
Leistungsausschluss drängt Geflüchtete in existenzielle Not
Nach einer neuen Regelung sind Geflüchtete, für deren Asylverfahren nach EU-Recht (Dublin-Verfahren) ein anderer EU-Staat zuständig ist, komplett von Sozialleistungen auszuschließen. Das verletzt Grundrechte und verstößt gegen europäisches Recht. Wir gehen gegen den Leistungsausschluss, der Menschen in die Obdachlosigkeit drängt, vor Gericht.
Seit Ende Oktober 2024 gilt durch eine Neuregelung im Asylbewerberleistungsgesetz ein Leistungsausschluss für sogenannte Dublin-Fälle. Die Regelung betrifft Menschen, die ihren Asylantrag zuerst in einem anderen EU-Land gestellt haben. Damit ist das Erstaufnahmeland zuständig und die Menschen müssten dorthin ausreisen. Immer wieder scheitert die Ausreise, etwa an einer konkreten Vereinbarung mit dem Zielland (hier eine Übersicht zu den Dublin-Überstellungen 2024). Dennoch erkennt die Neuregelung den Menschen nach einer zweiwöchigen Übergangsfrist, in der sie bereits deutlich reduzierte Leistungen bekommen, den Leistungsanspruch ab. Die Behörden müssen nach der Übergangsfrist nur noch Leistungen in Härtefällen erbringen, wobei etwa eine Obdachlosigkeit kein solcher Härtefall ist.
Betroffene sind auf freiwillige Leistungen der Behörde angewiesen und können nicht gerichtlich eine dringend benötigte Unterstützung einfordern. Zahlreiche Sozialgerichte u.a. in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben aufgrund europa- und verfassungsrechtlicher Bedenken den Leistungsausschluss aufgehoben und die kompletten Leistungen zugesprochen. Trotz dieser Entwicklungen hat sich das Hamburger Amt für Migration dazu entschlossen, Betroffene vollständig den Anspruch auf Sozialleistungen abzuerkennen.Diese Behördenpraxis ist ein klarer Verstoß gegen das menschenwürdige Existenzminimum, an dem sich andere Bundesländer kein Beispiel nehmen dürfen. Das bestätigten jetzt auch die Eilentscheidungen des Sozialgerichts Hamburg im April 2025 in den Fällen unserer Antragsteller.
Erfolg in zwei Eilverfahren
Das Sozialgericht Hamburg stellt in zwei Eilverfahren (S 7 AY 196/25 ER und S 5 AY 195/ER) der GFF sowie in einem parallel gelagerten Verfahren klar: Solange die Überstellung in den zuständigen EU-Staat noch nicht erfolgt ist und eine freiwillige Ausreise nicht tatsächlich möglich ist, besteht weiterhin ein Anspruch auf Sozialleistungen.
Diese Entscheidungen zeigen: Es handelt sich nicht um eine Einzelfallentscheidung, sondern die Verwaltungspraxis in Hamburg muss sich grundlegend ändern. Das ist eine wichtige rechtliche Klarstellung für die Wahrung des menschenwürdigen Existenzminimums, die wir gemeinsam mit Rechtsanwältin Malena Bayer erzielen konnten. Die Freie und Hansestadt Hamburg kann gegen die Beschlüsse noch Beschwerde einlegen.
Sehenden Auges in die Grundrechtsverletzung
Bereits im Gesetzgebungsverfahren wiesen GFF-Expert*innen auf die drohenden Rechtsverstöße hin und machten deutlich, dass den Betroffenen in der Praxis Obdachlosigkeit und Verelendung drohen. Der seit Ende Oktober 2024 geltende Leistungsausschluss im Asylbewerberleistungsgesetz verletzt die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums. Das menschenwürdige Existenzminimum garantiert die unbedingt erforderlichen Mittel für ein würdevolles Leben. Dieses Menschenrecht gilt für alle Menschen, die sich nicht selbst ausreichend versorgen können. Es steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen gleichermaßen zu – das betonte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012.
Mit europäischem Recht unvereinbar
Der Leistungsausschluss verstößt außerdem gegen die europäische Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU). Die Richtlinie sieht vor, dass der EU-Staat, in dem sich die schutzsuchende Person befindet, für einen angemessenen Lebensstandard sorgen muss. Solange Geflüchtete in Deutschland sind, muss Deutschland ihren Lebensunterhalt sowie den Schutz ihrer physischen und psychischen Gesundheit sicherstellen. Sowohl die Überbrückungsleistung als auch der darauffolgende Leistungsausschluss führen zu einem Verstoß gegen die EU-Richtlinie. Betroffene erhalten lediglich innerhalb der zweiwöchigen Überbrückungsleistungen beispielsweise in Hamburg Unterkunft, Essen und Trinken sowie 8,85 Euro für „Körperpflege“. Nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzzuständen wird eine ärztliche Behandlung gewährt. Kleidung und Schuhe erhalten die Betroffenen nicht. Auch Leistungen zur Deckung eines soziokulturellen Existenzminimums, also etwa Geld für ein Handy oder eine Busfahrkarte, werden nicht mehr gewährt. Nach den zwei Wochen steht den Betroffenen nur noch ein Anspruch auf Härtefallleistungen zu.
Verfassungswidrige Migrationspolitik stoppen
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir sorgen für eine konsequente Umsetzung der bestehenden Anspruchseinschränkungen im Leistungsrecht.“ Allerdings können nur Gesetze umgesetzt werden, die die Grundrechte achten. Wir gehen weiter für den Schutz der Grundrechte vor Gericht.
Nachtrag: Das zweite Eilverfahren wurde am Abend des 17. April entschieden und findet deshalb in der ursprünglichen Pressemitteilung keine Erwähnung.
