Mein Geschlecht bestimme ich!
Für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag und eine diskriminierungsfreie rechtliche Geschlechtswahl sind wir vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Wegen des seit November 2024 geltenden Selbstbestimmungsgesetzes konnten wir unsere Verfassungsbeschwerde für erledigt erklären.
Selbstbestimmungsgesetz – ein grundrechtlicher Meilenstein
Im April 2024 hat der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Damit können trans, inter und nicht-binäre Menschen sowie Menschen ohne Geschlecht seit 01. November 2024 ihren Vornamen und Geschlechtseintrag selbstbestimmt durch einfache Erklärung beim Standesamt korrigieren – ohne Gerichtsverfahren oder Fremdbegutachtung. Das stellt einen grundrechtlichen Meilenstein für die geschlechtliche Selbstbestimmung dar, nachdem sich Interessenvertretungen jahrelang dafür eingesetzt haben und das Bundesverfassungsgericht weite Teile des „Transsexuellengesetz“ für verfassungswidrig erklärt hat.
Im Rahmen der Verbändeanhörung hatten wir den Gesetzentwurf geprüft und ausführlich Stellung genommen. Auch den Kabinettsentwurf, der einige Verschlechterungen im Vergleich zum Referent*innenentwurf beinhaltete, haben wir mit einem Policy Paper begleitet.
Das Gesetz ist nicht perfekt. Der Anwendungsbereich ist beschränkt, sodass beispielsweise Menschen mit Duldung und Asylsuchende das Selbstbestimmungsgesetz nicht in Anspruch nehmen können. Auch sieht das Gesetz missverständliche Regelungen zum „Haus- und Satzungsrecht“ mit einer verfehlten Begründung vor und setzt die geschlechtliche Selbstbestimmung im Spannungs- und Verteidigungsfall aus.
Es konnten aber einige Nachbesserungen erreicht werden: Die zunächst vorgesehene automatisierte Datenübermittlung an Sicherheitsbehörden wurde gestrichen. Auch ist eine Interimslösung für die Elternstellung von zeugungsfähigen Menschen ohne männlichen Geschlechtseintrag wie trans Frauen gegenüber ihren Kindern gefunden worden. Die Stellung von Kindern und betreuten Personen sowie das Offenbarungsverbot wurden gestärkt. Wir behalten im Blick, ob das Selbstbestimmungsgesetz diskriminierungsfrei angewandt wird.
Durch das Selbstbestimmungsgesetz kann auch Lann Hornscheidt endlich selbstbestimmt den Geschlechtseintrag korrigieren lassen und wir konnten die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklären.
Der Einsatz für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag
Im Jahr 2018 führte die Bundesrepublik nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten „Dritten Option“ den Geschlechtseintrag „divers“ ein. Seit dieser Reform des Personenstandsgesetzes konnten Menschen ihren Geschlechtseintrag durch Erklärung beim Standesamt in „männlich“, „weiblich“ oder „divers“ ändern oder ganz streichen lassen. Wer dieses Verfahren nutzen darf und ob eine ärztliche Bescheinigung dafür notwendig ist, war aber umstritten.
Vor diesem Hintergrund hat sich die GFF über mehrere Jahre hinweg für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für alle Menschen eingesetzt und die Verfassungsbeschwerde von Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt unterstützt. Lann Hornscheidt identifiziert sich weder als weiblich noch als männlich und wollte den Geschlechtseintrag im Geburtenregister streichen lassen. Nachdem der Bundesgerichtshof dies verwehrt hatte, zog Lann Hornscheidt gemeinsam mit uns, Professorin Dr. Anna Katharina Mangold und den Rechtsanwältinnen Friederike Boll und Katrin Niedenthal vor das Bundesverfassungsgericht.
Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot verbürgen einen barriere- und diskriminierungsfreien Zugang zu einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag. Es dürfen keine unzumutbaren und unverhältnismäßigen Hürden für die Korrektur des Geschlechtseintrags errichtet werden. Eine Fremdbegutachtung der Geschlechtsidentität und eine Differenzierung nach körperlichen Merkmalen ist damit unvereinbar.
Schluss mit verfassungswidriger Geschlechterdiskriminierung
Bis zuletzt nahmen aber viele Standesämter und Gerichte, einschließlich des Bundesgerichtshofes, an, das Personenstandsrecht (§§ 22 Abs. 2, 45b Abs. 1 PStG) sehe eine Änderung des Geschlechtseintrags nur für Menschen vor, die ein Attest über einen intergeschlechtlichen Körper vorlegen können. Das führte zu einer eklatanten und sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung und damit zu einer verbotenen Geschlechtsdiskriminierung (Artikel 3 Abs. 3 GG). Denn je nach medizinischer Beurteilung des Körpers durften manche Menschen ihren Geschlechtseintrag nur auf dem Umweg über das „Transsexuellengesetz“ (TSG) ändern. Dieses sah aber nach dem Wortlaut nur den binären Wechsel des Geschlechts von „männlich“ nach „weiblich“ und umgekehrt vor, keine Streichung und keinen „divers“-Eintrag. Verfahren nach dem TSG erforderten zudem die Vorlage von zwei psychologischen, höchst intimen Gutachten in einem gerichtlichen Verfahren. Insgesamt waren diese Verfahren langwierig, kostenintensiv und entwürdigend.
Kampagne Dritte Option und Aktion Standesamt
Die von uns unterstütze Verfassungsbeschwerde von Lann Hornscheidt stand nicht alleine da. Im Jahr 2014 beantragte Vanja beim Standesamt einen Geschlechtseintrag, der weder männlich noch weiblich ist. Vanja führte das Verfahren unterstützt durch die Kampagne für eine dritte Option erfolgreich vor das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16). Lann Hornscheidt stellte den Antrag auf Streichung des falschen Geschlechtseintrags im gleichen Jahr. Sowohl Vanja als auch Lann Hornscheidt wagten diesen mutigen Schritt, um ihre Rechte einzufordern und nicht länger in ihrer Identität unsichtbar zu bleiben und haben damit entschieden zu der endgültigen Abschaffung des TSG beigetragen.
Diesen ersten, einzelnen Anträgen sind zahlreiche vergleichbare Anträge gefolgt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgetragen hatte, Regelungen für Menschen zu finden, die weder „männlich“ noch „weiblich“ sind, haben im Rahmen der „Aktion Standesamt 2018“ noch vor der Gesetzesreform über hundert Menschen einen Antrag auf ihren eigenen selbstbestimmten Geschlechtseintrag beim Standesamt beantragt. Nachdem die Standesämter diese Anträge ignorierten oder ablehnten, versuchten einige dieser Personen, zu ihrer Identität passende Einträge vor Gericht zu erstreiten. Sie wurden dabei durch engagierte Jurist*innen unterstützt. Auch nach Inkrafttreten des § 45b PStG sind wegen der sowohl unklaren als auch grundrechtsverletzenden Gesetzeslage weitere Personen vor Gericht gegangen.