Mein Geschlecht bestimme ich!
Wir kämpfen vor dem Bundesverfassungsgericht für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag und eine diskriminierungsfreie rechtliche Geschlechtswahl.
Im Jahr 2018 führte die Bundesrepublik nach einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die so genannte „dritte Option“ ein. Seit dieser Reform des Personenstandsgesetzes können Menschen ihren Geschlechtseintrag durch Erklärung beim Standesamt in „männlich“, „weiblich“ oder „divers“ ändern oder ganz streichen lassen. Es ist aber umstritten, wer dieses Verfahren nutzen darf und ob eine ärztliche Bescheinigung dafür notwendig ist.
Die GFF will helfen, diese Frage abschließend zu klären und stellt sich an die Seite derjenigen, die für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für alle Menschen kämpfen. Wir unterstützen deshalb die Verfassungsbeschwerde von Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt. Lann Hornscheidt identifiziert sich weder als weiblich noch als männlich und möchte den Geschlechtseintrag im Geburtenregister streichen lassen. Nachdem der Bundesgerichtshof dies verwehrt hat, zieht Lann Hornscheidt gemeinsam mit der GFF, Professorin Dr. Anna Katharina Mangold und den Rechtsanwältinnen Friederike Boll und Katrin Niedenthal vor das Bundesverfassungsgericht.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot verbürgen einen barriere- und diskriminierungsfreien Zugang zu einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag. Es dürfen keine unzumutbaren und unverhältnismäßigen Hürden errichtet werden. Eine Fremdbegutachtung der Geschlechtsidentität und eine Differenzierung nach körperlichen Merkmalen ist damit unvereinbar. Unser Ziel ist es deshalb, dass alle Menschen einen falschen Geschlechtseintrags durch eigene Erklärung korrigieren oder streichen können, unabhängig von ihrem Körper und ohne medizinische Nachweise.
Aktuell unklar: Welche Menschen dürfen einen falschen Geschlechtseintrag korrigieren – und brauchen sie dafür ein ärztliches Attest?
Aktuell ist unklar, unter welchen Voraussetzungen Menschen ihren Geschlechtseintrag durch einen Antrag beim Standesamt, also nach dem Personenstandsrecht, korrigieren können. Im Gesetzestext steht, dass die jeweilige Person „nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können“ darf bzw. eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ aufweisen muss (§§ 22 Abs. 2, 45b Abs. 1 PStG). Umstritten ist seither in Rechtsprechung und Literatur, wie genau diese Voraussetzungen zu verstehen sind und ob von einer ärztlichen Bescheinigung der „Variante der Geschlechtsentwicklung“ abgesehen werden kann oder gar muss.
Die entscheidende Frage ist, ob alle Menschen einen fehlerhaften Geschlechtseintrag durch Erklärung gegenüber dem Standesamt korrigieren oder streichen können – oder ob das nur für Menschen gilt, die ein ärztliches Attest über einen intergeschlechtlichen Körper vorlegen.
Derzeit werden viele Personen, die kein
ärztliches Attest vorlegen können oder wollen, von Gerichten und Standesämtern
auf das umstrittene Verfahren nach dem bereits in weiten Teilen für verfassungswidrig
erklärten Transsexuellengesetz (TSG) verwiesen, um ihren Geschlechtseintrag zu korrigieren.
Allgemeines Persönlichkeitsrecht verbürgt selbstbestimmten Geschlechtseintrag
Der umstrittene Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ entstammt der Medizin und verweist auf eine veraltete und pathologisierende, medizinische Definition von Intergeschlechtlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in seiner Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht wiederholt klargestellt, dass maßgeblich für das Geschlecht einer Person und damit für die Eintragung im Personenstandsregister nicht der Körper, sondern die Geschlechtsidentität sein muss. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ deshalb nach unserer Ansicht so zu verstehen, dass alle Menschen eine (eigene) „Variante der Geschlechtsentwicklung“ haben (s. Gutachten für das BMFSJ von Mangold/Markwald/Röhler).
Unklarheit führt zu verfassungswidriger Geschlechterdiskriminierung
Derzeit nehmen viele Standesämter und Gerichte, einschließlich des Bundesgerichtshofes, an, das Personenstandsrecht sehe eine Änderung des Geschlechtseintrags nur für intergeschlechtliche Menschen vor. Das führt zu einer eklatanten und sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung und damit zu einer verbotenen Geschlechtsdiskriminierung (Artikel 3 Abs. 3 GG). Denn je nach medizinischer Beurteilung des Körpers dürfen manche Menschen ihren Geschlechtseintrag nur auf dem Umweg über das Transsexuellengesetz (TSG) ändern. Dieses sieht aber nach dem Wortlaut nur den binären Wechsel des Geschlechts von „männlich“ nach „weiblich“ und umgekehrt vor, keine Streichung und keinen „divers“-Eintrag. Verfahren nach dem TSG erfordern zudem die Vorlage von zwei psychologischen, höchst intimen Gutachten in einem gerichtlichen Verfahren. Insgesamt sind diese Verfahren langwierig, kostenintensiv und entwürdigend.
Die von der GFF unterstütze Verfassungsbeschwerde von Lann Hornscheidt steht nicht alleine da. Im Jahr 2014 beantragte Vanja beim Standesamt einen Geschlechtseintrag, der weder männlich noch weiblich ist. Vanja führte das Verfahren unterstützt durch die Gruppe 3. Option erfolgreich vor das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16). Lann Hornscheidt stellte den Antrag auf Streichung des falschen Geschlechtseintrags im gleichen Jahr. Sowohl Vanja als auch Lann Hornscheidt wagten diesen mutigen Schritt alleine, um ihre Rechte einzufordern und nicht länger in ihrer Identität unsichtbar zu bleiben.
Diesen ersten, einzelnen Anträgen sind zahlreiche vergleichbare Anträge gefolgt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgetragen hatte, Regelungen für Menschen zu finden, die weder „männlich“ noch „weiblich“ sind, haben im Rahmen der „Aktion Standesamt 2018“ noch vor der Gesetzesreform über hundert Menschen einen Antrag auf ihren eigenen selbstbestimmten Geschlechtseintrag beim Standesamt beantragt. Nachdem die Standesämter diese Anträge ignorierten oder ablehnten versuchen einige dieser Personen, zu ihrer Identität passende Einträge vor Gericht zu erstreiten. Sie werden dabei unterstützt durch engagierte Jurist*innen. Auch nach Inkrafttreten des § 45b PStG sind wegen der sowohl unklaren als auch grundrechtsverletzenden Gesetzeslage weitere Personen vor Gericht gegangen.
Das Verfahren ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig.
Selbstbestimmungsgesetz – ein grundrechtlicher Meilenstein
Im April 2024 hat der Bundestag das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Damit werden trans, inter und nicht-binäre Menschen sowie Menschen ohne Geschlecht ab 01. November 2024 ihren Vornamen und Geschlechtseintrag selbstbestimmt durch einfache Erklärung beim Standesamt korrigieren können – ohne Gerichtsverfahren oder Fremdbegutachtung. Das stellt einen grundrechtlichen Meilenstein für die geschlechtliche Selbstbestimmung dar, nachdem sich Interessenvertretung jahrelang dafür eingesetzt haben und das Bundesverfassungsgericht weite Teile des „Transsexuellengesetz“ für verfassungswidrig erklärt hat.
Im Rahmen der Verbändeanhörung hatten wir den Gesetzentwurf geprüft und ausführlich Stellung genommen. Auch den Kabinettsentwurf, der einige Verschlechterungen im Vergleich zum Referent*innenentwurf beinhaltete, haben wir mit einem Policy Paper begleitet.
Das Gesetz ist nicht perfekt. Der Anwendungsbereich ist beschränkt, sodass beispielsweise Menschen mit Duldung und Asylsuchende das Selbstbestimmungsgesetz nicht in Anspruch nehmen können. Auch sieht das Gesetz missverständliche Regelungen zum „Haus- und Satzungsrecht“ mit einer verfehlten Begründung vor und setzt die geschlechtliche Selbstbestimmung im Spannungs- und Verteidigungsfall aus.
Es konnten aber einige Nachbesserungen erreicht werden: Die zunächst vorgesehene automatisierte Datenübermittlung an Sicherheitsbehörden wurde gestrichen. Auch ist eine Interimslösung für die Elternstellung von zeugungsfähigen Menschen ohne männlichen Geschlechtseintrag wie trans Frauen gegenüber ihren Kindern gefunden worden. Die Stellung von Kindern und betreuten Personen sowie das Offenbarungsverbot wurden gestärkt. Jetzt muss das Selbstbestimmungsgesetz diskriminierungsfrei angewandt werden.