-V). Staatstrojaner greifen tief in die Privatsphäre ein, weil sie Einblicke in eine Vielzahl von hochsensiblen Informationen erlauben.
Nicht nur die Staatstrojaner selbst, sondern auch die Art, wie sie installiert werden sollen, ist grundrechtlich problematisch: Das Gesetz erlaubt es der Polizei, Sicherheitslücken auszunutzen, statt sie an die Hersteller*innen zu melden. Das schwächt die IT-Sicherheit aller Bürger*innen. Zudem soll es der Polizei möglich sein, Wohnungen zu betreten, um die Spähsoftware zu installieren. Gerade weil Menschen ihre Smartphones oft pausenlos mit sich führen, ist es daher nicht ausgeschlossen, dass Polizeibeamt*innen nachts in die Wohnungen schlafender Menschen eindringen, um ihre Geräte zu infiltrieren.
Gezielte Kontrollen und Rasterfahndung verletzen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Das Gesetz ermöglicht es der Polizei auch, Personen zur gezielten Kontrolle auszuschreiben (§ 35 SOG M-V). Bei gezielten Kontrollen werden etwa Fahrzeuge und Personen durchsucht. Das soll laut Gesetzesbegründung dazu dienen, „potentielle Gefährder zu verunsichern“, also Personen, von denen die Polizei annimmt, dass sie irgendwann einmal eine Straftat begehen könnten. Betroffen sind aber auch Dritte, die sich zufällig im selben Fahrzeug wie die „Zielperson“ befinden. Dadurch kann die Polizei Bewegungsprofile von zahlreichen Personen erstellen. Das verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Betroffenen. In dieses Recht greift das Gesetz auch durch die Rasterfahndung unverhältnismäßig stark ein, bei der eine Vielzahl von personenbezogenen Daten zusammengeführt werden (§ 44 SOG M-V).
Darüber hinaus ist bei sämtlichen Überwachungsmaßnahmen, die das Gesetz vorsieht, eine rechtsstaatliche Kontrolle nicht sichergestellt. Der oder die Datenschutzbeauftragte ist zwar für die Kontrolle der Polizei zuständig, darf aber keine Anordnungen treffen (§ 48b SOG M-V). Damit droht die Aufsicht in der Praxis leerzulaufen.
Aktivist*in, Rechtsanwältin, Journalist und Fußballfans klagen
Zu den Kläger*innen zählen Aktivist*in Salome Krug, die Strafverteidigerin Katrin Hildebrandt, ein Journalist und zwei in der Fan-Szene aktive Fußballfans des F.C. Hansa Rostock. Sie werden vertreten durch die Rechtsanwältin Dr. Anna Luczak aus Berlin.